Neue Lernkultur in Hamburg: Gymnasium ohne Noten

Hamburg erlaubt allen Schulen, auf Zensuren zu verzichten. Voraussetzung ist, dass sie einen zweijährigen Schulentwicklungsprozess durchlaufen.

Ein Zettel mit Schrift und Zahlen, davor zwei Hände

Nicht objektiv – aber immer noch weit verbreitet: das Notenzeugnis Foto: Guido Kirchner/dpa

HAMBURG taz | Es löste einigen Wirbel aus, als Hamburgs Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD) Anfang Juli im taz-Interview erklärte: „Wer mitmachen möchte, kann mitmachen“ und damit den Schulversuch „Alleskönner“ meinte, der es einigen Schulen erlaubt, bis Klasse 9 auf Zensuren zu verzichten. Denn als vor zwei Jahren der Versuch verstetigt wurde, hatte der Senat auf eine Linken-Anfrage geantwortet, eine Teilnahme weiterer Schulen sei nur „im Einzelfall“ möglich.

Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus (Linke) stellte nach dem taz-Interview eine neue Anfrage und erhielt als Antwort nun, dass alle Schulen das Alleskönner-Konzept übernehmen können. Sie müssen dafür eine „Ziel- und Leistungsvereinbarung“ abschließen, mit der sie festlegen, dass sie in einer zweijährigen Schulentwicklung die Voraussetzungen für eine „notenfreie Bewertung“ schaffen. Dazu zählen Hospitationen und der Austausch mit anderen Alleskönner-Schulen.

An dem 2008 gestarteten Versuch nahmen ursprünglich 40 Schulen teil: 27 Grundschulen, elf Stadtteilschulen und zwei Bildungszentren. Eine Auswertung des Versuchs im Jahr 2021 ergab, dass sich die dort erprobte kompetenzorientierte Lernkultur vor Ort hoher Akzeptanz erfreute. Zwar unterschieden sich die fachlichen Kompetenzen der Schüler nicht von anderen, wohl aber entwickelten sich „überfachliche Kompetenzen“ günstiger, die etwas sperrig „lernmethodische Kompetenzen“ oder „motivationale Kompetenzen“ heißen.

Wie ebenfalls aus der Linken-Anfrage hervorgeht, traut sich nun sogar ein Gymnasium an den notenfreien Unterricht heran. Schon seit dem vergangenen Schuljahr lernt der Jahrgang sieben am Gymnasium Altona mit neuen Lernformen analog zum Alleskönner-Versuch. Vor allem für Schüler und Eltern sei dort Leistungsdruck ein „wesentlicher Negativpunkt“ gewesen, heißt es auf der Homepage. Dabei seien laut der Lernforschung die Noten und die „einheitlich terminierten Lern­erfolgskontrollen“, sprich Klausuren, der Dreh- und Angelpunkt.

Statt Noten jede Woche ein Gespräch

In allen Fächern, sogar in Sport, gibt es dort nun „kompetenzorientierte Rückmeldungen“. Und es gibt in Deutsch, Mathe sowie Englisch Phasen des Selbstlernens und Phasen des angeleiteten Lernens. Einmal die Woche setzt sich eine Lehrkraft mit jedem Schüler zur Beratung hin. In einem „Pilotheft“ werden alle erworbenen Kompetenzen erfasst.

Ebenfalls in jüngerer Zeit kamen weitere Grundschulen und eine Stadtteilschule hinzu. „Das weist in die richtige Richtung“, sagt Sabine Boeddinghaus. Denn Noten, Angst und Prüfungsstress seien schlechte Lehrmeister. Die nun von der Schulbehörde gezeigte „klare Haltung“ begrüße sie. Da nun klar sei, dass alle Schulen das Konzept übernehmen können, sei „ein Grundstein für eine wirkliche Verbesserung des Bildungssystems gelegt“.

Gleich mit einem offenen Brief an die Senatorin reagierte das Bündnis „Bildungswende jetzt! Hamburg“. Noten bedeuteten Willkür und könnten „niemals objektiv sein“ heißt es darin. Fast 60 Prozent der Grundschüler erlebten eine „hohe bis mittlere Ängstlichkeit“ in den Fächern Deutsch und Mathematik. Da sei die Abkehr von diesem Druck „längst überfällig“ und positiv für die psychische Gesundheit der Kinder.

Bekeris’ Abschaffung der Notenpflicht bis Klasse 9 sei ein „mutiges Zeichen“. Hamburg könne mit diesem innovativen Weg ein „role model für ganz Deutschland“ werden, schreibt das Bündnis von Hamburger „Menschen, die was mit Bildung zu tun haben“, wie Eltern, Lehrkräfte und Studierende. Gleichwohl mahnt ihr Offener Brief weitere Reformen an wie die Abschaffung der getrennten Säulen Stadtteilschule und Gymnasium.

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