Konfrontation in Nahost: „Dieser Krieg muss beendet werden“

Die Attentate auf Hamas- und Hisbollah-Führer haben Verhandlungen fast unmöglich gemacht, sagt der israelische Friedensvermittler Gershon Baskin.

Benjamin Nethanjahu unterwegs in Gaze inmitten von bewaffneten Soldaten. Alle tragen schusssichere Westen

Benjamin Netanjahu, hier in Rafah, „ist zur Geisel seiner Koalition und seiner eigenen Probleme geworden,“ sagt Gershon Baskin Foto: Avi Ohayon/GPO/reuters

taz: Herr Baskin, wie wirken sich die beiden Attentate in Beirut und Teheran auf die Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas aus?

Gershon Baskin: Das ist eine sehr schlechte Nachricht für die Geiseln. Im Moment finden keine Verhandlungen statt.

taz: Weil mit Hamas-Politbürochef Ismael Hanijeh ein Verhandlungspartner fehlt?

Baskin: Hanijeh saß nicht am Verhandlungstisch – das ist eine Falschinformation, die um die Welt ging. Sein Stellvertreter Chalil al-Hayya leitete das Verhandlungsteam. Aber die Hamas trifft Entscheidungen im Konsens. Und Hanijeh vertrat die Leute im Politbüro, die auf eine Einigung drängen. Sie wehrten sich gegen den Führer des militärischen Flügels, Jahia Sinwar, der viel härtere Forderungen stellte.

Gershon Baskin, 68, ist Kolumnist und Friedensforscher in Israel, aber vor allem ein erfahrener Vermittler zwischen Israel und palästinensischen Organisationen.

taz: Die Verhandlungen stocken schon lange. Warum?

Baskin: Zuletzt konzentrierten sich die Verhandlungen mehrere Monate lang auf das, was US-Präsident Biden als Netanjahu-Plan vorstellte: den ursprünglichen ägyptischen Vorschlag, der drei Phasen vorsah. Vor etwa einem Monat gab die Hamas ihre Forderung auf, dass Israel sich verpflichten sollte, den Krieg nach der ersten Sechs-Wochen-Phase vollständig zu beenden. Alle dachten, das wäre die Chance auf eine Einigung. Doch dann legte Netanjahu zusätzliche Bedingungen auf den Tisch – etwa, dass Israel die Kontrolle über die 14 Kilometer lange Grenze zwischen dem Gazastreifen und dem Sinai, wo die Israelis Schmuggeltunnel entdeckt haben, behalten sollte. Netanjahu will an dieser Linie festhalten. Außerdem möchte Israel die Kontrolle über den Neztarim-Korridor, der den Gazastreifen quasi in Nord und Süd teilt, behalten, um die Bewegungen von Menschen aus dem Süden in den Norden zu überwachen.

taz: Netanjahu weigert sich, den Krieg zu beenden?

Baskin: Ja. Israel möchte von den USA die Zusage, dass es den Krieg jederzeit wieder aufnehmen kann, wenn es der Meinung ist, dass die Hamas gegen das Abkommen verstößt. Zuletzt forderte es eine Liste aller Geiseln, die vor Beginn des Waffenstillstands freigelassen werden sollen. Außerdem verlangte es bei der Auswahl der freizulassenden palästinensischen Gefangenen ein Vetorecht. Die Hamas hat all diese Forderungen abgelehnt. Es gibt also viele Differenzen zwischen den beiden Parteien, und sie sind einer Einigung überhaupt nicht nahe.

taz: Wie könnte eine Einigung aussehen?

Baskin: Die Verhandlungsführer, die Ägypter und Kataris, sollten mit Blick auf die Maximalpositionen beider Seiten ein Abkommen auf den Tisch legen und dann zu Israel und der Hamas sagen: Nehmt es an oder lasst es bleiben. Dann ist es das Ende unserer Rolle als Vermittler. Wie lange kann dieses Spiel noch weitergehen? Dieser Krieg muss offensichtlich beendet werden. Die Geiseln müssen nach Hause kommen. Es muss ein Abkommen geben.

taz: Warum ist das noch nicht passiert?

Baskin: Ich denke, Ägypten und Katar haben Angst, den Amerikanern zu sagen: Wir sind raus aus dem Spiel. Die USA drängen auf eine Verhandlungslösung und wollen, dass sie vermitteln. Die USA unterhalten allen Vorbehalten zum Trotz enge Beziehungen mit Katar. Der größte US-Militärstützpunkt im Nahen Osten befindet sich dort. Die USA haben Katar unter anderem benutzt, um mit den Taliban zu verhandeln. Und Ägyptens Militär ist von den USA abhängig

taz: Wie könnte ein Kompromiss aussehen?

Baskin: Ich habe den Vermittlern einen Vorschlag geschickt. Nach sechs Wochen sollte der Krieg enden und Israel sich aus dem Gazastreifen zurückziehen. Die USA sollten die Kontrolle über den Philadelphia-­Korridor und, zusammen mit Ägypten, über die Grenze nach Gaza übernehmen, um sicherzustellen, dass dort kein Schmuggel mehr erfolgt. Die Hamas würde innerhalb von sechs Wochen alle 115 +Geiseln freilassen, ob tot oder lebendig – im Austausch für über 4.000 Palästinenser, die Israel gefangen hält. Für jede Geisel wären das 35 palästinensische Gefangene – die Hälfte davon mit lebenslangen Haftstrafen. Die Gefangenen sollten nicht deportiert und nicht nach Gaza geschickt, sondern in ihre Heimat entlassen werden.

taz: Haben Sie eine Antwort erhalten?

Baskin: Ich erwarte keine Antwort. Ich habe dem ägyptischen Geheimdienst und einem hohen Beamten in Katar meinen Vorschlag geschickt und wiederholt nachgehakt. Ich bin eine kleine Nervensäge.

taz: Auf der einen Seite rüsten die USA Israel massiv auf, damit es den Krieg fortsetzen kann. Auf der anderen Seite warnen sie Benjamin Netanjahu davor, den Krieg auszuweiten, etwa im Libanon. Ist diese Haltung nicht sehr widersprüchlich?

Baskin: So war das schon immer. Die USA sind keine neutralen Vermittler. Sie stehen auf der Seite Israels, und selbst nach den beiden Anschlägen, die Israel jetzt mutmaßlich verübt hat, haben sie Israels Recht auf Selbstverteidigung bekräftigt. Sie schicken Kriegsschiffe in die Region, und sollte der Iran Israel erneut angreifen, werden sie zur Stelle sein, um Raketen oder Drohnen abzuschießen, die auf Israel abgefeuert werden. Das hat zum Teil mit gemeinsamen Werten zu tun und zum Teil mit der Macht der Fundamentalisten unter den evangelikalen Christen in den USA und der pro­israelischen Lobby in Washington. Die USA nehmen die Welt traditionell so wahr, dass es eine Achse des Bösen gibt, die vom Iran angeführt wird, und mit der Hisbollah, der Hamas und den Huthis als deren Stellvertretern, während der Iran Amerika als den großen Teufel und Israel als kleinen Teufel darstellt. Es gibt hier also definitiv zwei Seiten.

taz: An der libanesisch-israelischen Grenze gibt es eine UN-Friedensmission, und mit Amos Hochstein hat Joe Biden einen US-Gesandten in die Region entsandt, der vermitteln soll. Gibt es Chancen, wenigstens an dieser Grenze Frieden zu schaffen?

Baskin: Der Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah wird erst dann enden, wenn der Krieg in Gaza endet – das eine ist mit dem anderen verbunden. Im Moment müssen wir uns auf eine Reaktion der Hisbollah, der Hamas und des Iran einstellen. Sollte sich diese Reaktion in Grenzen halten oder es nur minimale Verluste und Schäden geben, könnte Amos Hochstein wieder vermitteln. Wenn der Krieg in Gaza zu Ende ist, müssen sich die Amerikaner, Franzosen und Briten intensiv für ein Abkommen zwischen Israel und dem Libanon einsetzen. Der Konflikt ist lösbar, aber auf beiden Seiten fehlt derzeit der politische Willen dafür. Das alles bringt uns zurück zum Kern des Nahostkonflikts, dem israelisch-palästinensischen Konflikt. Der muss gelöst werden. Dies muss wirklich der letzte israelisch-palästinensische Krieg sein.

taz: Manche meinen, mit den beiden gezielten Attentaten in Beirut und Teheran könnte Netanjahu sagen, er habe seine Kriegsziele erreicht, und den Krieg beenden. Was halten Sie davon?

Baskin: Nein, das glaube ich nicht. Das Attentat auf Hanijeh war eine Botschaft an Iran und dessen neuen Präsidenten. Netanjahu hat nicht die Absicht, den Krieg zu beenden – zumindest nicht, solange Jahia Sinwar lebt.

taz: Warum riskiert Netanjahu eine Eskalation?

Baskin: Weil der Iran für Israel eine echte Bedrohung darstellt. Und es gibt Leute in Netanjahus Kabinett, die eine Eskalation wollen. Sie wollen, dass Israel in den Libanon einmarschiert und die Hisbollah aus dem Grenzgebiet vertreibt. Der Angriff auf Beirut sollte zeigen, dass Israel in der Lage ist, den Libanon in die Steinzeit zurückzubomben, wie es schon im letzten Krieg 2006 hieß.

taz: Beim letzten Mal haben Hisbollah und Iran verhalten reagiert und Raketen geschickt, die leicht abgewehrt werden konnten. Das war nach dem israelischen Luftangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus und der gezielten Tötung von Hamas-Kommandant Saleh al-Aruri in Beirut. Warum riskiert Israel jetzt eine erneut eine Eskalation?

Baskin: Israel hat am 7. Oktober seine gesamte Abschreckungskraft verloren. Die extreme Zerstörung des Gazastreifens und die anderen Reaktionen sollen allen potenziellen Feinden die Botschaft vermitteln: Legt euch nicht mit uns an. Wir haben es am 7. Oktober vermasselt, aber wir werden es nicht noch einmal vermasseln.

taz: Was könnte den Krieg beenden?

Baskin: Ich glaube nicht, dass die Lösung aus Israel kommen wird. Netanjahu hat freie Hand zum Handeln. Die Mehrheit der Israelis scheint zu wollen, dass Israel noch härter zuschlägt. Netanjahu ist zur Geisel seiner Koalition aus rechtsgerichteten fanatischen Verrückten und seiner eigenen politischen Probleme geworden. Möglich ist, dass er den Krieg beendet, sobald sie Sinwar finden und töten. Das wäre ein Grund für Netanjahu, zu sagen: Wir haben unseren totalen Sieg errungen. Eine andere Möglichkeit wäre, dass die Vermittler ein Abkommen auf den Tisch legen und Druck aufbauen, das Abkommen zu akzeptieren. Das Militär und der Geheimdienst in Israel sind müde. Sie wollen den Krieg nicht fortsetzen. Aber die Regierung entscheidet darüber, nicht sie. Die Hamas im Gazastreifen wird nicht aufgeben. Viele glauben, dass es ihr Gebot ist, als Märtyrer zu sterben. Das gilt auch für die Hisbollah. Man kann jeden Hisbollah-Kommandeur umbringen. Es gibt immer jemanden, der ihn ersetzt.

taz: Und wenn die USA und ihre Verbündeten Israel androhen, keine Waffen mehr zu liefern?

Baskin: Das ist nicht sehr wahrscheinlich. Die Briten bewegen sich in diese Richtung. Aber die israelische Armee hat gerade einen Vertrag mit Elbit abgeschlossen, einem israelischen Unternehmen, das seine eigene Waffenproduktion erhöhen wird. Israel wird also viel mehr selbst produzieren – und weniger von den USA und anderen Staaten abhängig sein, was die Bomben angeht, die auf Gaza abgeworfen werden.

taz: In Deutschland und den USA gibt es Proteste, um die Waffenlieferungen zu stoppen.

Baskin: Ja. In Israel denkt man, dass diese Demonstrationen alle antisemitisch seien. Aber es ist nichts falsch daran zu fordern, dass Palästina vom Fluss bis zum Meer frei sein soll – wenn man damit meint, dass Juden und Araber dort als Gleiche in einem demokratischen Staat leben sollten.

taz: Was gibt Ihnen die Hoffnung, dass der Konflikt jemals gelöst wird?

Baskin: Wir haben keine andere Wahl. Zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer leben sieben Millionen Israelis und sieben Millionen Palästinenser, und sie werden nirgendwohin gehen. Wir müssen akzeptieren, dass jeder, der hier lebt, das gleiche Recht auf die gleichen Rechte hat. Selbst wenn beide Seite glauben, dass Gott ihnen dieses Land gegeben hat, müssen sie das gegenseitige Recht der anderen auf eine selbstbestimmte Existenz anerkennen. Wir wissen, wie eine Lösung aussehen und wie wir sie vorantreiben könnten. Aber dazu müssen wir unsere aktuellen Führungen loswerden. Wir brauchen Menschen, die nach vorne schauen und nicht zurück.

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