Anarchische Zerstörungslust

Was im Umgang mit Technik alles schiefgehen kann: Fünf klassische Kurzfilme Karl Valentins sorgen im Kino für alte Frische. Bloß Liesl Karlstadts Name fehlt im Titel dieser Auswahl von „Hirngespinsten“

An Pointen wurde gemeinsam gefeilt: Karl Valentin und Lisl Karlstadt in „Im Photo­atelier“ (1929) Foto: Der Filmverleih

Von Claudia Lenssen

Seine Sprüche sind allgegenwärtig. Auf Grußkarten, beim Smalltalk und überhaupt immer dann, wenn es um Pointen mit absurdem Hintersinn geht, taugen Karl Valentins Memes aus dem analogen Zeitalter auch heute für leise Lacher. „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“ oder „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“ sind nur zwei seiner zahllosen Schwurbeleien, die unkaputtbar in den Sprachgebrauch eingegangen sind.

Dahinter ist der Autor und Performer solch dadaistischer Kleinkunstzeilen oder auch begnadeter Albernheiten fast vergessen. Kein Wunder, dass Karl Valentins aktuelle Wiederentdeckung mit einem runden Kinoprogramm aus fünf restaurierten Kurzfilmen als Insert jeweils einen seiner schrägen Sprüche bereithält, zum Beispiel „Wenn alle dasselbe denken, wird nicht viel geredet“ und „Mögen hätt’ich schon wollen, aber dürfen hab’ich mich nicht getraut“.

Tatsächlich hat sich der Münchener Komiker, Musiker und Performer Karl Valentin viel getraut. Als einer der bekanntesten Kleinkunstkönner in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts interessierte er sich früh für den Film und das neue Medium Radio und baute seine Lust an Pointen zu allem, was im Umgang mit Technik schiefgehen kann, in vielen Programmen genüsslich aus. Parodien voller anarchischer Zerstörungslust waren sein Spezialgebiet. Valentins bayerischer Wortwitz und seine anarchistischen Slapsticks brauchten das Publikum, unermüdlich sprudelte er neue Sketch-Ideen aus, aber wegen ihrer Doppelbödigkeit wurden sie den gleichgeschalteten Massenmedien im Nationalsozialismus mehr und mehr verdächtig und ab 1940 erhielt er keine Aufträge mehr.

In einem Punkt mogelt sich die Kinoversion der fünf Kurzfilme „Im Photoatelier“, „Orchesterprobe“, „Im Schallplattenladen“, „Der Firmling“ und „Die Erbschaft“, alle zwischen 1932 und 1936 in Münchener Filmstudios entstanden, über einen gewichtigen Aspekt seiner Karriere hinweg. Die derzeit als DVDs kursierenden Editionen sind da schon weiter. Denn ohne die geniale Liesl Karlstadt, Valentins langjährige Co-Autorin und Bühnen- und irgendwie auch Lebenspartnerin, hätten ihre perfekt getimten Grotesken nicht so viel abgründigen Charme. Leider nennt der Stuttgarter Filmverleih im Titel aber nur Karl Valentins Namen.

Liesl Karlstadt lernte den Komiker 1911 kennen, als beide im Saal des Münchener Hotels Frankfurter Hof in Sachen Volkstheater und humoristische Gesangseinlagen engagiert waren. Die Karlstadt, eine kleine rundliche Person mit guter Singstimme, war damals neunzehn Jahre alt und gerade ihrem kleinbürgerlichen Münchener Elternhaus und einer Lehre als Verkäuferin entlaufen. Karl Valentin, zehn Jahre älter, ein hochaufgeschossener und spindeldürrer Sonderling mit roten Haaren, war um diese Zeit längst ein erfahrener Kleinkünstler, der sich aus den prekären Engagements in baye­rischen Kneipen und Sälen herausgearbeitet und in anderen deutschen Städten gastiert hatte, immer wieder aber Tiefs im unsicheren Unterhaltungsgeschäft überleben musste.

Valentin konnte jederzeit zu seiner Mutter in die Münchener Vorstadt Au zurückkehren, wo er als kränkliches Kind wie ein „rohes Ei“ gepäppelt worden war und früh „nach reiflicher Überlegung Talent zum Zeitungslesen“ zeigte. In autobiografischen Notizen schrieb er: „Mein Hang zur Musik ist alltäglich. Am liebsten höre ich zu, wenn ich selbst spiele.“

Der Vater, ein Möbelspediteur mit Droschke, verlangte zwar eine Lehre als Schreiner – woher wohl später die Inspiration zu abstrusen Sägearbeiten und chaotischen Möbelzerstörungen in seinen Filmen stammte. Den Sohn zog es dagegen auf die Volkstheaterbühnen, als urige Figur, Trompeter und Trommler.

Wenn Karl Valentin in den schwierigen Anfangsjahren ins Haus seiner verwitweten Mutter zurückkam, war da auch die junge Haushälterin Gisela, die bald Mutter einer Tochter von Karl Valentin wurde. 1911, als der Frankfurter Hof ein wenig Sicherheit versprach, heiratete Valentin seine treue Gisela, begann indes zur selben Zeit die enge Partnerschaft mit Liesl Karlstadt.

Wie viel von den „Hirngespinsten“ ihrer gemeinsamen Bühnennummern und Filme von ihr erdacht und mitinszeniert wurden, ist nicht im Einzelnen überliefert, Liesl Karlstadts selbstsichere Gegenfiguren zu Valentin, darunter Hosenrollen, Hausfrauen, Verkäuferinnen, Telefonfräulein, sprechen aber eine deutliche Sprache. Mit ihr zusammen feilte Valentin an seinen Parodien auf den Alltag der kleinen Leute, die sich – gewollt oder ungeschickt – in rebellische Attacken auf die blitzsaubere Kleinbürgerlichkeit verstricken.

Der berühmte Kurzfilm „Orchesterprobe“ (1934), Teil der aktuellen Kino-Kompilation, ist ein schönes Beispiel dafür. Karl Valentin, Trompeter in einer bayerischen Marschkapelle, nervt den zur Probe hereinschneienden Kapellmeister, eine brillante Hosenrolle von Karlstadt und groteske Karikatur autoritärer Chefattitüden. Mit peinlichen Schmähreden schon auf Konfrontationskurs, steigert sich Valentins Arbeitsverweigerung, wenn er plötzlich die abstruse Geschichte von einem Radfahrer einstreut, der bei einem Gespräch mit Kollegen „plötzlich um die Ecke kam“. War das nun Zufall oder normale Großstadtsituation? Ein Streit entbrennt, die Probe muss aber weitergehen, Valentin gerät mit den Noten durcheinander, die Trommelei eskaliert, alles geht zu Bruch.

In einem anderen Kurzfilm des Programms geht es um eine vermeintliche Erbschaft aus Amerika. Liesl Karlstadt und Karl Valentin sind ein armselig hausendes Ehepaar, das auf Zeitungspapier schläft, die Miete schuldig ist und seinen einzigen Besitz, ein „Nachtkästl“, vor dem Gerichtsvollzieher verbergen will, aber unfreiwillig dafür sorgt, dass es zu Bruch geht. Die Erbschaft, eine in Aussicht gestellte Schlafzimmereinrichtung, entpuppt sich dann, als schon alles aus ihrem Haushalt verloren ist, als Missverständnis. Es handelt sich um Kleinmöbel für kleinwüchsige Nachbarn. Den beiden bleibt der nackte Boden. Dieser 1936 voller Anspielungen auf die Wirtschaftskrise der frühen 1930er Jahre gedrehte letzte Film passte den Film-Offiziellen wegen seiner „Elendstendenzen“ nicht.

Liesl Karlstadts selbstsichere Gegenfiguren zu Karl Valentin sprechen eine deutliche Sprache

Karl Valentin zog im Krieg, wegen seines Asthmas vom Kriegsdienst befreit, ohne Chance auf ein Einkommen mit seiner Familie ins Münchener Umland. Nach dem Krieg fand er beim neugegründeten Bayerischen Rundfunk kein Gehör. Wieder musste er tingeln, in ungeheizten Hinterzimmern vor einem Publikum, das wenig Neugier auf Humoristisches zeigte. Im kalten Winter 1947 holte er sich dabei eine Lungenentzündung, die ihn das Leben kostete.

Erst als Karl Valentins Nachlass in den 1970er Jahren von Kölner Theaterwissenschaftlern aufgearbeitet wurde, begann eine erste Welle der Wiederentdeckung, während Liesl Karlstadt bis zu ihrem Tod 1960 als beliebte Schauspielerin im bayerischen Fernsehen Erfolge feierte.

War Karl Valentin der originellste Anarchist unter den deutschen Komödianten? Wie viel „unerbittliche Wildheit“ (Herbert Achternbusch), unausgesprochene Subversion und tiefe Melancholie zeichnen seine Filme aus? Fast die Hälfte des Werks von Valentin/Karlstadt gilt als verschollen, aber fünf der besten erhaltenen Kurzfilme machen neugierig auf mehr von ihrer Erbschaft für die Comediens von heute.

„Karl Valentin – die beliebtesten Kurzfilme“. Ab 15. 8. im Kino