: Eine Wahl ohne Gewinner
Amtsinhaber Maduro sieht sich nach der Präsidentschaftswahl in Venezuela als Sieger – die Opposition ebenfalls, und spricht von Wahlfälschung. Auf den Straßen bleibt es ruhig
Aus Caracas Sarah Himmel
Um sechs Minuten nach Mitternacht ist es in der Nacht zu Montag so weit, nach stundenlangem Warten: Elvis Amoroso, der Vorsitzende des Wahlrats CNE, tritt in Caracas vor die Öffentlichkeit. Wegen eines „Angriffs auf die Datenübertragung“ sei es zu Verzögerungen gekommen. Doch mit 80 Prozent der übermittelten Ergebnisse stehe unumkehrbar fest: Amtsinhaber Nicolás Maduro sei der Sieger der venezolanischen Präsidentschaftswahl.
Ausgerechnet am 70. Geburtstag von Hugo Chávez, der Nicolás Maduro auf dem Sterbebett als Nachfolger eingeschworen hatte, hat sich sein Kronprinz die dritte Amtszeit gesichert. Daran erinnert Maduro in seiner Siegesrede: „Ich bin ein Mann des Friedens und des Dialogs“ – nachdem er zuvor über mögliche Blutbäder geredet hatte, sollte die Opposition gewinnen, und mit Bürgerkrieg gedroht hatte.
Der Wahlratsvorsitzende Amoroso kündigte indes sofort bei der Bekanntgabe des Ergebnisses an, den Generalstaatsanwalt einzuschalten: wegen der „terroristischen Aktivitäten“ gegen die eingerichteten Wahlzentren, gegen Beamte, und gegen das Datenübertragungssystem für die Stimmabgabe. Das kann man auch als Drohung gegen die Opposition verstehen, die zuvor zur Wahlbeobachtung aufgerufen hatte.
Laut Wahlrat lag die Wahlbeteiligung bei 59 Prozent. Davon hätten 51,2 Prozent für den Amtsinhaber von der Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) gestimmt, 44,2 Prozent für Edmundo González, den Oppositionskandidaten des Demokratischen Einheitsbündnisses (PUD). 4,4 Prozent entfielen demnach auf „sonstige“ Kandidat:innen.
Die Opposition reklamiert unterdessen den Wahlsieg ebenfalls für sich. Kandidat Edmundo González und Oppositionsführerin María Corina Machado traten in den frühen Morgenstunden, eine Stunde nach dem Wahlrat, vor die Presse. „Wir wollen allen Venezolaner:innen und der ganzen Welt sagen: Venezuela hat einen neuen gewählten Präsidenten – und das ist Edmundo González Urrutia!“, sagte Machado. Nachwahlumfragen hätten ein Ergebnis von 70 Prozent der Stimmen für den Oppositionskandidaten ergeben.
Auch aus den bisher der Opposition vorliegenden Wahlprotokollen gehe der Wahlsieg Gonzaĺez' eindeutig hervor, sagte Machado. In der Nacht zu Montag hätten erst 40 Prozent dieser Protokolle vorgelegen, stellte sie bei ihrem Auftritt vor der Presse klar. Stunden vorher hatte der Generalsekretär der Opposition bereits beklagt, dass die Regierung die Weitergabe der Protekolle erschwere.
Machado ruft die Menschen auf, mit ihren Familien zu den Wahlzentren zu gehen und den Rest des Nachzählungsprozesses zu überwachen. Man müsse stark bleiben, um in den kommenden Tagen die Wahrheit zu verteidigen.
Der Spitzenkandidat bemühte sich derweil um deeskalierende Worte: „Niemand ruft zu Gewalt auf der Straße auf“, stellte González klar. Und betonte auch: „Hier wurden alle Wahlregeln verletzt.“ In den seriösen Umfragen hatte er unmittelbar vor dem Wahltag mit 20 bis 30 Prozent geführt.
Der renommierte Wahlexperte Eugenio G. Martínez hatte schon kurz nach der Verkündigung des „Ergebnisses“ auf X schwerwiegende Fehler bei der Erklärung des Wahlratsvorsitzenden Amoroso angemahnt: Es sei falsch, das Ergebnis als „unumkehrbar“ zu bezeichnen. Zudem habe zum Zeitpunkt seines Posts Montagfrüh die Ergebnisse noch niemand überprüfen können.
Der Wahlsonntag selbst war größtenteils ruhig verlaufen. Jorge Rodríguez, Parlamentspräsident und Maduros Wahlkampfleiter, sowie Verteidigungsminister Vladimir Padrino López erklärten, die Venezolaner:innen hätten ein Zeichen des Friedens gesetzt. Diesen Frieden werde man in den folgenden Tagen verteidigen. Auch dies nur eine leicht verklausulierte Drohung gegen mögliche Proteste.
In der Nacht kursierten über Whatsapp und soziale Medien Bilder von Soldaten und den typischen regierungsnahen Motorrad-Schlägertruppen, dazu von Verletzten und mindestens einem Toten. Verifizieren ließen sie sich vorerst nicht. Seriöse Berichte von Menschenrechtsorganisationen sollen frühestens Montagabend erscheinen.
Die internationale Wahlbeobachtung war minimal. Die geplante EU-Mission hatte das Regime kurzerhand wieder ausgeladen. Ein Grüppchen von EU-Parlamentariern soll auf Einladung im Land gewesen sein, dazu eine mit eingeschränkten Befugnissen ausgestattete UN-Mission und das Carter-Center, eine US-amerikanische NGO. Die Opposition sagte: 51 von ihr eingeladene internationale Wahlbeobachter seien entweder an der Einreise gehindert oder vorübergehend festgenommen worden.
Die kolumbianische Senatorin Angélica Lozano, Ehefrau der ehemaligen grünen Bürgermeisterin von Bogotá, sagte, sie sei nicht ins Land gelassen worden. Ihr Pass sei ihr für über eine Stunde weggenommen worden.
Den Landsleuten im Exil, die wegen der wirtschaftlichen und politischen Krise aus Venezuela ausgewandert sind, wurde es durch bürokratische Hürden praktisch unmöglich gemacht, mitzustimmen – wohl aus Befürchtung, sie würden für die Opposition stimmen. So durften von den fast 3 Millionen Venezolaner:innen in Kolumbien, wo die meisten der rund 7,7 Millonen Ausgewanderten leben, nur etwa 7.000 wählen.
Weil die internationale Wahlbeobachtung praktisch fast komplett ausfiel, fiel der inländischen besondere Bedeutung zu. Die Opposition hatte im Vorfeld verkündet, für rund 90 Prozent der Wahltische Wahlzeug:innen organisiert zu haben. In mehreren Berichten von Wahlzeug:innen hieß es, dass ihnen der Zugang zu Wahllokalen verwehrt wurde.
Nach Verkündigung des Ergebnisses blieb es gespenstisch ruhig. Auf der Plaza de Altamira lagen in den frühen Morgenstunden etwa 100 für Demonstrationen gepanzerte Polizisten im Gras und auf Bänken und schliefen, offenbar nach einem langen Arbeitstag. Keine Feier, keine Proteste. Allerdings hörte man am Vormittag „Cacerolazos“: eine typische lateinamerikanische Protestform, wo Leute im Fenster hängen und auf Töpfe hauen.
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