Richtungsstreit in Moldau: Alte und neue Bäume
In der Republik Moldau stoßen zwei Welten aufeinander. Die einen schwelgen in Sowjetnostalgie, die anderen wollen in die Europäische Union.
Vor einigen Jahren hat die moldauische Hauptstadt damit begonnen, in großem Stil Bäume zu fällen, die in den 1960er bis 70er Jahren gepflanzt worden waren, als der „Grünfonds“ der Stadt gegründet wurde. Damals galt Chișinău als eine der grünsten Städte der Sowjetunion. Mit der Zeit wurden die 50- bis 60-jährigen Akazien und Ahorne aufgrund ihres Alters und Krankheiten jedoch zu einer Gefahr für Passanten. 2016 erschlug ein umstürzender Baum sogar eine Anwohnerin.
Daraufhin beschlossen die lokalen Behörden mit Unterstützung der Umweltbehörde von Chișinău, alle diese Bäume zu fällen. Dem fielen auch oft recht gesunde zum Opfer, was dazu führte, dass die Straßen im Stadtzentrum buchstäblich kahl waren. Zudem war im Stadthaushalt nicht sofort genug Geld vorhanden, um die gefällten Bäume durch Setzlinge zu ersetzen. All dies führte zu großem Unmut, lenkte die Diskussion jedoch auch auf die globaleren Probleme.
„In anderen Ländern erfolgt die Erneuerung der städtischen Grünflächen schrittweise und geplant. Gibt es in unserem Land keine guten Fachleute mehr, die das Problem der Stadtbegrünung kompetent lösen können?“, schrieb die lokale Presse – eine Anspielung auf die Massenauswanderung, die unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 begann.
Grün und konfortabel
Diejenigen, die Moldau Anfang der 1990er Jahre verlassen haben, erinnern sich an Chișinău als grüne und komfortable Stadt. Das geht einher mit einer Nostalgie im Gedenken an die Sowjetunion. „Früher war alles besser, die Menschen waren fröhlicher, das Leben war stabiler. Jeder hatte Arbeit, eine eigene Wohnung, es gab kostenlose Medizin. An Auswanderung war gar nicht zu denken. Die Sowjetrepublik Moldawien und die unabhängige Republik Moldau haben wenig gemeinsam“, so ist es häufig zu hören.
Diejenigen, die in Chișinău geblieben sind, sagen: „Natürlich gibt es Probleme. Aber nur diejenigen, die schon lange nicht mehr hier leben, meckern. Unsere Stadt wird umgestaltet, sie beginnt modern auszusehen, es gibt viel Grün und Springbrunnen in den Parks, die Fassaden der Gebäude werden rekonstruiert. Alte Bäume wurden gefällt, neue gepflanzt, in ein paar Jahren wird alles wieder grün sein.“ Diese Diskussion spiegelt bildhaft die Komplexität der politischen Debatten über die Zukunft des Landes und die Richtung seiner Entwicklung wider.
Die Generation, die sich nach der Sowjetunion sehnt, lehnt die europäische Integration ab. Die Jüngeren ziehen die rumänische Sprache der russischen vor, die ebenfalls viele Menschen sprechen. Sie wählen Politiker, die das Land in die EU führen wollen, auch wenn diese auf dem Weg dorthin Fehler machen. Die proeuropäischen Wähler verschließen oft die Augen vor diesen Fehlern. Das Ziel, ein wohlhabendes und komfortables Leben auf europäischem Niveau, ist den Preis wert.
Es ist wie bei den Bäumen. Die alten, ungeeigneten werden gefällt, weil sie eine Bedrohung darstellen könnten – so wie diejenigen, die sich nach der sowjetischen Vergangenheit sehnen und engere Beziehungen zum modernen Russland wünschen. Gleichzeitig sind viele Fehler, auch im Kampf gegen Korruption, fast so, als würde man gesunde Bäume fällen. Aber am Ende doch Schösslinge zu pflanzen heißt, Reformen auf dem Weg in die EU durchzuführen.
Wessen Wille wird stärker sein? Die Antwort wird das moldauische Volk bei den Präsidentschaftswahlen und dem Referendum über eine EU-Mitgliedschaft im Oktober geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland