Debatte um kostenloses Schulmittagessen: Sollen sie etwa Stullen essen?

Berlin gibt derzeit über 180 Millionen für das Mittagessen an Grundschulen aus. Ein Betrag, der angesichts der Haushaltslage Begehrlichkeiten weckt.

Heute bleibt die Küche kalt: Mit dem Ende der Beitragsfreiheit könnten nicht zuletzt Geringverdienende durchs Raster fallen Foto: Martin Schroeder/imago

BERLIN taz | Denkverbote soll es nicht mehr geben, Tabus natürlich auch nicht, und Heiligtümer schon recht gar nicht. Seit Wochen kündigen die Spitzen der schwarz-roten Koalition mit Formulierungen dieser Art an, dass es angesichts der Berliner Haushaltslage demnächst ungemütlich wird. Die Rede ist von mindestens fünf Milliarden Euro, die bis 2026 eingespart werden müssen. Das ist jeder achte Euro des insgesamt rund 80 Milliarden umfassenden aktuellen Doppelhaushalts. Eine Menge Holz also.

Nicht zuletzt führende CDU-Politiker:innen schauen dabei vor allem auf einen Posten: die vor fünf Jahren vom damaligen rot-rot-grünen Senat eingeführte Beitragsfreiheit für das Mittagessen in Grundschulen. Von der profitieren aktuell immerhin 182.000 Schü­le­r:in­nen. Verpackt wird der Streichvorschlag stets als nettes Gesprächsangebot an die SPD-Fraktion, deren Chef Raed Saleh die kostenlose Schulspeisung maßgeblich vorangebracht hatte und sie bis heute als „sozialdemokratische Errungenschaft“ preist.

„Es gibt so ein paar soziale Geschenke auch im Bildungsbereich, über die wir zumindest mal reden müssen“, erklärte in diesem Sinne der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) jüngst in einem Interview mit Table Mediamit Blick auf das Milliardenloch. Um dann auf den Punkt zu kommen: „Ist es gerecht, dass es an allen Schulen ein kostenloses Mittagessen gibt? Ist das der richtige Weg?“ Man wird ja mal fragen dürfen. SPD-Chef Saleh soll nicht amüsiert gewesen sein.

Konkret geht es um satte 182 Millionen Euro im laufenden und 184 Millionen Euro im kommenden Jahr, die im aktuellen Doppelhaushalt für die „Beköstigung“ von Klasse eins bis sechs eingeplant sind. Dementsprechend groß sind die Begehrlichkeiten, die Beitragsfreiheit beim Schulmittagessen an der Spree über die Wupper gehen zu lassen.

Vorbild Hamburg?

Ihren Anfang haben die jüngsten Diskussionen ausgerechnet in der SPD selbst genommen, und zwar bei den beiden neuen Landesvorsitzenden Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini. Schon im SPD-internen Wahlkampf um die Parteispitze hatten die beiden gegen die „Umsonststadt“ von Raed Saleh polemisiert. Vor gut einem Monat legten sie noch einmal nach. Das „für alle kostenfreie Schulessen“ führe in Berlin dazu, „dass wir das komplett aus Landesmitteln finanzieren müssen“, erklärte Hikel und verwies dann auf das Beispiel Hamburg.

In der Hansestadt bekämen Kinder aus Haushalten mit Sozialhilfebezug ebenfalls ein kostenloses Mittagessen, das werde aber nicht aus dem Landeshaushalt, sondern über die Mittel des Bildungs- und Teilhabepakets (BuT) des Bundes finanziert, so Hikel. In Berlin sind das rund 30 Prozent aller Schüler:innen. Für die restlichen 70 Prozent gelte dann: „Wer nicht BuT-berechtigt ist, muss sein Schulessen selbst zahlen.“

Auch wenn der Vorstoß der SPD-Vorsitzenden nach taz-Informationen kurz darauf im Landesvorstand abgebügelt wurde, ist zumindest bei Fraktionschef Raed Saleh ein gewisser Grad an Vergnatztheit geblieben. „Das ist doch verrückt, worüber hier diskutiert wird“, sagt Saleh zur taz. Er habe vor allem die Familien im Blick, die jeden Euro dreimal umdrehen müssten, aber nicht BuT-berechtigt sind.

Womit Saleh durchaus einen Punkt hat. Denn was heißt das für die Kinder von Alleinerziehenden mit 2.200 Euro netto im Monat, wenn bei einem Preis von derzeit 5,16 Euro pro Mittagsportion über 100 Euro für das Schulessen fällig werden? Woanders sparen oder mit heimischen Stullenpaketen vorliebnehmen?

Raed Saleh, SPD-Fraktionschef

„In dem Moment, in dem man das System aufkündigt, schafft man ein riesiges Bürokratiemonster.“

Hinzu komme, so Saleh, der Mehraufwand für die Verwaltung: „In dem Moment, in dem man das System aufkündigt, schafft man ein riesiges Bürokratiemonster.“ Ein Argument, das auch im Haus von Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) gesehen wird. Im Fall einer „gestaffelten Kostenbeteiligungsfreiheit zum Schulmittagessen“ würden zusätzliche „personelle Ressourcen benötigt, welche den möglichen Einsparungen und Entlastungen gegenzurechnen sind“, sagt Günther-Wünschs Sprecherin Susanne Gonswa zur taz.

Zudem sei es mitnichten so, dass die BuT-Segnungen den betroffenen Familien automatisch zufließen würden. So müssten die Schü­le­r:in­nen zunächst in Vorleistung gehen und „selbst einen Kostenbeitrag zum Schulmittagessen zahlen“, eine „teilweise Rückerstattung“ aus Bundesmitteln „erfolgt dann jeweils im folgenden Jahr“. Immerhin, so Gonswa: „Damit würde der Landeshaushalt um diesen Betrag entlastet werden.“

Caterer drohen mit Personalabbau

Geradezu fassungslos auf die Debatte in Berlin reagiert der Verband deutscher Schul- und Kitacaterer. Zumal die Verträge für die kommenden vier Jahre mit den Caterern gerade erst neu abgeschlossen wurden. Dabei sei man davon ausgegangen, dass wie bisher 90 Prozent der Grund­schü­le­r:in­nen am Schulessen teilnehmen, so Landessprecherin Meike Müller. Bei einer Abschaffung der Beitragsfreiheit dürfte die Teil­neh­me­r:in­nen­zahl dem Verband zufolge auf unter 70 Prozent fallen.

Unter solchen Bedingungen hätten sich im Zuge des Vergabeprozesses viele Caterer „aus wirtschaftlichen Gründen gar nicht erst beworben“, sagt Müller zur taz. Ihre Warnung: „Wenn in Zukunft deutlich weniger Schülerinnen und Schüler am Mittagessen teilnehmen, Umsatz und Gewinn für die Unternehmen also deutlich sinken, werden sie darauf reagieren müssen, vor allem mit Personalabbau.“

Raed Saleh geht dann auch davon aus, dass das Mittagessen die anstehenden Sparverhandlungen ebenso unbeschadet überstehen wird wie die Beitragsfreiheit in den Kitas. Auch darüber wollten die Kri­ti­ke­r:in­nen der „Umsonststadt“ immer wieder reden, inklusive der neuen SPD-Chef:innen. Hier dürften „Korrekturen“ am bestehenden System gleichwohl noch schwieriger werden.

Zwischen 2007 und 2017 schrittweise eingeführt, hat nicht einmal die Bildungsverwaltung einen Plan, wie viel Geld sich mit einer Rolle rückwärts einsparen ließe. Im Jahr gebe das Land etwa 2,5 Milliarden Euro ins gesamte Berliner Kita-System, so der Senat. Was davon die Beitragsfreiheit und was all die anderen Ausgaben abdeckt, lasse sich aus dem Stand nicht in „allgemeingültigen Zahlen“ ausdrücken.

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