Bernhard Pötter
Wir retten die Welt
: Regel 16 – kann Beziehungen und Irrwege retten

Foto: privat

Der letzte Abend auf der Klimakonferenz in Bonn. Draußen lockt endlich mal ein warmer Frühlingsabend, aber im Kongresszentrum regiert immer noch der Irrsinn namens „Klimaverhandlungen“. Nach zehn Tagen Basar und Kuhhandel mit einigen kleinen Fortschritten (Merke: Die schmelzenden Gletscher bewegten sich inzwischen schneller als die Verhandlungen) sammeln Beobachter und Delegierte die Ergebnisse ein. Finanzen: Naja. Ehrgeiz: Au weia. Anpassung: Besser als gar nichts. Und CO2-Minderung? „Regel 16“, sagt ein Experte.

Seufz. Regel 16 bedeutet: Nichtlösung. Das heißt also: Maximaler Frust für die armen VerhandlerInnen, die seit zehn Tagen und manchen Nächten in drögen Sitzungen wachgeblieben sind, sich von pappigen Sandwiches, legendär schlechtem Kaffee und dem Ärger über die Gegenseite ernährt haben, sich durch Berge von Dokumenten und die immer gleichen Wortmeldungen gekämpft haben – und nun vor dem Nichts stehen. Denn Regel 16 in der UN-Sprache bedeutet: Weil die Verhandler sich auf nichts einigen können, wird alles, was seit Beginn der Konferenz in diesem Bereich verhandelt wurde, ungültig, gelöscht, verschwindet spurlos.

Es ist praktisch eine Art großer „Delete“-Taste. Der Filmriss nach zehn Tagen Delirium, mit Kater, aber ohne Rausch davor. Man versteht, warum manche Delegierte an so einem Abend eine extra große Flasche Frustschutzmittel in sich hineinkippen.

Wobei die Idee natürlich charmant ist. Einfach zu sagen: Hey, was in den letzten zwei Wochen passiert ist – Schwamm drüber. Wir vergessen es und fangen einfach in ein paar Monaten wieder am Nullpunkt an. Vielleicht klappt es ja diesmal besser. Einfach alle Worte, Taten, Vorschläge, Ablehnungen, Verletzungen auslöschen. Ein magischer Trick, den wir in meiner Jugend, die sich in der Prä-Harry-Potter-Zeit abspielte, „Trick 17“ nannten. Ein Trick, mit dem einfach alles möglich war.

Eine solche Korrekturtaste würde wahrscheinlich manche Ehe retten. Von Ampelkoalitionen ganz zu schweigen. Erst die Teller mit Wut und Wucht an die Wand schmeißen, dann „Artikel 16!“ rufen und später lachend gemeinsam die Scherben aufkehren. Vielleicht sollten wir auch ein bisschen Artikel 16 für die anstehenden Wahlen in Deutschland auf Vorrat legen.

Gern auch im großen Rahmen: Ich beantrage Regel 16 für die globalen Treibhausgasemissionen ab, sagen wir, 1960. Genauso für die Vernichtung der Wälder, die Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten, die Ausbreitung der Plastikscheiße, das Anwachsen der Chlorchemie, die Freilandversuche mit Gentechnik, die teure Sackgasse der Atomenergie: Schwamm drüber, das können wir besser und versuchen es nochmal. Am besten sogar mit dem Wissen von heute und mit den Lösungen, die wir inzwischen gefunden haben: zum Beispiel Erneuerbare statt Kohle, nachhaltige Landwirtschaft, Biotopschutz, finanzieller Ausgleich, Beteiligung der Betroffenen.

Das hieße, aus Fehlern klug werden, aber die Folgen der Fehler nicht tragen zu müssen. Moment, vielleicht würden wir dann doch nicht so klug? Und würden uns mit vollem Risiko in jeden Unsinn stürzen, weil wir einfach den großen Radiergummi rausholen könnten.

Vielleicht wäre dieser Freifahrtschein für sorgenfreien Unsinn doch nicht so eine gute Lösung. Vielleicht würde bei uns Regel 16 als „Trick 17“ nach hinten losgehen. Denn der hieß schon damals „Trick 17 – mit Selbstüberlistung“.