Infrastruktur deutscher Schwimmbäder: Deutschland säuft ab

Wer einen Schwimmkurs sucht, muss sich auf lange Wartezeiten und marode Schwimmbäder einstellen. Vom beschwerlichen Weg zum Seepferdchen.

Füsse von zwei Kindern die gerade in ein Schwimmbecken gesprungen sind

Ein Sprung in kaltes Wasser kann glücklich machen Foto: Panthermedia/imago

Das hier ist eine Sommerkolumne, der Autor ist nach Diktat abgetaucht – womit wir beim Thema wären: Es geht ums Freibad, ein Lieblingsthema der Deutschen und ihrer Journalisten. Jeden Sommer gibt es Texte, die in Nostalgie und gechlorten Jugenderinnerungen schwimmen wie die Pommes in der Mayonnaise. Dieser nicht.

Ich muss bei Freibädern nicht mehr an endlose Sommertage denken, sondern daran, dass Deutschland kaputt ist und was das wohl mit dem Aufstieg der Populisten zu tun hat. Und das kam so: Mein Sohn sollte schwimmen lernen. Nicht aus Spaß, sondern um zu überleben.

Man liest öfter, viele Menschen seien heute frustriert, weil sie erkannt hätten, dass ihre Kinder es in Zukunft nicht besser haben werden als sie selbst. Ich verlange gar nicht so viel, ich möchte nur, dass mein Kind nicht ertrinkt, und dass mir der Staat die dafür nötige Infrastruktur bereitstellt. Das ist leider nicht der Fall.

In der failed city, in der ich wohne, gibt es wenig funktionierende Schwimmbäder, Plätze im Schwimmkurs sind kaum zu bekommen. Letzten Sommer stellte ich mir den Wecker, um einen Platz in einem Seepferdchen-Kurs zu ergattern. Im Herbst bekam ich eine Mail, dass es in dem Schwimmbad einen Brand im Technikraum gegeben habe, das Bad geschlossen sei und der Kurs leider entfallen müsse.

Es gibt private Schwimmschulen, die sind teuer. Außerdem bin ich altmodisch, ich finde, dass die Fähigkeit der Bürger zu überleben etwas ist, das im ureigenen Interesse eines Staates liegen sollte. Es ist auch für die demographische Entwicklung förderlich, wenn Kinder schwimmen lernen, damit sie nicht ertrinken, bevor sie anfangen, Steuern zu zahlen oder alte Menschen zu pflegen. Der Staat scheint meine Ansicht nicht zu teilen, weshalb die DLRG darauf hinweist, dass jedes fünfte Kind zwischen 6 und 10 Jahren nicht schwimmen kann.

Der Staat erfüllt seine Aufgabe nicht

Nehmen wir drei Bäder im Radius meines Wohnorts: Eines hat den Saisonbeginn wegen Personalmangels verschoben, beim zweiten ist das Schwimmerbecken geschlossen, die Rutsche wurde wegen Sicherheitsbedenken vom TÜV gesperrt; beim dritten ist der Nichtschwimmerbereich marode und gesperrt. Im Einzugsbereich dieser drei Schwimmbäder leben mindestens 500.000 Menschen, die meisten ohne Garten oder Balkon, auf den man ein Planschbecken stellen kann.

Wenn es heißt, die deutsche Infrastruktur sei marode, ist das abstrakt. Konkret heißt es: Der Staat erfüllt seine basalste Aufgabe nicht: dass seine Bürger nicht ersaufen. Wieso soll man noch Parteien der sogenannten Mitte wählen, die Milliarden für Aufrüstung bereitstellen, aber den eigenen Staat sturmreif schießen?

Der letzte Satz war Ihnen jetzt bestimmt zu populistisch, und ich würde ja auch gern mein Mütchen kühlen, aber im Becken ist gerade kein Platz für mich.

Endlich die Seepferdchen-Prüfung

Ich habe meinem Sohn dann selbst das Schwimmen beigebracht. Es hat Jahre statt eines Schwimmkurses gedauert. Da meine natürliche Autorität in der Familie schnell hinterfragt wird, führte jedes Training zu Tränen. Es war praktisch, dass wir ohnehin Badehosen trugen und nass im Gesicht waren.

An einem sonnigen Dienstag war es so weit. Nach der Schule fuhren wir ins Freibad, um endlich die Seepferdchen-Prüfung zu machen. Als wir ankamen, hing ein Schild am Zaun, das Bad sei wegen technischer Probleme geschlossen. Wir fuhren weiter, eine halbe Stunde zum nächsten geöffneten Bad. Die Kasse war nicht besetzt, man kommt nur noch rein, wenn man sein Ticket online kauft.

Doch dann, und jetzt kommt doch noch etwas Schwimmbadnostalgie, liefen wir barfuß über die Fliesen, die bereits Risse hatten, bis an den Beckenrand. Der Bademeister gab ein Zeichen. Mein Sohn sprang. Ich war so glücklich.

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Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.

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