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Ballbesoffen (5): Italien in BerlinSi va a Berlino!

Ab ins Achtelfinale: Am Wochenende spielen die Italiener im Olympiastadion. Dort wurde die „Squadra Azzurra“ vor achtzehn Jahren Weltmeister.

Freuen sich über EM-Achtelfinale in Berlin – Italienische Fans Foto: Bernd Thissen / dpa

Berlin taz | Unter der dunkelgrünen Markise vor einer Kneipe im Wedding hat sich eine kleine Menschentraube versammelt. Am späten Montagabend spielt Italien gegen Kroatien. Die Nervosität nach der Niederlage gegen Spanien ist groß. Dicht gedrängt sitzen die italienischen Fans vor dem Bildschirm. Kroatien führt 1:0, das ganze Spiel über folgt ein gescheiterter Torversuch der Italiener auf den nächsten. Mehrfach springen die Zuschauer auf und setzen zu Schimpftiraden an, die Peroni-Bierflaschen drohen dabei vom Tisch zu fliegen.

Dann, in der 8. Minute der Nachspielzeit, kommt es zu einem unglaublichen Tor vom Zaccagni, der erst kurz zuvor eingewechselt wurde. Jubel bricht aus. Der Einzug der Italiener ins EM-Achtelfinale als Gruppenzweite ist damit gesichert. Das Spiel fand in Leipzig statt, am Montag kam es dort zu mehreren Auseinandersetzungen. So sollen etwa 20 kroatische Fans auf italienische Anhänger ein geschlagen und -getreten haben. Die Leipziger Polizei, vor einer Woche noch am Schwärmen über tanzende Niederlande-Fans, berichtet von über 45 Straftaten.

Die Schweiz in Berlin

Das Schweizer Team – von den Fans bedenklicherweise „Nati“ (sprich: „Nazi“) genannt – ist schon jetzt Bahnkilometer-Europameister. Laut einer Auswertung des Deutschlandfunks ist die Mannschaft bisher am meisten Zug gefahren – die Spanier dagegen sind am meisten geflogen. Insgesamt legten die Teams bei den Gruppenspielen jede vierte Anreise mit dem Flugzeug zurück. Nicht gerade eine Mega-Bilanz dafür, dass die Euro 24 nachhaltige und emissionsarm sein soll – aber wohl immerhin besser als bei bisherigen EMs.

Die Nati habe auf den Bahnfahrten gemütlich auf Viererplätzen Karten oder Schach gespielt, heißt es von deren Trainer. Wenn die Fans sich daran ein Beispiel nehmen und zum Spiel am Samstag in Berlin mit der Bahn anreisen, erwartet sie schon bei der Ankunft ein bisschen Schweiz in Berlin: Die schweizerische Botschaft befindet sich in Sichtweite des Hauptbahnhofs.

Und auch in ein einem vermeintlich ur-berliner Ort steckt die Schweiz drin: Der Holzmarkt wurde von einer Schweizer Stiftung finanziert, eines der Gründungsmitglieder ist Berner. Im Winter bekommt man daher auf dem dortigen Weihnachtsmarkt auch Käsefondue. Und auch die Schweizer Stiftung Edith Maryon, deren Ziel es ist, Liegenschaften der Spekulation zu entziehen und Wohn-, Kultur- oder Bildungsprojekten zur Verfügung zu stellen, hat in Berlin schon so manchen Ort gerettet – darunter das Kindl-Areal in Neukölln und den ehemaligen Hirschhof in Prenzlauer Berg. (usch)

Das nächste Spiel der Italiener wird nun am Samstag im Olympiastadion in Berlin ausgetragen, wo sie gegen die Schweiz antreten werden. Ein historischer Ort für die Italiener: Im Halbfinale der WM 2006, als sie in Dortmund die Deutschen mit einem 2:0 schlugen, rief Kommentator Fabio Caressa im Italienischen Fernsehen den legendären Satz „Andiamo a Berlino!“. Es ging nach Berlin, und wie. Im Olympiastadion schlug die „Squadra Azzurra“ Frankreich und wurde Weltmeister.

34.000 Ita­lie­ne­r:in­nen in Berlin

Beim anstehenden EM-Spiel am Wochenende dürfte es laut werden: Schließlich leben auch ohne die extra angereisten Fußballfans mehr als 34.000 gemeldete Ita­lie­ne­r:in­nen in Berlin. Die meisten wohnen innerhalb des Rings, in Mitte sind es über 5.000 Menschen. Viele leben auch im Prenzlauer Berg, in Kreuzberg oder in Neukölln. Eine beliebte Lage für Familien ist Schöneberg, besonders die Gegend südlich vom Wittenbergplatz. In der Nähe befindet sich ein Grundschule der Staatlichen Europaschulen mit italienischem Zweig.

Doch auch beim Fußballgucken ist die Politik nicht weit. Eine Szene aus Leipzig, beim Auftaktspiel gegen Albanien vor zwei Wochen, parallel zum G7-Gipfel in Apulien: Die italienischen Männer, die das Spiel vor einem Späti verfolgen, stöhnen genervt auf, als in den Nachrichten während der Halbzeitpause Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (Fdl) auftaucht. Einer von ihnen erzählt, dass er unter anderem wegen der politischen Lage aus Italien weggegangen ist.

Nun werde es aber auch in Deutschland mit dem Rechtsruck immer schlimmer, besonders im Osten: „È una merda.“ Als das Spiel weitergeht und die Italiener – wenn auch wenig spektakulär – gegen Albanien gewinnen, ist der Ärger aber kurz verflogen. Da kann auch Meloni die Stimmung nicht verderben.

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