Ort wehrt sich gegen Klinik-Schließung: Die Axt angesetzt
Das Krankenhaus St. Raphael in Ostercappeln muss schließen. Der marode Klinikverbund, zu dem es gehört, verkauft das den Anwohnern als gute Nachricht.
Protest brandet auf. Christina Jaax, Geschäftsführerin des Niels-Stensen-Klinikverbundes (NSK), zu dem das SRO gehört, hat einen schweren Stand.
Am 6. Juli setzt der Protest sich fort. 2.000 Menschen sammeln sich zu einer Demo, darunter SRO-Mitarbeitende in Dienstkleidung. Banner wie „Wir retten Leben! Wer rettet uns?“ sind zu sehen.
Das 170-Betten-Haus bietet Hunderte Arbeitsplätze und betreut pro Jahr bis zu 21.000 Patienten. „Wir sind bis zum 31.07.2025 weiterhin für Sie da“, steht auf seiner Website. Danach werden seine Leistungen ins Christliche Klinikum Melle (CKM) und ins Franziskus-Hospital Harderberg (FHH) verlagert, beide Teil des Klinikverbundes und rund 30 Fahrminuten von Ostercappeln entfernt.
Kliniken geschlossen oder degradiert
Der Grund ist die „Medizinstrategie 2028“ des NSK, 7.000 Mitarbeitende stark, in Stadt und Landkreis Osnabrück, im Emsland. Sie zielt auf Schwerpunktbildung. Deren Kern: der Maximalversorger Marienhospital Osnabrück (MHO).
Neben dem St. Raphael in Ostercappeln werden die Geburtshilfe und Gynäkologie in Melle und die Geburtshilfe in Harderberg geschlossen. Leistungen des Osnabrücker Niels-Stensen-Standortes Natruper Holz werden nach Osnabrück verlegt. Vor Kurzem hatte der NSK das Marienhospital Ankum-Bersenbrück zum Regionalen Gesundheitszentrum degradiert.
Die geplante Schließung des Krankenhauses St. Raphael sei eine „historische Fehlentscheidung“, schreibt Erik Ballmeyer (CDU), Ostercappelns Bürgermeister, der taz. „Für die Gemeinde würde das einen erheblichen Verlust an Kaufkraft, Lebensqualität und Vertrauen in politische Entscheidungen bedeuten.“
Ballmeyer ist kämpferisch: „Nach anfänglicher Ohnmacht und Ungläubigkeit wechselt in der Öffentlichkeit die Wahrnehmung in Wut und Unverständnis.“
Kritik am Sanierungskonzept
Der Bürgerdialog habe „kein Vertrauen in den Sanierungsplan und die Zukunft der Gesundheitsversorgung gebracht“, sagt Ballmeyer, der selbst mit auf dem Podium stand. „Das kann man auch nicht erwarten, wenn man mit so einer stringenten Linie den Bürgern gegenübertritt.“
Aus Ballmeyers Sicht berücksichtigt das Sanierungskonzept nur Betriebswirtschaftliches und Medizinstrategisches, „völlig eingeengt“. Und selbst diese Aspekte hätten nicht überzeugend dargelegt werden können. Ballmeyer hofft, „dass noch rechtzeitig erkannt wird, dass Alternativen zur Schließung nicht ausreichend geprüft wurden“.
Die Gemeinde Ostercappeln habe sich angeboten, finanziell zur Stützung des St.-Raphael-Krankenhauses beizutragen. „Das ist im Rahmen der Erstellung des Sanierungskonzeptes nicht weiter betrachtet worden“, bedauert der Bürgermeister.
Radikaler Wandel des Klinikverbundes
Der radikale Wandel des Klinikverbundes hat eine Vorgeschichte. Ökonomisch hänge der Verbund „am seidenen Faden“, sagt Landrätin Anna Kebschull (Grüne) der taz. Sie war beim Bürgerdialog und bei der Demonstration dabei. „Ich verstehe die Trauer, die Angst um die Daseinsvorsorge, die Sorge vor längeren Wegen“, sagt die Landrätin. „Das Problem ist, wenn der NSK sich nicht reformiert, gerät er als Ganzes ins Straucheln, und das wäre für unsere Gesundheitsversorgung fatal.“
Verantwortlich für die Insolvenzgefahr sei, so die Landrätin, die Politik der letzten Jahrzehnte in Berlin, die Rahmenbedingung, dass eine Klinik ihr Geld über Fallpauschalen erhält: „Die Finanzierung hat keine Grundversorgung mitgedacht“, sagt Kebschull. „Man musste Behandlungen bevorzugen, die viel Geld erlösen, ob sinnvoll oder nicht, die Kosten sind explodiert, und die Folge war ein Kliniksterben.“ Das Bundesgesundheitsministerium will diese Fallpauschalen künftig durch eine Vorhaltevergütung ersetzen, eine Grunddeckung.
Es gelte jetzt, Ostercappeln als Gesundheitsstandort zu sichern. „Die Gespräche, die wir dazu führen, gemeinsam mit den Bürgermeistern, der Kreispolitik, dem Krankenhausträger, sind und werden intensiv“, sagt Kebschull. „Wir haben wenig Zeit; je länger wir im luftleeren Raum hängen, desto geringer wird das Vertrauen der Mitarbeitenden des NSK. Dann wandern sie womöglich ab.“ Angesichts des derzeitigen Fachkräftemangels bestehe darin das größte Risiko.
„Die Diskussion ist sehr verständlich, teils hochemotional“, sagt die Landrätin. Wichtig sei es in dieser schwierigen Situation, sich nicht zu bekämpfen, sondern gemeinsam eine Lösung zu suchen.
Das St.-Raphael-Krankenhaus habe „in den letzten Jahren ein negatives Jahresergebnis von deutlich über einer Million Euro ausgewiesen“, schreibt NSK-Sprecherin Ute Laumann der taz. Keine dramatische Zahl. Aber sie sei auch nicht primär die Ursache der Schließung, so Laumann.
Anna Kebschull, Landrätin des Kreises Osnabrück
Es gehe „um die Notwendigkeit, ein verbundweit abgestimmtes Sanierungskonzept mit der Bündelung von Leistungsbereichen an bestimmten Standorten in der Region Osnabrück zu erreichen“. Beim verbundweiten Defizit bleibt Laumann mit „in achtstelliger Millionenhöhe“ vage.
In der Tat funktioniert die Verlagerung des Ostercappelner Medizinangebots nach Osnabrück und Melle nur, wenn die Belegschaft den Wandel mitmacht. Das sei „der wesentliche Erfolgs- und damit auch Risikofaktor“ der Strategie 2028, räumt Laumann ein. Man sei aber „sehr zuversichtlich“. Betriebsbedingte Kündigungen sind nicht auszuschließen: „Wir gehen von maximal 115 Kündigungen aus, davon maximal 70 am Standort Ostercappeln.“
Ob die Reorganisation gelingt, ist auch eine Frage der Kommunikation. Statt deutlicher den seidenen Faden zu erklären, behauptet der NSK, die Schwerpunktbildung stärke die Qualität der Versorgung. „Wenn Kompetenzen noch besser gebündelt werden, sichert das eine maximale Behandlungsqualität“, verspricht Laumann. Aber der Kahlschlag in der Fläche bleibt.
Der Um- und Ausbau des Marienhospitals Osnabrück, der das alles auffangen soll, ist schon seit Jahren in Planung und teuer: 340 Millionen Euro seien „im Gespräch“, sagt Laumann. Sie kommen vom Land Niedersachsen. Ab dem Jahr 2028 sollen eine Zentrale Notaufnahme, ein OP-Bereich mit 13 Sälen, eine Intensivstation mit 72 High-Care-Betten, zwei Pflegestationen mit 136 Betten für die Allgemeinpflege und eine Technikzentrale entstehen.
Keine Übernahme durch den Staat
Eine Übernahme von Ostercappeln durch die öffentliche Hand ist nicht im Gespräch. Die Schließung von Ostercappeln sei „integraler Bestandteil der Medizinstrategie“, betont Laumann. Werde die Strategie nicht umgesetzt, betrage das daraus entstehende Defizit für den NSK „mehr als 20 Millionen Euro pro Jahr“.
Zu den NSK-Gesellschaftern gehört auch der Bischöfliche Stuhl zu Osnabrück mit 41 Prozent. Dominicus Meier, ab Herbst Osnabrücks neuer Bischof, ist für die Frage der taz, wie es zusammenpasst, dass der Verbund sich in seinem Leitbild als „christlich“ bezeichnet, zugleich aber die Versorgung massiv einschränkt, noch nicht zuständig.
Der Bischöfliche Stuhl sehe, teilt Diözesanadministrator Johannes Wübbe der taz zur NSK-Strategie mit, „keine Alternative zu den darin festgelegten Maßnahmen“. Besonders bedauere man, „dass für den Klinikstandort Ostercappeln keine zukunftsfähige Lösung gefunden werden konnte“.
L. (Name der Redaktion bekannt), niedergelassener Arzt aus dem Wittlager Land, der auch für Kollegen spricht, betrachtet die möglichen Schließung des St. Raphael mit „großer Sorge“, wie er der taz sagt. Es sei ein Krankenhaus mit „hervorragender medizinischer Qualität“. Es bleibe leider völlig unklar, wo dessen Patienten künftig versorgt werden sollen.
Die Medizinstrategie 2028 überzeuge nicht. Sie sei vor allem eine Finanzstrategie, um der akuten finanziellen Not zu entgehen. „Wir befürchten, dass die Versorgung unserer Patienten schlechter wird, Wartezeiten massiv zunehmen, die verbleibenden Krankenhäuser mit dem Zustrom der Patienten überfordert sein werden.“
Auf dem Land „unverzichtbar“
Das St. Raphael sei nach Ansicht seiner Kollegen für die Menschen in der ländlichen Region um Ostercappeln nicht verzichtbar, sagt L. Die NSK-Geschäftsführung sei in der Pflicht, mit der Politik, den Kommunen, dem Kreis und dem Land nach Möglichkeiten zu suchen, das Krankenhaus zu erhalten.
Bürgermeister Ballmeyer sieht das genauso: „Diese Möglichkeit muss man sich leisten wollen“, sagt er.
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