piwik no script img

Politische Konflikte in EM-StadienVereint im Herzen Europas?

Die Vorrunde hat auch gezeigt, wie viel Europa gerade trennt. Kroatische, serbische, albanische Fans trugen die politischen Spannungen ins Stadion.

Albanische Fans im Vorrundenspiel gegen Spanien mit der Flagge des UÇK-Paramilitärs Foto: Christoph Reichwein / dpa

Einen Moment lang waren ganz große Geschütze aufgefahren: Serbien drohte, sich aus der EM zurückzuziehen. Auslöser waren kroatische und albanische Fans, die sich in gemeinsamen Mordfantasien ergingen: „Ubi, ubi, ubi Srbina“ – „Töte den Serben“.

Auf diese Ekelhaftigkeit forderte der serbische Verband harte Uefa-Strafen und stellte in Aussicht, andernfalls abzureisen. An den meisten Schlandisten, die von der völkerverbindenden Kraft der Euro schwärmten, ging die Episode wohl vorbei. Kurz darauf hatten sich die Gemüter wieder etwas beruhigt. Der Generalsekretär des serbischen Verbandes antwortete auf die Frage, ob ein Ausstieg eine echte Option sei, mit dem etwas schrägen Dementi: „Genau genommen nein“.

Es war der Höhepunkt in einem Karussell nationalistischer, rassistischer und kriegsverherrlichender Hassparolen, mit denen kroatische, serbische und albanische Fans – und nur gelegentlich die als Streber belächelten Slowenen – die wachsenden Spannungen in Südosteuropa auch ins Stadion trugen.

„Vereint im Herzen Europas“, lautet ein Slogan dieser Euro. Doch neben herzigen Tänzen und der neu entdeckten deutschen Schottlandsehnsucht zeigte die Vorrunde vor allem, wie viel dieses Europa gerade erneut trennt. Hitlergrüße auf Fanfesten, martialischer Ostfront-Hass („Putin chuilo“, übersetzt etwa: „Putin ist ein Arschloch!“, und „Russland Hure“-Rufe etwa von polnischen und georgischen Fans sowie „Putin, Putin“- und „Fuck Nato“-Rufe der Serben), rechtsextreme Wolfsgrüße bei türkischen Fans und ein Plakat der Identitären Bewegung beim Österreich-Spiel.

Postjugoslawien im Vordergrund

Vielleicht nicht ganz überraschend angesichts des Teilnehmerfeldes – Russland ausgeschlossen, Israel nicht qualifiziert – blieb es um die beiden Invasionen, die Europa spalten, dennoch verhältnismäßig ruhig. In den Vordergrund spielte sich das fragile Postjugoslawien.

Eine Liste ohne Anspruch auf Vollständigkeit, unter anderem dank einer Fleißarbeit des Publizisten Ruben Gerczikow: Serbische Fans hissten „Keine Kapitulation“ und zeigten Kosovo als Teil Serbiens (Uefa-Strafe: 10.000 Euro), posierten mit einer Fahne der Tschetnik-Miliz, die Massaker an Bosniaken und Kroaten beging, huldigten dem Kriegsverbrecher Ratko Mladić und sangen gemeinsam mit Slowenen: „Kosovo ist das Herz Serbiens.“

Kroatische Fans huldigten Kriegsverbrecher Slobodan Praljak, trugen das Wappen der HOS-Miliz und sangen „Töte den Serben!“. Der kosovarische Journalist Arlind Saku provozierte serbische Fans mit einem Doppeladler (Akkreditierungsentzug). Albanische Fans zeigten die Fahne eines Großalbanien (Uefa-Strafe: 10.000 Euro) und Symbole der albanischen UÇK-Paramilitärs, denen viele Kriegsverbrechen vorgeworfen werden.

Sie riefen in mehreren Partien „Töte den Serben!“ (Uefa-Strafe bisher: 10.000 Euro) und hissten „Kosova is Albania“ und „FCK SRB“. Der albanische Kicker Mirlind Daku animierte die Fans zum Gesang „Fick Mazedonien“ (zwei Spiele Sperre).

Politiker und Verbände tragen auch Verantwortung

Fast alle gegen alle also. Maßgebliche Mitverantwortung daran tragen sowohl die Po­li­ti­ke­r:in­nen der Region, die nationalistischen Hass immer wieder für Stimmenfang aufwärmen, als auch die südosteuropäischen Fußballverbände, deren Geschäft der Nationalrausch ist und die sich kaum von eigenen Fans distanzieren.

Was das alles nun heißt? Mancher Experte fand die Zahl der Vorfälle nicht ungewöhnlich angesichts einer EM, die erstmals seit 2016 wieder an einem Ort stattfindet und an der mehrere jugoslawischen Nachfolgestaaten teilnehmen und es zudem große migrantische Communitys gibt. Andere sahen durchaus eine neue Qualität, einen Ausdruck der erneut aufflammenden Spannungen und des Rechtsrucks in Europa.

Sportlich erfolgreich jedenfalls war der Hass nicht: Albanien, Serbien und Kroatien sind allesamt ausgeschieden.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Dass dieser Nationalblödsinn nicht auch von EU-ropa befeuert worden wäre und wird, lässt sich nicht gerade sagen; vor einem guten Vierteljahrhundert wurde ja so ziemlich jedem Weiler oder Ort mit mehr als drei Häusern das Recht auf eigene Fahne, Hymne usw. zugestanden (denn: Identität, Befreiung aus dem, ähem, „Völkergefängnis“). Dass dieses in relativ kleinem Format stattgefundene ‚Nation building‘ (was für ein albernes Konzept - doch hier schweigt sich die Wissenschaft doch irgendwie aus) vor allem auf Ausschluss aller beruht, die als nicht zum gleichen Stamm gehörig markiert wurden - nun ja, das sind dann halt die Konsequenzen. Andererseits ist es sicher auch recht praktisch, da ein gutes Dutzend Ministaaten zu haben, die man recht gut rumkommandieren kann.

  • Wie es Ballaballa-Balkan formuliert haben: Divided by football.

    ballaballa-balkan....ivided-by-football

  • Gut das Brüssel die Spannungen vom Sport gleich in die Politik bringen will.