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Geflüchtetencamps in GriechenlandHilfe lässt auf sich warten

In griechischen Camps für Geflüchtete fehlt es seit Juli an medizinischer Versorgung. Die zuständige Organisation bittet um Nachsicht.

Vor den Mauern eines Camps für Geflüchtete in Griechenland: NGOs versuchen Menschen medizinisch zu versorgen Foto: Laurenz Paas

Ausbrüche von Krätze, die wochenlang ignoriert werden, Krankenwagen, die mehrere Stunden zum Einsatzort brauchen – immer wieder dringen Horrorgeschichten wie diese aus griechischen Geflüchtetencamps, in denen Tausende Menschen leben. Seit Anfang Juli hat sich die Situation der medizinischen Versorgung in vielen Camps offenbar noch verschärft. Der griechische Gesundheitsdienst EODY beendete Ende Juni alle medizinischen Maßnahmen vor Ort. Der Grund: Das EU-finanzierte Programm „Philos II“, das die medizinische Erstversorgung in den Camps sicherstellen sollte, läuft aus.

Das neue Programm „Hippocrates“ soll laut EU-Kommission zu einer Verbesserung der Versorgungslage führen, bringt bisher aber vor allem Ungewissheit und Sorge. NGOs und Asylsuchende schlagen Alarm: Seit Anfang Juli sei in vielen Camps kein medizinisches Personal mehr anwesend, berichten Betroffene aus unterschiedlichen Teilen des Landes. Tausende Menschen hätten nun kaum Zugang zu medizinischer Versorgung.

Die Internationale Organisation für Migration (IOM), die für die Durchführung des geplanten Folgeprogramms verantwortlich ist, widerspricht: Man habe bereits Anfang Juli mit „gezielten Maßnahmen“ begonnen, medizinisches Personal sei in allen Camps anwesend, sagt eine IOM-Sprecherin der taz. Sie bittet um Nachsicht: Das Programm befinde sich aktuell noch im Aufbau. Warum das alte Programm abrupt und vor sorgfältiger Ausgestaltung eines neuen Programms endete, beantworteten weder EODY noch IOM eindeutig. Das griechische Ministerium für Migration und Asyl beantwortete bis Redaktionsschluss keine Nachfragen der taz.

Die Schilderungen aus den Camps zeichnen ein dramatisches Bild. „Viele Menschen im Camp sind körperlich oder psychisch krank“, erzählt Fatima der taz in einem Telefongespräch. Die junge Frau, die nicht mit ihrem richtigen Namen in den Medien auftauchen möchte, ist vor dem somalischen Bürgerkrieg geflohen, seit über einem Jahr lebt sie in einem Geflüchtetencamp in Ritsona. Das Camp liegt in einem Industriegebiet etwa anderthalb Stunden Autofahrt von Athen entfernt. Fotos zeigen das Camp abgeschottet von einer hohen Betonmauer und einem Stacheldrahtzaun, an dem Überwachungskameras befestigt sind.

Über 2.000 Menschen im Camp

Zwischen 35 und 40 Grad heiß wird es hier während der Sommermonate. Laut Zahlen des griechischen Migrationsministeriums leben über 2.000 Menschen in dem Camp. Damit ist es eines der größten auf dem Festland. Fatima erzählt, viele seien durch ihre Flucht gesundheitlich vorbelastet. Andere seien wegen der Lebensumstände im Camp und der psychisch belastenden Asylverfahren erkrankt.

Ob und wann wieder Ärz­t:in­nen kommen, wisse sie nicht, sagt Fatima. „Niemand redet mit uns. Wir machen uns große Sorgen.“ Die Situation sei angespannt, Krankheiten breiteten sich durch beengte Wohnverhältnisse und unzureichende Instandhaltung der Hygieneanlagen schnell aus. „Bis zu acht Menschen sind in einem Container untergebracht“, erzählt sie. Rückzugsorte gebe es keine.

Mehrere Hilfsorganisationen berichten von ähnlichen Zuständen. Sarah Schneider ist Vorsitzende von ­Medical Volunteers International (MVI), einer Organisation, die in Camps rund um Athen arbeitet. Sie widerspricht der Darstellung des IOM: Seit Anfang Juli sei in allen Camps, in denen sie arbeiten, kein medizinisches Personal mehr vor Ort, sagt sie. Die NGOs müssten den erhöhten Bedarf nun auffangen, so Schneider. Dies sei aus Mangel an Ressourcen jedoch kaum möglich. „Dass EODY nicht mehr in den Camps aktiv ist, hat vor allem für Pa­ti­ent:in­nen mit chronischen Leiden drastische Folgen.“ Diese könnten laut Schneider kaum noch mit Medikamenten versorgt werden.

Der Handlungsspielraum der NGOs sei begrenzt. Denn seit Jahren werde ihre Arbeit systematisch erschwert, sagt sie. So dürfen NGOs seit April 2020 nur noch nach Registrierung beim Migrationsministerium ins Innere der Camps. Eine Ex­per­t:in­nen­grup­pe des Europarats kritisierte den Schritt und forderte die griechische Regierung auf, die Gesetzgebung in Einklang mit europäischem Recht zu bringen. Passiert ist seither nichts.

Sarah Schneider sagt, die Registrierungspflicht ziele vor allem darauf, die Arbeit der NGOs vor Ort komplizierter zu machen. Bei einem medizinischen Notfall schnell da zu sein sei für die meisten NGOs nicht möglich, so Schneider. „Die EODY-Mitarbeitenden konnten immerhin ein Mindestmaß an Erstversorgung gewährleisten.“ Dies habe sich nun geändert. „Wir sind schockiert von der Ignoranz der griechischen Regierung“, sagt Sarah Schneider.

Personalmangel sei ein großes Problem gewesen

Doch die Probleme bestehen nicht erst seit dem Rückzug des EODY. Fatima hat chronisches Asthma und braucht ein Spray zur Behandlung. „Das Schlafen in Containern hat meine Symptome verschlimmert“, sagt sie. „Außerdem verschmutzen die Abgase der umliegenden Fabriken die Luft im Camp.“ Sie habe immer schwerer atmen können und häufiger Asthmaanfälle gehabt. Doch der Arzt, der bis Juni ab und zu ins Camp gekommen sei, habe ihr kein Asthmaspray verschrieben. Stattdessen habe sie es selbst kaufen und bezahlen müssen. „Mir stehen im Monat 75 Euro Taschengeld zur Verfügung. Wenn ich mit dem Taxi zur nächsten Apotheke fahre und mir das Medikament kaufe, ist das Geld aufgebraucht“, sagt Fatima.

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Krankenhäuser und Apotheken liegen oft weit entfernt von den Camps. Von Ritsona aus sind es fast 20 Kilometer bis nach Chalkida, wo es Apotheken und ein kleines Krankenhaus gibt. Über­set­ze­r:in­nen stehen dort seit zwei Jahren nicht zur Verfügung. Hinzu kommt, dass laut NGOs nur sehr unregelmäßig Busse fahren. Immer wieder fielen sie über Wochen komplett aus. Eine Taxifahrt sei so oft die einzige Möglichkeit, in den nächsten Ort zu kommen.

Menschenrechtsorganisationen beklagen die Situation in den griechischen Camps seit Jahren. Das Argument: Die griechische Politik isoliere Asylsuchende in den Camps und lagere das Problem so aus. Die weite Entfernung zu urbanen Zentren erschwere die Erfüllung von Grundbedürfnissen und auch den Zugang zu Integrationsangeboten. Bis 2022 hatte ein EU-finanziertes Programm eine Alternative geboten: Im Rahmen von „ESTIA II“ waren Asylsuchenden für die Zeit der Bearbeitung ihres Asylantrags Wohnungen in Städten wie Athen bereitgestellt worden, dieses Programm hatte das Ministerium für Migration und Asyl aber Ende 2022 für beendet erklärt.

Aus den Zahlen, die das Ministerium veröffentlichte, geht hervor, dass in griechischen Camps nur wenig medizinisches Personal verfügbar war, auch als das bis Juni laufende „­Philos II“-Programm noch existierte. Im Camp in ­Ritsona war Ende Dezember 2023 ein medizinischer Angestellter für 255 Be­woh­ne­r:in­nen verantwortlich, im Camp in Korinth sogar für 706 Menschen. Fatima erzählt, der Arzt in Ritsona sei etwa zweimal die Woche für einige Stunden vor Ort gewesen. „Er hatte nie genug Zeit, alle Pa­ti­en­t:in­nen zu behandeln.“ Außerdem habe es häufig keine Über­set­ze­r:in­nen gegeben.

Ein Sprecher des EODY räumt gegenüber der taz ein, dass Personalmangel ein Problem gewesen sei. Abgesehen davon habe man die Situation aber „unter Kontrolle“ gehabt. Laut Aussage einer IOM-Sprecherin werde medizinisches Personal in Zukunft von Montag bis Freitag von 8 bis 17 Uhr anwesend sein. Nachtschichten seien nicht geplant. „Die Notfallversorgung wird durch den Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem gewährleistet.“ Dieses stehe schließlich auch Asylsuchenden zur Verfügung, wie die Sprecherin betont.

Medizinische Versorgung für Asylsuchende keine Priorität

In der Praxis scheint das aber nur eingeschränkt der Fall zu sein. „Eine Freundin von mir hatte während ihrer Risikoschwangerschaft im Camp eine starke Blutung“, erzählt Fatima. Medizinisches Personal sei nicht vor Ort gewesen. „Wir haben um 11 Uhr vormittags angerufen, der Krankenwagen war vier Stunden später da.“ Glücklicherweise sei alles gut gegangen. Auch Sarah Schneider von den ­Medical ­Volunteers International berichtet von Fällen, in denen sie trotz akuter Notlage über eine Stunde auf einen Krankenwagen gewartet hätten.

Nicht nur im Notfall leiden Asylsuchende unter dem griechischen Gesundheitssystem. Um in öffentlichen Krankenhäusern behandelt zu werden, müssen sie sich registrieren lassen und in Griechenland Asyl beantragen. Außerdem wird die Versicherungsnummer nach zweimaliger Ablehnung eines Asylgesuchs deaktiviert. In öffentlichen Krankenhäusern werden die Menschen dann nicht mehr behandelt. Häufig bleiben Asylsuchende mangels Alternativen trotzdem weiter in den Camps, von den Behörden toleriert. Ihre medizinische Versorgung hängt dann ausschließlich von den Kapazitäten der NGOs vor Ort ab.

Dass die Gewährleistung der medizinischen Versorgung für Asylsuchende keine Priorität der griechischen Behörden zu sein scheint, überrascht kaum. „Der Schritt fügt sich in das Allgemeinbild ein: Die Grundbedürfnisse Asylsuchender werden in Griechenland mit den Füßen getreten“, sagt Sarah Schneider.

Laut Berichten von NGOs hat die IOM ihre Arbeit auf der Insel Lesbos nach zwei Wochen ohne Versorgung mittlerweile aufgenommen. Bei den Camps auf dem Festland ist das aber nach Angaben von NGOs weiterhin nicht der Fall. Möglicherweise könnte das neue Programm „Hippocrates“ sogar eine leichte Verbesserung bringen. Dass sich dadurch etwas Grundlegendes ändern wird, sei aber fraglich, sagt Sarah Schneider. „Das eigentliche Problem ist die Politik, die Asylsuchende so weit wie möglich isoliert.“ Das mache die Menschen krank.

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1 Kommentar

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  • Warum wird das allseits bekannt Gabi Problem der Griechen eigentlich toleriert?



    Ist das nicht nah an einer Menschenrechtsverletzung?



    Und die EU Kommission guckt zu und a schaue auf die Finanzen. Frau von der Leyen, neue Pläne?