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Chronistin einer geschenkten Zeit

Der Posten der Hamburger StadtschreiberIn war bisher eher glanzlos. Das könnte sich mit der österreichischen Schriftstellerin Isabella Straub jetzt ändernein

Findet in Hamburg vieles, das sie an Wien erinnert: Isabella Straub Foto: Arnold Pöschl

Von Frank Keil

Beeindruckend viele Preise hat Isabella Straub, die seit Mai für drei Monate als Stadtschreibern in Hamburg ist, schon bekommen. Mit dem 1. Preis des Münchner Kurzgeschichtenpreises, sowohl der Jury und des Publikums, ging es 2011 los für die gebürtige Wienerin, die heute in Klagenfurt lebt. 2013 war sie für den Bremer Literaturpreis nominiert, bald bekam sie zweimal ein Werkstipendium des Deutschen Literaturfonds. Zwischendurch erhielt Straub den Walter-Serner-Preis, war Finalistin beim Alfred-Döblin-Preis, hatte ein Arbeitsstipendium des Landes Kärnten, ein Residenzstipendium der Roger-Willemsen-Stiftung in Wentorf bei Hamburg und einige Auszeichnungen mehr. Im vergangenen Jahr war sie Stadtschreiberin von Erfurt, nun ist sie es also in Hamburg.

Dotiert ist der Posten mit insgesamt 4.500 Euro; ausgewählt wurde Straub unter rund 120 BewerberInnen, die einen unveröffentlichten Text unter dem Motto „Kunst verbindet“ einreichen mussten: „Ich wollte nicht an den Tod denken, ich wollte an die Wachteleier in meiner Manteltasche denken, aber der Tod war immer schon da, er hockte zwischen den Wachteleiern und wartete auf seinen Auftritt“, so beginnt Isabella Straubs Beitrag „Wie man die Angst vom Knochen schabt“. Die Geschichte ist aufgebaut wie ein mehrgängiges Essen. Anton, Judith, Roland und die Erzählerin essen und trinken, reden und entscheiden.

Der StadtschreiberIn-Posten sei kein Stipendium, sondern ein Literaturpreis, sagt Straub. Das sei aus zwei Gründen nicht unwichtig: Preise zählten nicht als Honorare und blieben daher steuerfrei. Und es gelte nur eine Bedingung: Sie müsse von Mai bis einschließlich Juli in Hamburg sein. Während dieser Zeit wohnt sie in einem kleinem Apartment im Stadthaus Schlump am Rande des Univiertels.

Ob sie etwas über Hamburg schreibt, ob die Stadt sich eines Tages als Schauplatz in einem ihrer Romane oder Kurzgeschichten zeigt, ob sie maximal Kulisse bleibt, ist allein Straub überlassen. „Es ist geschenkte Zeit in einer anderen Stadt; dass ich nicht das Leben weiterführe, das ich sonst habe“, sagt sie. Sie bekommt freien Eintritt in der Hamburger Kunsthalle und einmal das Deutschlandticket.

Geboren wurde Straub 1968. Sie studierte Germanistik und Philosophie, arbeitete als Journalistin, führte eine Werbeagentur. Immer wieder fand sie zum literarischen Schreiben zurück. Viele Kurzgeschichten sind über die Jahre erschienen und drei Romane: „Südbalkon“, „Das Fest des Windrads“ und zuletzt „Wer hier schlief“ über einen magenkranken Verkäufer von Sicherheitstüren, der die Frau seines Lebens findet und wieder verliert.

Im Frühjahr wird Straubs nächster Roman erscheinen: eine Reise in das Soziotop eines ambitionierten Stadtentwicklungsprojektes samt seiner BewohnerInnen am Rande von Wien. Gerade sind dazu die Korrekturen aus dem Lektorat gekommen. In Hamburg will Straub sie nun einarbeiten.

Den Rest der Zeit will sie unterwegs sein und ihren Interessen nachgehen, ganz praktisch: „Mein Motto ist: jeden Tag eine Entdeckung.“ Sie fahre bewusst in die Außenbezirke – „sagt man das in Hamburg: Außenbezirke?“ Neulich sei sie einfach in eine S-Bahn gestiegen, an der Endhaltestelle in der Kleinstadt Stade ausgestiegen. In Hamburg-Wilhelmsburg habe sie sich gerade die St.-Maximilian-Kolbe-Kirche angeschaut, weil sie sich für brutalistische Architektur interessiert. Nun wolle sie alle Gebäude Hamburgs aus der Ära des Brutalismus besichtigen.

Ob Straub etwas über Hamburg schreibt, ob die Stadt sich eines Tages als Schauplatz in einem ihrer Romane zeigt oder ob sie Kulisse bleibt, ist allein ihr überlassen

In Hamburg-Harburg hat sie sich umgeschaut, weil sie Heinz-Strunk-Fan ist („Eine höchst originelle Figur der Literatur.“). Dass Strunk schon länger im Schanzenviertel auf der anderen Elbseite lebt, sei schade. Denn dort habe es ihr gar nicht gefallen: zu touristisch, zu vordergründig, zu antiseptisch, das kenne sie zur Genüge von Wien.

Bislang war der Posten der StadtschreiberInnen, die seit 2019 in Hamburg residieren, eher glanzlos. Dass es mit Straub anders werden könnte, war gerade in der „Zinnober“-Reihe in der Zinnschmelze im Stadtteil Barmbek zu erleben, aktuell eine der spannendsten Lese­bühnen der Stadt. Dort las Straub zwei ihrer Hamburg-Kolumnen. In der ersten verläuft sie sich auf dem Friedhof Ohlsdorf, während sie via Kopfhörer die Dialoge „Von der Kürze des Lebens“ des römischen Philosophen Seneca hört und Querverbindungen zwischen dem ihr vertrauten Wiener Zentralfriedhof und dem Parkfriedhof in Hamburg zieht.

Der zweite Text besteht aus schön mäandernden Beobachtungen über Hamburger Frisörladennamen – und einem Besuch bei einem Friseur, der jeden Morgen selbst Besuch bekommt, von seiner längst von ihm geschiedenen Ex-Frau. Beide Texte glänzen wegen ihres ganz eigenen Tons. Nach Hamburg mitgebracht hat Straub diesen ganz eigenen wienerischen Humor.

Lesung bei „Dichter an der Elbe“, So, 28. 7., 18 Uhr, Elbstrand Oevelgönne

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