63 Jahre Mauerbau: Das Erbe der Mauer
Vor 63 Jahren wurde die Berliner Mauer gebaut. Wie die Vergangenheit heute noch in der jungen Generation nachwirkt.
A uf den Fahrten zu meiner Oma fingen meine Eltern jedes Mal an zu erzählen. Kaum kamen wir an der Transitstelle Helmstedt/Marienborn vorbei, gab es eine neue Geschichte aus der Zeit, als die Mauer in Berlin noch stand. Es waren kurze Momente, wo ich mitgenommen wurde in eine Realität, die ich nicht kenne. Ich hörte interessiert zu, doch irgendwie blieb eine Distanz.
Ich kann mich nicht mehr in die Beklommenheit einfühlen, von der mein Vater erzählt, wenn er bei Grenzkontrollen seinen Reisepass auf das mehrere Meter langen Förderband legte. Das war wohl so lang, damit die zwei Grenzbeamten sich nicht absprechen konnten. Ich kann auch die Angst nicht mehr spüren, für eine stundenlange Befragung durch die Grenzer rausgezogen zu werden.
Aber obwohl meine Freunde und ich – wir leben in Prenzlauer Berg – kaum über die Berliner Mauer reden, wissen wir alle, woher die jeweiligen Eltern kommen, aus dem Osten oder dem Westen. Irgendwie kommt das Thema oft auf, spätestens nach dem zweiten gemeinsamen Bier. Dabei spürt man vor allem einen letzten Rest Ostpatriotismus, den wir als Kinder von größtenteils Ostberliner Eltern bis heute bei manchen Themen haben. Doch der Bezug zur Mauer fehlt. Bei uns allen.
Die Distanz bleibt bestehen
Wir hören Geschichten von Fluchtversuchen, Verhaftungen, verlorenen Familien und sind geschockt über die Brutalität. Aber diese Erzählungen bleiben für uns ein Stück Geschichte unserer Eltern, die zwar irgendwie mit uns verbunden ist, aber doch nicht greifbar.
Wir können in die Friedrichstraße fahren, ohne einen Pass vorzeigen zu müssen. Wir spazieren über die Oberbaumbrücke und denken an die Clubs und Cafés in Kreuzberg – und nicht an die Mauer. Wir lesen Bücher und besuchen mit der Schule die Gedenkstätte an der Bernauer Straße. Aber dabei ist und bleibt die Mauer ein Relikt aus einer Vergangenheit. Warum sollte es auch anders sein?
Doch manchmal, wenn mir meine Eltern diese Geschichten erzählen, wird die Distanz für eine kurze Zeit kleiner und mir wird bewusst, wie fragil die Freiheit ist, die wir in unserer Jugend in Berlin spüren. Wir nehmen die Geschichten auf, die sie uns erzählen, aber wir leben sie nicht. Wir respektieren das, was unsere Eltern durchgemacht haben, aber es ist nicht unser eigenes Leben.
Die Mauer ist für uns nicht mehr der Stacheldraht und Beton, der Familien teilte, sondern eher ein Gedankenkonstrukt, das uns daran erinnern soll, wie schnell sich die Welt verändern kann. Es ist eine Mahnung, dass wir die Freiheit, die wir genießen, nicht als selbstverständlich hinnehmen sollten. Und vielleicht kann uns dieser Tag daran erinnern: dass wir unser eigenes Verständnis von Freiheit entwickeln müssen.
Emma Doermann ist 15 Jahre nach dem Mauerfall geboren.
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