Ursula von der Leyen: Immerhin nicht noch eine Krise

Was die EU gebrauchen könnte, wäre frischer Wind, Mut. Das ist mit Ursula von der Leyen nicht zu machen. Immerhin kann der Apparat weiterlaufen.

Rückenansicht einer Person am Rednerpult

Ursula von der leyen (CDU), amtierende Präsidentin der Europäischen Kommission Foto: Roberto Monaldo/dpa

Das Europäische Parlament hat gerade noch mal so die Kurve gekriegt. Bis zuletzt war es eine Zitterpartie für Ursula von der Leyen. Jetzt darf sie offiziell weitere fünf Jahre das Amt der EU-Kommissionspräsidentin innehaben. Nichts hätte die Europäische Union derzeit weniger gebrauchen können als eine weitere Krise. Denn davon gibt es derzeit etliche: der zermürbende russische Krieg gegen die Ukraine, der unaufhaltsame Rechtsruck in mehreren europäischen Staaten, desolate Haushaltslagen in den verschiedensten Ländern. Hinzu kommen die irritierenden Störfeuer aus einzelnen Mitgliedstaaten. Wie zuletzt aus Ungarn, als der ungarische Regierungschef Viktor Orbán sich als „Friedensmissionar“ aufspielte und ohne EU-Mandat, aber wohl in der Funktion der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft auf Tour in Russland, China und in den USA ging.

Diese Provokation versuchte nichts weniger, als die Errungenschaften der Europäischen Union zu untergraben und angesichts der globalen Schieflagen die Staatengemeinschaft zu destabilisieren. Mit von der Leyen folgt nun ein Hauch von Stabilität. Ein Hauch deshalb, weil die CDU-Politikerin gewaltige Aufgaben vor sich hat. Sie muss vor allem die Reihen schließen in Europa – und es wappnen gegen eine mögliche US-Administration unter Donald Trump.

Mit ihm dürften mehr als Störfeuer für Europa folgen. Die Konsequenzen für die transatlantischen Verbindungen sind derzeit noch nicht abzuschätzen. Aber sie dürften heftig werden. Von der Leyen kennt das internationale Parkett und die Tücken, die sich auftun können.

Solidarität in Europa bröckelt

Innereuropäisch muss sie beweisen, dass sie einen klaren Abgrenzungskurs gegen rechtsextreme Tendenzen fährt. Ihr Kuschelkurs mit der postfaschistischen italie­nischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni im Vorfeld der Europawahlen brachte von der Leyen mächtig Kritik ein. Für die besondere Freundschaft der beiden machtbewussten Frauen wurden höchst umstrittene Migrationsdeals geschnürt – zulasten der europäischen Werte und zugunsten politischer Mehrheiten. Zudem braucht es weiterhin einen klaren Kurs gegen den russischen Aggressor Putin. Auch hier bröckelt die Solidarität in Europa. Von der Leyens Idee von einem EU-Kommissar für Verteidigung wird noch für heftige Debatten sorgen, aber ist ein erstes politisches Signal für einen nachhaltigen Pro-Ukraine-Kurs.

Was die EU eigentlich gebrauchen könnte, wäre frischer Wind und Mut für rigorose Maßnahmen im Kampf gegen die Klima­krise, gegen globale Pandemien, für einen gerechten sozialen Ausgleich, für nachhaltige Friedensinitiativen. Aber das ist mit Ursula von der Leyen nicht zu machen. Freudensprünge wird kaum einer machen bei dieser Personalie. Aber sie ist derzeit der bestmögliche Kompromiss, um den EU-Apparat zusammenzuhalten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Schreibt seit 2016 für die taz. Themen: Außen- und Sicherheitspolitik, Entwicklungszusammenarbeit, früher auch Digitalisierung. Seit März 2024 im Ressort ausland der taz, zuständig für EU, Nato und UN. Davor Ressortleiterin Inland, sowie mehrere Jahre auch Themenchefin im Regie-Ressort.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.