Die Kunst der Woche: Nicht in Schönheit zu sterben

Ellen Berkenblits kecke Frauen bei CFA, Gallis ungestüme Malerei im Palais Populaire und Ikonen der Zeitgeschichte im Volkswagen Forum.

Ausstellungsansicht mit Gemälden

Kecke Nasen: Ellen Berkenblit bei CFA, Installationsansicht Foto: Courtesy Contemporary Fine Arts. Photo: Nick Ash

Ein weiblicher Akt hält triumphierend seinen abgetrennten Kopf in die Höhe, das ist vielleicht besonders krass, aber es gibt auch abgeschlagene Hände und Hufe, die auf dem Boden liegen, durchbohrte, aufgespießte Körper und abgetrennte Arme.

Es geht grausam zu, in den Zeichnungen und Gemälden von Galli. Aber nicht nur. Es gibt auch leidenschaftliche Umarmungen, so innig, dass die Körper miteinander verschmelzen, wunderbare Tiere und fantastische Fabelwesen, wobei die einen von den anderen oft kaum zu unterscheiden sind, und Pilze, vor allem aber Hocker, auch zu den lebendigen Wesen zählen.

Es braucht die Grausamkeit, die mit der entschiedenen Geste korrespondiert, mit der die Künstlerin ihre Figuren und ihre Farben auf die Leinwand setzt. Denn Bilder können wie Galli sagt, „entsetzlich schön“, also perfekt sein – und dagegen muss etwas getan werden. Für Anna-Gabriele Müller wie Galli mit bürgerlichem Namen heißt, ist Kunst eine viel zu vitale Angelegenheit, um in Schönheit zu sterben – oder in Schrecken. Die Malerei hält alle Mittel bereit, auf des Messers Schneide zu agieren.

„Je schräger die Farbgebung ist, umso reizvoller ist es … sporadisch geht das in Geschmacklosigkeit über“, wird sie an der Wand im Palais Populaire zitiert. Dort ehrt die Kunstabteilung der Deutschen Bank die in diesem Jahr 80 Jahre alt gewordene Künstlerin mit der Ausstellung „Seht zu, wie ihr zurechtkommt.“

Die im Saarland geborene Galli kam 1969 zum Studium an die HdK nach Berlin. Schon in dieser Zeit entwickelte sie ihren expressiven, ungestümen Malerstil, mit dem sie später zu den Neuen Wilden gezählt wurde, deren rasanter Aufstieg Ende der 70er Jahre mit ihren ersten Ausstellungen und Erfolgen zusammenfiel.

Galli, o.T., 1989, Detail-Ausschnitt Foto: Courtesy the artist and Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin

Dann wurde sie aber, wie bei Künstlerinnen die Regel, vergessen. Um im hohen Alter als Pionierin auf ganz eigenen Wegen erkannt zu werden, Maria Lassnig viel näherstehend als Rainer Fettig oder Salomé. Oft wird die radikale Körperlichkeit ihrer Figuren mit ihrer Kleinwüchsigkeit in Verbindung gebracht, wozu sie sagt: „Das ist klar, aber es ist zu kurz gegriffen, wenn man es zu sehr auf die Kleinwüchsigkeit bezieht. Der Körper als Schlachtfeld, das betrifft jeden.“

Und wie man in einem ihrer von Videos begleiteten Künstlerbüchern sehen kann, skizziert Galli eben auch das genüssliche Wannenbad. Allein die laufende Waschmaschine und der beladene Wäscheständer wären in feministischer Lesart als eine erweiterte Kampfzone auszumachen. Gallis Kunst ist vielschichtig, das zeigt die zentrale Arbeit der Ausstellung. Auf den rund 80 „Index Cards“ (2002–06), Karteikarten mit Zeichnungen auf der Vorder- und Rückseite, erhält dieser häusliche Alltag künstlerische Größe und aus den blutigen Fragmenten erwächst die Zärtlichkeit der Farben und der Zauber der Dinge (bis 7. Oktober, Palais Populaire, unter den Linden 5, Mi-Mo11-18 Uhr, Do 11-21 Uhr).

Junge Frauen mit kecken Nasen bevölkern die Leinwände von Ellen Berkenblit, deren erste Einzelausstellung in Deutschland bei CFA läuft. Oft bewegen sie sich in die eine Richtung, schauen aber in die andere. Was für eine geniale Zustandsbeschreibung! Die jungen Frauen, jungen Mütter und Mädchen, die neben der spitzen Nase durch große, schwarz umrandete Kulleraugen und einen winzigen, gerne skeptisch geschürzten Strichmund charakterisier sind, sie sind hin- und hergerissen, unsicher und zugleich neugierig auf das Leben und offen für die Welt.

Sie schauen und sie staunen. So wie das rothaarige Mädchen, das in „Moon Garden“ (2024) andächtig zum Vollmond aufschaut, der hochromantisch hinter schmalen Wolkenbändern hervorlugt, während sich am linken Bildrand eine riesige Katze mit entsprechend riesigen Augen anschleicht.

Und auch wir schauen und staunen. Wie Berkenblit mit wenigen Linien und Farben ein ganzes Repertoire von Affekten sichtbar macht: Verwunderung, Belustigung, Ratlosigkeit, Andacht oder Verärgerung. Dass ihre Bilder den Charme alter Cartoons haben, es fällt einem Charlie Brown und sein gekringelter Mund ein, liegt an dieser Evokation von Gefühlen, nicht an der Stereotypisierung ihrer Figuren.

Berkenblits Dramaturgie der malerischen Mittel ist großartig. Man muss es sehen, wie sie die Farben setzt, wie sie etwa in „Time Outside“ (2023) die über die Schulter fallenden Haare mit quer liegenden Rechtecken ausstattet, wie sie der Goldkette der Mutter mit ein wenig Weiß einen Glanz verleiht, wie wir ihn von den alten Meistern kennen; wie sie mit dem Maßstab spielt und ihre Stubentiger in einer Vergrößerung zeigt als wären sie wirkliche welche.

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Und dann, wenn man nahe an die Bilder herantritt, entdeckt man die abstrakte Komposition. Die Figur verschwindet, die mögliche Erzählung, und es bleibt die faszinierende Sprache der Farben (bis 3. August, Contemporary Fine Arts, Grolmanstr. 32/33, Mo-Fr 10-18 Uhr, Sa 11-17 Uhr).

Ein Tipp noch am Rande. Wer an heißen Tagen Unter den Linden unterwegs ist und Abkühlung sucht, sollte sich ins gut klimatisierte Volkswagen Forum begeben. Dort wird er oder sie zudem von der Ausstellung ICONIC – A Timeless Journey of Culture, Society and Mobilität angenehm überrascht sein. Gezeigt werden, wie der Titel schon besagt, Ikonen der Zeitgeschichte von 1950 bis heute, also legendäre Autos im Kontext nicht minder legendärer Produkte aus Musik, Mode, Kunst, Design und Architektur. Die Auswahl ist dem Begriff der Ikone entsprechend klein, aber fein, schließlich gibt es Ikonen ja nicht wie Sand am Meer.

Ausstellungsansicht

Installationsansicht der Ausstelung „ICONIC – A Timeless Journey of Culture, Society and Mobilität“ Foto: Moritz Gessner

Vor allem aber überzeugt das Ausstellungsdesign. Betritt man das Drive, wie das Forum genannt wird, von der Friedrichstraße aus, wird der Blick und letztlich auch die Bewegung durch eine in schönster 70er-Jahre-Pop-Art gestaltete Röhre direkt auf den ersten VW-Bus gelenkt. Das Pathos der Situation rührt ganz klar von der Erinnerung an den Kirchenraum und seiner Blickführung auf den Hochaltar her. Seitlich dieses Parcours finden sich weitere Ausstellungskabinette mit den jeweiligen profanen Heiligtümern eines Jahrzehnts.

Setzt man sich in eines der offenen, stoffbespannten, U-förmigen Wandelemente, hört man die Playlist der Zeit und findet dann beispielsweise neben dem knallgelben Lamborghini Countach die 1972 von Richrad Sapper entorfene Schreibtischlampe Tizio, den 1974 entstandenen Zauberwürfel von Ernō Rubik, die Polaroid SX-70 Sofortkamera und schließlich das perfekte Modell der Oper von Sidney des dänischen Architekten Jørn Utzon, mit Hingabe gebaut von der VW-Modellbauwerkstatt. Das Schönste (jedenfalls für mich) ist der Bildschirm, auf dem der Rumble in the Jungle, also der Kampf zwischen Muhammad Ali und George Foreman am 30. Oktober 1974 in Kinshasa läuft.

Ja, es lässt sich unser heutiges Lebensgefühl ganz gut aus diesen vergangenen gestalterischen Leitideen und folgenreichen zeitgeschichtlichen Ereignissen in Kunst und Kultur ableiten. Unsere anhaltende Faszination für das Auto und unsere Probleme mit ihm und unserer erdölbasierten Industriegesellschaft. Das zeigen nicht zuletzt die immer seltener werdenden Ikonen und ihr immer weniger gegenständliches Design. Ganz kühl, vielleicht sogar cool, wird es dann am Ende im interaktiven multimedialen „Icon’s World“-Raum, der einen Blick in die Zukunft wirft (DRIVE. Volkswagen Group Forum, Friedrichstr. 84, Mo–So 10–19 Uhr).

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war Filmredakteurin, Ressortleiterin der Kultur und zuletzt lange Jahre Kunstredakteurin der taz. Seit 2022 als freie Journalistin und Autorin tätig. Themen Kunst, Film, Design, Architektur, Mode, Kulturpolitik.

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