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Kai Wegner und der CSD-ZwistEs geht auch ohne den Regierenden

Andreas Hergeth
Kommentar von Andreas Hergeth

Der Regierende Bürgermeister hält keine Eröffnungsrede. Kai Wegner hat den CSD-Verein enttäuscht – er hatte eine Bundesratsinitiative versprochen.

So voll war es im Juli 2023 auf dem Christopher Street Day in Berlin Foto: dpa/Fabian Sommer

D er Vorstand des Berliner CSD e.V. ist sauer. „Wir hatten ein Ultimatum gestellt und auf ein deutliches Signal gehofft, dass wir in der Sache ein ordentliches Stück weiterkommen“, sagte Marcel Voges auf der Pressekonferenz im Vorfeld des 46. Christopher Street Day mit Nachdruck in der Stimme.

Doch Ultimatum und langes Warten nutzten am Ende nichts. Kai Wegner (CDU) hat nicht geliefert. Deshalb wird der Regierende Bürgermeister von Berlin nicht – wie noch im Jahr zuvor und ohnehin üblich – am Samstag die Eröffnungsrede für den CSD, den Berlin Pride, halten (taz berichtete).

Aber der Reihe nach und ein notwendiger Blick zurück: Vor einem Jahr hatte Wegner den Berliner CSD zum Anlass genommen, um vollmundig eine Bundesratsinitiative zur Reform des Grundgesetz-Artikels 3 zum Schutz queerer Menschen zu versprechen. Er wollte eine entsprechende Initiative dazu in der Länderkammer starten.

Genau das ist eine der sechs Kernforderungen – ein „Sechs-Punkte-Plan für die Community“ – des Berliner CSD e.V. zum diesjährigen Pride: „Auf Worte müssen nun Taten folgen“, fordert der Verein. „Auf Bundesebene blockiert insbesondere die CDU das Vorhaben. Wir fordern daher eine schnelle Bundesrats- und Kommunikationsinitiative des Berliner Bürgermeisters, um den Druck in der eigenen Partei zu erhöhen.“ Für eine solche Grundgesetzänderung braucht es eine Zweidrittelmehrheit – und dafür müssten Wegners Parteikollegen von der CDU mit ins Boot geholt werden.

Doch daraus wird erst einmal nichts, jedenfalls nicht vor dem CSD am Samstag. Auch ein Gespräch mit Wegner in der Woche vor dem Großereignis (angemeldet sind 500.000 Menschen) brachte keinen Fortschritt. Fazit: Er wird keine Rede halten, aber wohl am CSD teilnehmen.

Immerhin gibt es einen vagen Hoffnungsschimmer: Die angekündigte Bundesratsinitiative befinde sich schon in einer „senatsinternen Abstimmung“, wie Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) dieser Tage verlauten ließ. „Das Papier könne frühestens in zwei Wochen bei der nächsten Senatssitzung beschlossen werden“, so das Nachrichtenportal queer.de (mit dem der Berliner CSD e.V. kooperiert). „Allerdings sei unklar, ob ein Entwurf bis dahin vorliegt, dem auch die Union zustimmen kann.“

Kai Wegner war vorgewarnt

Der CSD-Verein hatte schon im Mai dieses Jahres damit gedroht, den Regierenden Bürgermeister nicht mehr als Eröffnungsredner zu akzeptieren, sollte er nicht endlich sein Versprechen aus dem Vorjahr wahrmachen. Kai Wegner und mit ihm der gesamte Senat waren also vorgewarnt.

Diese Ankündigung hatte vor zwei Monaten auch den Queerbeauftragten des Senates, Alfonso Pantisano (SPD), auf den Plan gerufen, der den Berliner CSD-Verein via Facebook wissen ließ: „Die Ergänzung des Grundgesetzes ist eine berechtigte Forderung. Das schaffen wir durch Dialog und ein konstruktives Miteinander aller demokratischen Kräfte. Der Berlin CSD darf diesen Dialog nicht durch eine unüberlegte Erpressung gefährden – denn das schadet am Ende der gesamten Community.“

Von einer „unüberlegten Erpressung“ zu sprechen, ist dabei ein starkes Stück. „Unüberlegt“ ist angesichts des Zeitraums von einem Jahr hier ohnehin falsch am Platz. Und „Erpressung“ sowieso. Denn dem Berliner CSD e.V. als dem veranstaltenden, organisierenden und durchführenden Verein (der das nur dank vieler ehrenamtlich arbeitender Leute schafft) obliegt es ganz allein, sich auszusuchen, wer die Eröffnungsrede der Pride-Parade hält.

Das muss kein Regierender Bürgermeister sein. Das ist ein Nice-to-have, kein Muss, Tradition hin oder her. Nicht wenigen queeren Menschen dürfte ohnehin egal sein, ob Kai Wegner eine Rede hält oder nicht. Der hat in letzter Zeit immer wieder von der Regenbogen-Hauptstadt und Stadt der Vielfalt fantasiert. Reine Lippenbekenntnisse, heißt es von verschiedenen Seiten. Wegner muss liefern, will er ernst genommen werden.

Klaus Lederer teilt aus

„Einfach mal machen“, sagt dazu auch Klaus Lederer. Der queerpolitische Sprecher der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus bedauert, dass der Senat in seiner Sitzung in dieser Woche „die letzte Gelegenheit verstreichen ließ, noch vor dem Berliner CSD eine Bundesratsinitiative des Landes zur Ergänzung des Artikel 3 des Grundgesetzes um den expliziten Schutz queerer Menschen zu beschließen“.

Vor einem Jahr habe Wegner viel Lob für seine Bekundung erhalten, sich auf Bundesebene für eine Grundgesetzänderung starkzumachen. Ein Jahr später aber stünde fest: „Mit dieser weiteren seiner inzwischen gewohnt vollmundigen Ankündigungen war der Regierende auf schnellen Beifall aus. Es folgten keine ernsthaften Bemühungen Wegners, die Initiative zügig auf den Weg zu bringen.“ Es genüge eben nicht, hin und wieder mit Beschwörungen der „Regenbogen-Hauptstadt“ symbolisch pathetisch zu werden.

Und nun? Der 46. CSD Berlin/Berlin Pride wird am Samstag ab 11.30 Uhr an der Leipziger Straße/Ecke Charlottenstraße eröffnet. Die Rede zum Paradenstart findet traditionell auf dem Vorstandstruck mit der Nummer Eins statt – und nun wird sie von einer Aktivistin kommen, das ist ein guter Schachzug: Sophie Koch vom LAG Queeres Netzwerk Sachsen wird die Eröffnungsansprache halten. Wer braucht da schon Kai Wegner?

Die Politik ist dennoch vertreten: Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) wird ein Grußwort sprechen, auch darin soll es um Artikel 3 gehen. Dann ist der CSD-Vorstand mit seinen Eröffnungsreden dran. Aber mal ehrlich: Warum verzichtet der Verein nicht ganz auf Po­li­ti­ke­r:in­nen und ihre wohlfeilen Reden? An ihren Worten kann man sie kaum messen – wohl aber an ihren Taten.

Das Motto des diesjährigen großen Berlins CSD lautet „Nur gemeinsam stark – Für Demokratie und Vielfalt“. Wie hatte doch Vorstand Marcel Voges auf der Pressekonferenz des CSD-Vereins gesagt: „Es geht darum, den Zusammenhalt in der Community zu stärken“, und darum, „die Demokratie zu festigen, weil wir gerade einen gesellschaftlichen Rollback erleben.“ In diesem Sinne: Auf die Straßen! Und Happy Pride!

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Andreas Hergeth
Redakteur & CvD taz.Berlin
In der DDR geboren, in Westmecklenburg aufgewachsen, Stahlschiffbauer (weil Familientradition) gelernt, 1992 nach Berlin gezogen, dort und in London Kulturwissenschaften studiert, 1995 erster Text für die taz, seit 2014 im Lokalteil Berlin als Chef vom Dienst und Redakteur für Kulturpolitik & Queeres.
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