Mit genug Wein klappt's auch in Englisch: Let me say it short and pregnant

Alkohol ist ein soziales Schmiermittel: Er macht Gespräche geschmeidiger, selbst in einer Fremdsprache. Auch wenn man dabei mal kurz schwanger wird.

Leere Weinflaschen

Ist die Flasche erst einmal leer, klappt's auch mit der Sprachkompetenz Foto: Robert Michael/dpa

Vollmundig. Fleischig und fruchtig. Feste Mineralik. In der Struktur geradlinig und klar. Der hier macht eine seltene Cremigkeit. Und dieser ist so anspruchsvoll wie frisch am Gaumen.

Wenn Sie solche Sätze hören, sind Sie, ja klar, bei einer Weinprobe. Und der Winzer ist voll in seinem Element. Echte Winzer sagen nicht so was Profanes wie „mildes Pfirsicharoma, aber ein wenig Kirsche im Abgang“ oder „Hm, da schmeckt man den Südhang“. Wartet jemand an ihrem Weinprobentisch mit solchen Standards auf, können Sie getrost davon ausgehen, dass Sie nicht die einzige Person sind, die von Wein keine Ahnung hat.

Aber Sie sind schlauer, sie lassen das nicht raushängen. Sie schmunzeln leise in sich hinein und denken, diese „Komplexität im Geschmack“ und die „Restsüße, die nicht kantig schmeckt“, muss ich mir für meinen Stammtisch merken. Wenn Sie dem Wein, den Sie beim nächsten Treffen bestellen, mit einem gewichtigen Nicken eine „Körperreiche“, ein „breites Geschmacksspektrum“ oder einfach einen „Trinkfluss“ bescheinigen, dann glauben Ihnen ihre Stammtischfreunde ab sofort einfach alles.

Aber es lauern Gefahren. Im Gegensatz zu Bier­trin­ke­r:in­nen werden all jene, die eher Wein lieben, aber nicht ausreichend trinktrainiert sind, schneller betrunken. Das ist logisch: Bier enthält in der Regel rund 5 Prozent Alkohol, Wein dagegen zwischen 12 und 15 Prozent.

Soziales Schmiermittel

Drei Gläschen vom „Fränkisch Trockenen“ oder vom „Lachsrosa“ – und schon steigt die Stimmung. Und man lernt die Menschen ganz neu kennen. Hui, der Typ von gegenüber kann ja lachen. Seine Nachbarin hebt ihr Glas und ruft: „Alkohol löst keine Probleme. Aber das macht Kaffee auch nicht.“ Die Dame zwei Tische weiter empfiehlt ihren Mittrin­ke­rin­nen einen ägyptischen Liebhaber. Ihren jedenfalls könne sie „absolut empfehlen, der kann wirklich, wirklich die ganze Nacht“. Vor zwei Gläsern noch, als die Frau ihren Liebhaber erwähnte, versenkte der Tisch geschlossen seine Nasen im Glas. Der Winzer hatte dankenswerterweise gerade gesagt: „Einen zweiten Schluck nehmen und vertiefen.“

Alkohol hat einen angstlösenden Effekt, das ist wissenschaftlich bewiesen. Man könnte auch sagen, er ist soziales Schmiermittel: die gesellschaftliche Interaktion ist ruckzuck geschmeidig, das Gespräch flutscht, selbst mit dem Englischen läuft es jetzt viel leichter als mit der Sprachhemmung im nüchternen Zustand.

Schluck für Schluck steigt die Sprachkompetenz und der Chef des mittelgroßen Unternehmens, der sein Gewerbe noch nicht so richtig anpreisen konnte, will jetzt auch mal was sagen. Laut und für alle, geht ja schließlich um Deutschlands Wirtschaft. Kurz und knapp. Prägnant eben. Er ruft in den Raum: „Let me say it short and pregnant.“

Wie der Mann das mit der plötzlichen Schwangerschaft gemacht hat, ist nicht bekannt. Auch nicht, ob er Englisch fortan lieber nüchtern spricht.

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Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.

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