Schweigen und Hetzen zum 7. Oktober: Kein Judenhass, nirgends
Ich kann beim besten Willen keinen Judenhass erkennen: Adidas engagiert Bella Hadid und El Hotzo hat schon vor Monaten versagt.
Ich bin keine Freundin des Cancelns. Eigentlich. Menschen machen Fehler. Daraus lernen zu können, sollte man jedem zugestehen. Klar weiß ich, dass einem dieses Zugestehen bei manchen leichter fällt als bei anderen.
Und obwohl ich das Prinzip Leute wegen eines einmaligen Fauxpas für nicht mehr satisfaktionsfähig zu erklären, eigentlich Mist finde, bin ich natürlich auch nicht frei davon. Ich erinnere mich, wie ich nächtelang die Liste der Unterzeichner:innen des offenen Briefs von Autor:innen durchforstet habe, die sich nach dem 7. Oktober gegen das Schweigen des Literaturbetriebs zum Terror der Hamas wandten. Und wie enttäuscht ich war über all die Schriftsteller:innen, die ich gut finde und deren Namen ich dort nicht fand.
Gut fand ich natürlich auch immer El Hotzo, seine täglichen Zusammenfassungen des Irrsinns der Welt in kleinen Memes. Diese Woche ist er allerdings zu weit gegangen, als er in einem seiner Slides fragte, was der letzte Bus und das Attentat auf Donald Trump gemeinsam hätten – und mit „leider knapp verpasst“ kommentierte. Jetzt hat der RBB ihm deshalb gekündigt.
Klar, ich finde seinen Witz absolut unangemessen, auch politischen Gegner:innen wünscht man nicht den Tod. Enttäuscht von El Hotzo bin ich aber schon viel länger. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine hatte er tagelang seine täglichen Meme-Slides eingestellt – aus Erschütterung, Pietät, guten Gründen. Das fand ich toll.
Schweige-Bullshit
Am und nach dem 7. Oktober: nichts dergleichen. Kein Kommentar, nichts. Seitdem habe ich eigentlich jeden Respekt vor ihm verloren. Keine:r muss sich zu einem komplizierten Konflikt äußern, den er nicht versteht. Aber unerschüttert bleiben, ohne Anteilnahme, am 7. Oktober – das hat er mit vielen gemeinsam, enttäuschenderweise auch mit vielen Künstler:innen und Autor:innen, die ich mal mochte, aber das macht’s nicht besser.
Andererseits muss man vielleicht froh sein um jede:n, der bloß still geblieben ist.
Es gibt ja auch die Leute, die da erst so richtig angefangen haben zu sprechen. Oder Leute, wie das US-Model Bella Hadid, die schon lange vor dem 7. Oktober mit einer „From the River to the Sea“-Haltung aufgefallen war, seitdem ihre rund 61 Millionen Follower auch gern mit Hamas-Propaganda beglückt.
Jetzt hatte Adidas sie für die Kampagne für den Relaunch der Olympia-Schuhe von 1972, auch bekannt als „Samba“, gebucht – durchaus passend, schließlich wurden bei den Spielen in München damals zwei Mitglieder des israelischen Teams von einer palästinensischen Terrorgruppe massakriert, neun weitere erst als Geiseln genommen – und bei der völlig versauten Geiselbefreiung ebenfalls ermordet.
De-Provokation
Auch damals war die Erschütterung groß. So groß, dass die Bundesregierung 50 Jahre brauchte, um noch mal über die Entschädigungen nachzudenken. Adidas war ein bisschen schneller. Nach Protesten hat der Konzern am Freitag mitgeteilt, die Kampagne „überarbeiten“ zu wollen.
Aber wer weiß, vielleicht hatten die Sportler damals auch nur „provoziert“ (durch ihre schiere Anwesenheit) – so wie das Paar, das diese Woche auf der Berliner Torstraße ein Eis essen wollte (und dabei nicht von einer vorbeiziehenden Pro-Palästina-Demo gefilmt werden wollte). Später titelte eine Boulevardzeitung: „Davidstern provoziert Angriff auf zwei Juden“. Ach so. Dann macht es ja Sinn, dass eine der beiden Angegriffenen mit dem Kopf auf den Boden geschlagen wurde. War doch ansonsten ’ne friedliche Demo. Die Zeitung hat die Überschrift dann auch noch mal geändert.
Tja. Wir können alle dazulernen. Vielleicht sogar die Leserin Katrin, die diese Woche im Tagesspiegel – als Reaktion auf einen dort veröffentlichten Text – ankündigte, ihr taz-Abo zu kündigen.
Und logisch, auch ich bin für manches Unrecht sehr viel blinder als für anderes. Ich verspreche: Wenn Katrin die taz nicht cancelt, werde ich auch nicht mehr pauschal alle Zum-7.-Oktober-Schweiger:innen zu Antisemit:innen abstempeln.
Leser*innenkommentare
Janix
Der Terrorakt am 7. Oktober war gegen jüdische Israelis gerichtet, oder? Mit der Betonung auf Israelis.
Bevor die falsche Gleichsetzung durch Hamas wie Netanyahu ein hundertstes Mal eingehämmert wird:
Israelis sind _nicht zwingend auch Juden.
Juden sind _nicht zwingend auch Israelis.
Antisemitismus ist sch...
Netanyahus Politik auf eine andere Art auch, zumindest sehr kritikheischend.
Und lasst uns hier in Deutschland jedem und jeder zur Seite stehen, ob mit Kippa, Kopftuch, Kreuz oder Atheisten-T-Shirt.
Und unabhängig davon das Völkerrecht einfordern, von Assad wie von Netanyahu.
O.F.
Die Autorin hat ja nicht völlig unrecht; nur wäre mir nicht aufgefallen, dass man im Gegenzug auch von Verteidigern der israelischen Seite (oder von denen, die sich dem allgemeinen Bekenntniszwang entziehen) Distanzierungen oder auch nur Mitgefühl mit palästinensischen Opfern (die es ja nicht erst seit Beginn dieses Krieges gibt) erwartet hat. Auch die Frage, ob Rassismus und Islamophobie in dem NO-Diskurs nicht eine ebenso große Rolle spielen wie der Antisemitismus, wird eher selten gestellt. In der Tat: die Empfindlichkeiten sind nicht gleich verteilt.
Arne Babenhauserheide
@O.F. Dann hast du andere Nachrichten gesehen als ich.
Rinaldo
Hätte Israel nicht am gleichen Tag mit völlig unverhältnismäßigen und für die Befreiung der Geiseln kontraproduktiven Flächenbombardements auf Gaza reagiert, wäre die öffentliche Anteilnahme an den Opfern des Massakers bom 7.10. sicher größer gewesen. So aber überdeckten in derböffentlichen Wahrnehmung die Bilder aus Gaza die Bilder des Hamasüberfalls. Selbst Biden warnte Israel sofort nach dem 7.10. nicht die Fehler der Überreaktion auf 11.9. zu begehen. Netanjahu hat seinen miliärischen Rachegelüsten den Vorrang vor einer politisch-militärisch durchdachten Reaktion gegeben. Angesichts der unverhältnissmässigen Antwort Israels und der sich exponentiell steigernden Opferzahl in Gaza, einem Gefängnis ohne Fluchtmöglichkeiten, geriet automatisch der 7.10. in den Hintergrund. Nicht Raum für Trauer war für die israelische Regierung das Gebot der Stunde, sondern Rache. Der Rachegedanke ist aber noch nie ein guter Rstgeber gewesen.
Jim Hawkins
Das Schweigen ist in der Tat dröhnend.
Jean-Paul Sartre stellte in seinen Betrachtungen zur Judenfrage fest, die Juden hätten „leidenschaftliche Feinde und leidenschaftslose Verteidiger“.
Gegenwärtig geben erstere den Ton an. Ich glaube kaum, dass sich das noch ändern wird.