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Neuer britischer AußenministerGesicht der Schwarzen Arbeiterklasse

David Lammy ist der erste Außenminister aus der Karibik mit Sklavenvergangenheit. Die Biografie des Labour-Politikers ist eine Aufstiegsgeschichte.

Will seine Vergangenheit nicht verleugnen: Der neue britische Außenminister David Lammy Foto: Mohamed Azakir/reuters

Berlin taz | Noch bevor David Lammy am Samstag zu seiner ersten Dienstreise als britischer Außenminister nach Berlin aufbrach, verkündete er eine erste Entscheidung: Grenada und andere Karibik-Inselstaaten erhalten eine halbe Million Pfund Nothilfe zur Bewältigung der jüngsten Hurrikanschäden. Die Karibik zuerst – das passt zu diesem Politiker, der seit Freitag das Außenministerium in London führt. „Ein Nachkomme von Versklavten; ein schwarzer Mann der Arbeiterklasse aus Tottenham; eine Gemeinschaft, die noch nie einen Außenminister hervorgebracht hat“ – so bezeichnete der Labour-Politiker sich in seiner Antrittsrede.

Lammy ist nicht Großbritanniens erster schwarzer Außenminister, aber der erste aus der Karibik mit Sklavenvergangenheit. Seine Eltern kamen einst aus Guyana als Teil der „Wind­rush Generation“, die erste schwarze Einwanderergeneration direkt nach dem Zweiten Weltkrieg. Geboren wurde er 1972 in London. Mit zehn Jahren gewann er ein Stipendium für die Chorschule der Kathedrale von Peterborough.

Damit betrat der kleine David aus dem Armenviertel eine andere Welt, wie Harry Potter in Hogwarts: der einzige Schwarze in einem Schlafsaal für 15 Jungs, der als Einziger sein Besteck nicht korrekt zu halten wusste, wie er mal in einem Interview erzählte. Wie alle anderen bekam er vom Rektor regelmäßig Prügel, lernte als einziger Nichtweißer im Chor täglich in der prächtigen Kathedrale Singen. Viele wären daran zerbrochen. Er boxte sich durch: 1989 wurde er sogar Schulsprecher.

Die entsprechend steile Karriere folgte: Jurastudium in London und in Harvard, Anwaltsarbeit in den USA, Einzug ins britische Unterhaus für seinen heimatlichen Nordlondoner Wahlbezirk Tottenham bei einer Nachwahl 2000. Da war Lammy erst 27, der Jüngste im Parlament. Es ist eine Aufstiegsgeschichte, die bei den Konservativen häufiger auftritt als bei Labour, zuletzt mit Rishi Sunak – nun hat Lammy die Chance, daraus Außenpolitik zu machen.

Als Abgeordneter für Tottenham wurde David Lammy jetzt zum siebten Mal wiedergewählt, allerdings nur noch mit 57 Prozent der Stimmen, nach 76 Prozent vor fünf Jahren. Labours Schwäche bei diesem Wahlsieg hat auch ihn nicht verschont. Regierungserfahrung sammelte David Lammy noch unter Tony Blair, von 2005 bis 2007 war er sogar Kulturminister.

Kontroverse Positionen

Die schweren Unruhen, die Tottenham nach einem tödlichen Polizeieinsatz im Sommer 2011 erschütterten, machten Lammy erneut bekannt. Sein Buch „Out Of The Ashes: Britain After The Riots“ von 2012 beschrieb eine nihilistische schwarze Jugend, die ohne Vaterfiguren aufwächst, keine Werte vermittelt bekommt, bezahlte Arbeit verachtet und weder Chancen geboten bekommt noch Verantwortung übernimmt – Kritik, die keine Seite verschonte.

Solche Positionen sind kontrovers, und David Lammy ist vorgeworfen worden, sein Mäntelchen nach dem Wind zu hängen. Er unterstützte früher Jeremy Corbyn, mittlerweile hat er Margaret Thatcher als „visionär“ gepriesen. Er hat einst Donald Trump als Nazi bezeichnet und sagt jetzt, er könne mit ihm zusammenarbeiten. Er war ein Gegner des Brexit, heute steht er zum EU-Austritt.

„Früher war ich Hinterbänkler und konnte sagen, was ich fühlte; heute befinden wir uns an einem anderen Ort“, sagte er dazu in einem Wahlkampfinterview. Aber seine Vergangenheit verleugnet er nicht. „Man kann nicht in diesem Raum sitzen und nicht geschichtsbewusst sein“, sagte er in seinem ersten Interview im Ministerbüro. „Es gibt eine Geschichte, die hier zu Hause über die Welt erzählt werden muss.“

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6 Kommentare

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  • Der neue Außenminister bringt es auf den Punkt. Man kann und sollte die (eigene) Geschichte nicht vergessen, aber auch nicht als Basis des aktuellen Handelns verklären.

  • Sklavenvergangenheit? War Lammy als Kind Sklave? Oder wessen Vergangenheit ist gemeint? Was weiß man dann mehr über eine Person? Die deutsche Sehnsucht Menschen einen "Hintergrund" anzudichten oder anzuführen ist sichtlich unstillbar.

    • @Andreas Baumgart:

      David Lammy bezeichnet sich selbst als „descendant of enslaved people“ in seiner Rede die vor zwei Tagen auch auf YouTube veröffentlicht wurde. Ich würde sagen die Betitelung der Sklavenvergangenheit passiert hier also auch absichtlich von der Seite von Lammy. Daraus die „deutsche Sehnsucht Menschen einen „Hintergrund“ anzudichten“ zu lesen empfinde ich doch als etwas überspitzt. Vor allem da der Artikel zu Beginn selbst aufmerksam macht, das die Zuordnung von Lammy selbst so gewählt ist.

      Klar, man kann sich darüber streiten das „Sklavenvergangenheit“ und „Nachfahre von Sklav:innen“ nicht das selbe sind. Ich würde aber dennoch wohlwollend hier keine typisch deutsche Mentalität unterstellen.

  • Ich wünsche mir den Tag, wo er den Artikel nicht für seine Vergangenheit, sondern seine Gegenwart und Zukunft bekommt, doch irgendwann haben auch solche Artikel ihren Platz.

    Ansonsten kann man kaum schlimmer sein als die Tories, wo aus Angst versucht wurde, sich national-egoistisch zu geben.



    Wo sogar die Hardliner wussten, dass man dafür Kooperation bräuchte.

  • Natürlich ist es schön, wenn neue Gruppen in wichtige Ämter kommen. Wenn aber Rishi Sunak eins gezeigt hat, dann, das ein Angehöriger einer Minderheit genauso eine schlechte, armutsfördernde Politik betreiben kann, wie ein "alter weißer Mann". Und jemand, der Thatcher lobt, ist politisch zumindest mir wirklich essenziell zuwider.

  • Ich habe mich gefreut, dass der erste Weg des neuen britischen Außenministers nach Berlin führte.



    Angesichts undemokratischer Entwicklungen in diversen Ländern ist es gut, die Zusammenarbeit mit alten Freunden zu intensivieren.



    Der Brexit war natürlich ein Bruch der Beziehungen und ein Abwenden von Europa.



    Es scheint allerdings auch vielen Briinnen und Briten zu dämmern, dass das nicht gerade die weltbeste Idee gewesen ist.



    Hier anzuknüpfen und vielleicht auch nur bilateral zu agieren wäre eine angebrachte Reaktion auf eine EU, die sich von den Vorstellungen eines "old Europe" immer weiter entfernt.



    Das Einstimmigkeitsprinzip in seiner Problematik wird von einer wachsenden Gruppe von EU Staaten überholt, die Europa ausbremsen wollen.



    Vielleicht hat der Brexit wirklich das Ende der EU Idee eingeläutet und wir haben es einfach nicht wahrhaben wollen.



    Wenn sich heute Frankreich für eine EU feindliche Partei entscheiden sollte, ware das ein weiterer Schritt in diese falscheRichtung.



    Es gibt aber auch andere Wege und vielleicht eröffnet sich gerade einer gemeinsam mit Großbritannien.



    Das wäre immerhin ein Hoffnungsschimmer.