Vorteile für Gewerkschaftsmitglieder: Extra Urlaub

Erstmals enthält ein Flächentarifvertag Regelungen, die nur für Mitglieder der IG BCE gelten​. Solche Vorteile gab es zuvor nur in Haustarifverträgen.

Demonstrierende bei einer Kundgebung der Gewerkschaft IG BCE im November 2023.

Vorteilsregelungen durchgesetzt: Gewerkschaftsmitglieder dürfen sich freuen Foto: Florian Boillot

HANNOVER taz | Erstmals in Deutschland gibt es für eine ganze Branche Regelungen, die nur für Gewerkschaftsmitglieder gelten. Konkret: Die Beschäftigten in der Chemie- und Pharmaindustrie, die Mitglieder der Industriegewerkschaft Bauen, Chemie, Energie (IG BCE) sind, bekommen künftig pro Jahr einen zusätzlichen Urlaubstag sowie einen weiteren freien Tag, wenn sie 10, 25, 40 und 50 Jahre in der Gewerkschaft sind. Darauf hat sich die IG BCE gerade in einem neuen Flächentarifvertrag mit dem Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) geeinigt.

Vorteilsregelungen für Gewerkschaftsmitglieder galten bisher nur in Haustarifverträgen und waren eher die Ausnahme. So hatte die Gewerkschaft Verdi für die vergangenen beiden Jahre für ihre Mitglieder unter den 6.400 Beschäftigten des größten deutschen Betreibers von Dialyse-Zentren KfH (Kuratorium für Heimdialyse) Bonuszahlungen in Höhe von 875 Euro ausgehandelt.

Bei der Deutschen Angestellten-Akademie verdienen Verdi-Mitglieder seit 2022 monatlich 50 Euro zusätzlich. Mit anderen Arbeitgebern hat Verdi Vorteilsregelungen für ihre Mitglieder unter anderem in Form von Warengutscheinen, Jobtickets, einem schnelleren Aufstieg innerhalb der Entgeltgruppen oder Zuschlägen zur betrieblichen Altersvorsorge vereinbart.

Der Umfang darf laut Bundesarbeitsgericht (BAG) faktisch nicht zu einem Zwang zum Eintritt in die Gewerkschaft führen. Eine zwischen der IG Metall und Nokia Siemens Networks ausgehandelte Abfindungszahlung in Höhe von 10.000 Euro nur für Mitglieder hat das BAG akzeptiert. Das Landesarbeitsgericht Hamm hält extra Leistungen in Höhe von zwei Jahresmitgliedsbeiträgen zur Gewerkschaft für möglich. Der Beitrag liegt in der Regel bei einem Prozent des Jahresgehalts.

Verzicht auf Weihnachtsgeld

Mit Vorteilsregelungen haben sich Arbeitgeber vereinzelt auch die Zustimmung zu Leistungseinschränkungen erkauft. Die kriselnde Real-Warenhauskette handelte mit Verdi 2017 aus, dass die Beschäftigten auf 60 Prozent ihres Weihnachts- und Urlaubsgeldes verzichten – im Gegenzug gab es für Verdi-Mitglieder ein Prozent mehr beim Jahresbruttogehalt.

In den Betrieben werden Vorteilsregelungen unterschiedlich beurteilt. Während die einen von einem Zwei-Klassen-Lohnsystem sprechen, sind sie für Gewerkschaftsmitglieder nur recht und billig – finanzieren sie mit ihren Beiträgen doch eine Interessensvertretung, von deren Verhandlungen auch Nicht-Mitglieder profitieren.

2023 wurde ein kompletter Tarifvertrag nur für Gewerkschaftsmitglieder vereinbart, zwischen Verdi und den Waldkliniken Eisenberg in Thüringen. Er sieht die Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, neun Prozent mehr Lohn, ein Tag mehr Urlaub sowie jährlich 3.000 Euro Sonderzahlung ab 2025 vor.

Antrieb für Gewerkschaften

„Rein rechtlich sind Tarifverträge immer nur für Gewerkschaftsmitglieder gültig, Arbeitgeber wenden die Regelungen auch auf alle anderen Beschäftigten an. In diesem Fall ist das anders – das ist ganz in unserem Sinne und bundesweit von wegweisender Bedeutung“, sagt Norbert Reuter, Leiter der tarifpolitischen Grundsatzabteilung bei Verdi. Der Effekt sei eindeutig: Vor dem Abschluss habe es in der orthopädischen Fachklinik kaum Gewerkschaftsmitglieder gegeben, inzwischen seien mehr als die Hälfte der 740 Beschäftigten bei Verdi eingetreten.

Auf eine ähnliche Entwicklung hofft die IG BCE durch die neuen Vorteilsregelungen. Bislang zählen 35 Prozent der rund 585.000 Beschäftigten aus den Chemie- und Pharmaunternehmen, die dem BAVC angehören, zu ihren Mitgliedern. Die Chemie-Arbeitgeber wiederum sind durchaus an einer starken IG BCE interessiert, deren Forderungen im Vergleich mit anderen Gewerkschaften als maßvoll gelten. Im neuen Tarifvertrag wurden Lohnerhöhungen von insgesamt 6,85 Prozent für eine Laufzeit von 20 Monaten vereinbart.

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