Vogelpersperpektive auf zwei Personen von der Feierwehr, die ein schweres Tor schließen.

Eine mehr als zwei Meter lange Mauer schützt das sächsische Grimma vor Überschwemmungen. 2002 überflutete die Mulde die Altstadt Foto: Jan Woitas/dpa/picture alliance

Hochwasserschutz in Deutschland:Die Flut aussperren

Durch den Klimawandel nimmt Extremwetter zu, die Sorge vor dem nächsten Hochwasser ist groß. Doch es gibt Ideen, wie wir uns künftig schützen können.

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24.6.2024, 14:32  Uhr

Tagelang standen der Pegel der Donau bedrohlich weit oben und Teile Bayerns und Baden-Württembergs unter Wasser. Am ersten Juniwochenende hatte anhaltender Starkregen Städte und Dörfer überflutet, am Bodensee, in Oberschwaben, in Regensburg und Passau. Nun, knapp zwanzig Tage später, ist die Gefahr erst einmal vorüber und Aufräumen angesagt: Keller werden ausgepumpt, Wände getrocknet, betonharter Schlamm von den Straßen und Gehwegen geklopft.

Schon wieder hatten sich Bäche in reißende Fluten verwandelt, wurden Hab und Gut fort gerissen, hat das Wasser Leben gefordert. Wenn in diesen Tagen ein Unwetter aufzieht, geraten daher immer mehr Menschen in Sorge. Sie fragen sich: Wie viele Jahrhundertfluten kommen noch?

Spätestens seit der Katastrophe im Ahrtal vor drei Jahren ist klar: Verheerende Fluten werden uns öfter treffen – und das längst nicht nur an den Küsten und entlang großer Flüsse. Denn die Erderwärmung bringt eine simple Nebenwirkung aus der Physik mit sich: Wärmere Atmosphäre kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen – und niederregnen lassen. Die daraus folgenden Extremwetter häufen sich. Unwetterzellen, die tagelang an einem Ort verharren und Täler, Felder und Flüsse fluten, können sich überall zusammenbrauen.

Sobald der Boden dann kein zusätzliches Regenwasser mehr aufnehmen kann, geht es ganz schnell. Das Wasser schießt über die Straßen, auf den versiegelten Flächen bilden sich Ströme, die sich zu einer Flutwelle vereinen. Tritt diese über die Ufer, richtet sie einen großflächigen und verheerenden Schaden an.

Bei einer Katastrophe wie im Ahrtal oder jetzt in Süddeutschland zahlt der Bund für Soforthilfe. Die Gestaltung der Fläche von Stadt und Land ist aber Ländersache. Somit muss sich jedes Bundesland und jede Gemeinde damit beschäftigen, wie sich sinnvoll Hochwasserschutz betreiben lässt.

Eine eigene EU-Richtlinie sieht das auch vor. Demnach ist es bindendes Recht, eine erhöhte Vorsorge zu betreiben, um Umwelt, Kulturerbe, Wirtschaft und nicht zuletzt die Menschen besser vor Flutkatastrophen zu schützen. Das europäische Parlament empfiehlt hierzu einen Planungszyklus in Sachen Hochwasserrisikomanagement. Dieser dreht sich vor allem um die Bewältigung des Unvermeidbaren: Katastrophenschutz, Verhaltensvorsorge, Information, Hilfe für Betroffene, Auswertung, Wiederaufbau.

Eine Katastrophe wie im Ahrtal oder ähnlich heftige Fluten wie zuletzt in Süddeutschland lassen sich nicht von Deichen und Mauern aufhalten. Daher arbeiten Fachleute eher daran, die Bevölkerung künftig schneller zu warnen oder gleich zu evakuieren. Ideen, wie man das Wasser von vornherein stoppen könnte, gibt es auch. Laut EU sollen diese Maßnahmen alle paar Jahre neu bewertet und aktualisiert werden.

Wie die Vorsorge aber genau aussehen und wie die Fördertöpfe genutzt werden sollen, bleibt den Kommunen überlassen. Deshalb sind auch die Ambitionen für den präventiven Hochwasserschutz regional unterschiedlich. Mancherorts werden Siedlungen noch immer auf Flächen gebaut, die zuvor als Gefahrengebiete ausgewiesen wurden. Dabei gibt es viele Möglichkeiten, sich an die neue Gefahrenlage anzupassen. Ob Schwammstadt oder Baumkrone: Hier erfahren Sie mehr über die Konzepte, mit denen wir uns künftig vor den Fluten schützen können.

Eine Grafik eines Flusses mit Häusern daneben.

Foto: Anaïs Edely

Den Weg abschneiden

Wenn das Wasser nicht über die Ufer treten soll, erhöht man eben das Ufer. An Küsten und größeren Flüssen werden Deiche gebaut, erhöht, verstärkt und darüber hinaus Staumauern errichtet. Wird es an der Landseite brenzlig, liefern die Nachrichten die typischen Bilder: Hilfskräfte füllen Säcke mit Sand und stapeln sie übereinander, um den Deich zu stützen, immer dem Wasser entgegen. So verstehen wir technischen Hochwasserschutz.

Schon seit einem Jahrtausend bauen Menschen Deiche. In Deutschland sind es an Flüssen und Küsten inzwischen weit über 10.000 Kilometer, die das Wasser bremsen und den Pegel halten sollen. Die Deiche sind durchweg in einem passablen Zustand. Spätestens seit der Elbeflut von 2002 wurden viele von ihnen modernisiert.

Die meterhohen Erdbauwerke bestehen aus einer abdichtenden Lehmschicht, einem stützenden Körper aus Sand im Inneren und einer Filterschicht auf der Landseite. Über Pumpen und Sickerlinien fließt Wasser kontrolliert ab, das vom Deich aufgenommen wird. Bei anhaltendem Starkregen und Hochwasser weicht der Deich trotzdem früher oder später durch und kann schließlich brechen.

Auch Mauern werden gebaut. Nach den Fluten in den Jahren 2002 und 2013 sperrte das sächsische Grimma die Mulde in und um die Stadt herum zwischen Flutmauern ein. Der Bau dauerte Jahre und verschlang Millionen, doch mit Erfolg. Im Zonierungssystem für Überschwemmung, Rückstau und Stark­regen (ZÜRS), sprang die Stadt von der Hochwassergefährdungsklasse 4 auf 2. Das heißt: Statt mindestens alle zehn Jahre wird ein Hochwasser nun nur noch einmal in 100 Jahren erwartet.

An Orten wie Grimma sind die Flutmauern zwar hilfreich, doch einen dauerhaften Schutz gegen das Hochwasser liefern sie nicht. Deiche und Mauern zwängen die Wassermassen lediglich ein, beschleunigen sie dadurch jedoch und verleihen ihnen noch mehr Kraft. Die Bauten sind zudem teuer, müssen gewartet und repariert werden – und verhageln der Bevölkerung oft die schöne Aussicht.

Außerdem sind Deiche und Mauern immer nur so hoch wie der größte gemessene und in Zukunft erwartete Wasserstand. Dass die Rekorde im Bereich der aufgezeichneten Wetterphänomene in letzter Zeit oft gebrochen werden, haben die vergangenen Monate gezeigt. Nun immer höhere Deiche zu bauen kann also keine Lösung sein.

Eine Grafik von einem Fluss mit Bergen und einem Stausee.

Foto: Anaïs Edely

Die Wanne füllen

Neben dem Deichbau am Fluss setzen die Kommunen auf Rückhaltebecken und Talsperren im Hinterland. Die Becken werden günstig mit Erde oder teurer als Betonbau angelegt. An Städten oder Autobahnen können die Senken im Boden dann mit Wasser volllaufen. Die Sperren bremsen einen See oder Fluss. Sie können kurzfristig übermäßige Zuflüsse speichern und somit Siedlungen und Infrastruktur schützen. Sinken die Wasserpegel wieder, wird sozusagen der Stöpsel gezogen und das Wasser fließt kontrolliert in den Bach oder Fluss ab. Hauptsächlich sind diese Riesenwannen für den Hochwasserschutz gedacht. Sie können aber auch der Stromerzeugung oder Trinkwasserversorgung dienen.

Die Maßnahme greift: Bei dem Starkregen-Wochenende Anfang Juni bewahrte ein frisch in Betrieb genommener Hochwasserdamm das badische Biberach vor einer gefluteten Innenstadt. Die Katastrophe im Ahrtal hätte sich durch Rückhaltebecken ebenfalls verhindern lassen, zeigen zwei Gutachten. 19 dieser künstlichen Anlagen mit bis zu 30 Meter hohen Staumauern sollen nun dort gebaut werden. Das kostet und wird Jahrzehnte dauern.

In Bayern beschweren sich derweil einige Kommunen, die gerade überschwemmt wurden. Dort waren ähnliche Becken schon zur Jahrtausendwende geplant, wurden aber bis heute nicht gebaut.

Einer EU-Studie zufolge sind Rückhaltegebiete allgemein die effektivste und vergleichsweise billigste Methode, um Hochwasserwellen zu kappen und Schäden klein zu halten. Die Kosten für die Schäden, die jährlich in Europa durch Überflutungen entstehen, werden auf 44 Milliarden Euro geschätzt. Die Rückhaltegebiete könnten den Betrag auf acht Milliarden Euro senken.

Eine Grafik von einem Fluss und Gebäuden.

Foto: Anaïs Edely

Schwamm drüber

In Städten wird dicht an dicht gebaut. Die Folge: Der Boden ist mit Beton versiegelt, das Regenwasser kann nicht versickern und läuft meist in die Kanalisation ab. Ist diese voll, quillt der Regen aus den Gullys wieder heraus und überschwemmt die Straßen. Weil sich Starkregen und Überschwemmungen häufen, müssen Städte also umdenken und umbauen. Sie verwandeln sich zunehmend in Schwammstädte.

In einer Schwammstadt werden Flächen geschaffen, die Wasser aufnehmen und später wieder abgeben können – wie ein Schwamm eben. Kopenhagen baut sich nach mehreren Überflutungen bereits seit über zehn Jahren zur Schwammstadt um. Berlin nimmt die dänische Hauptstadt zum Vorbild, denn auch dort sind die Kanäle schon seit Jahrzehnten strapaziert.

Wie eine Schwammstadt aussieht, kann man in Berlin in Adlershof, in Grünau oder an der Rummelsburger Bucht beobachten: Regen wird auf begrünten Dächern gespeichert, an bewachsenen Fassaden, in Teichen und Tümpeln, in kleinen Parks, auf Bolzplätzen. In Wohngebieten halten tiefergelegte Mulden und unterirdische Behälter wie Baumrigolen das Wasser bei heftigen Unwettern zurück. Parkplätze und Höfe werden entsiegelt und mit wasserdurchlässigem Belag gepflastert.

Die Schwammstadt soll aber nicht nur vor Hochwasser schützen, sondern auch für Abkühlung sorgen. Das gespeicherte Wasser verdunstet auf den begrünten Gebäuden und kühlt die Stadt herunter, so wie Schweiß auf der Haut den Körper kühlt. Auch Hamburg, München und Leipzig passen sich so bereits an die globale Erwärmung an.

Foto: Anaïs Edely

Mal langsam machen

Eigentlich kann man kaum noch von natürlichen Flüssen sprechen. Rhein, Donau und Elbe sind heute regelrechte Highways. Durch sie rauscht das Wasser in Hochgeschwindigkeit – und mit ihnen Hunderttausende Schiffe mit ihrer Fracht. Vor 200 Jahren sah das noch anders aus. Bis man die Flüsse begradigte. Ironischerweise war das damals auch eine Maßnahme zum Hochwasserschutz.

Vor allem am Oberrhein schwang der Fluss weite Kurven und verzweigte sich in viele Seitenarme. Bei Hochwasser wurden dort regelmäßig große Flächen geflutet, inklusive der Dörfer mit ihren Feldern. Ein tieferes, gerades Flussbett verringerte das Risiko von Hochwasser und zerstörten Ernten, weil das Wasser schneller wieder abfließen konnte.

Zudem gewann man mehr Platz für die Landwirtschaft. Heute ist der Rhein um knapp 100 Kilometer kürzer, die Elbe um mehr als 100 Kilometer und die Donau um fast 150 Kilometer. Eine Hochwasserwelle auf dem Rhein rauscht in 30 Stunden von Basel nach Karlsruhe. Früher brauchte sie für die Strecke mehr als doppelt so lange.

Doch mit der Zeit stieg die Hochwassergefahr wieder. Denn die Menschen rückten näher an die Highspeed-Flüsse heran. Diese versprachen sauberes Trinkwasser, gute Böden und schnellen Transport. Es wurde gesiedelt und bebaut, auch in Überflutungsgebieten.

Heute bemüht man sich um eine Renaturierung der Flussläufe. Verlängerte Gewässer, flachere Flussbetten und wieder angebundene Flussarme wirken wie ein Puffer, weil das Wasser gebremst wird. Jedoch lassen Schifffahrt, Landwirtschaft und Städte einen solchen Rückbau nur noch an wenigen Orten zu. An der Fulda hat es geklappt. Dort erhielt der Fluss in der Nähe von Melsungen einen Nebenarm und wurde auf einer Strecke von 500 Metern umgestaltet: Rohrdurchlässe wurden entfernt und das künstliche Bett aus Steinen zurückgebaut – für den natürlichen Lauf der Dinge.

Foto: Anaïs Edely

Zurück ins Auenland

Wenn die Gewässer aus ihren betonierten Zwangsjacken befreit werden und ihr altes Bett zurückbekommen, können die Niederungen an den Ufern auch wieder zu Auen werden. Durch Bebauung und Begradigung sind bis heute rund 80 Prozent der alten Auen verloren gegangen. Doch Hochwasserschutz braucht Platz. Die Überschwemmungs- und Versickerungsflächen, die es früher gab, halten die größten Wassermassen zurück.

Seit 2017 wird durch das Bundesprogramm „Blaues Band Deutschland“ versucht, die Flussauen zu renaturieren. Flächen werden entsiegelt und Deiche zurückverlegt. Man verspricht sich neue Retentionsflächen, fruchtbare Böden und eine gute Wirkung auf die Biodiversität. Neben dem Schutz vor den Fluten hätte nämlich auch die Tier- und Pflanzenwelt etwas Lebensraum zurück. Zu dieser Renaturierung gehören auch Polder, also tiefer liegende Flächen. Diese sind, anders als die Auen, von Deichen umgeben und werden bei Hochwasser nur gezielt geflutet.

Eine der größten Renaturierungen in Deutschland umfasst die Flüsse Elbe, Saale, Mulde, Havel, und die Weiße und Schwarze Elster im Lödderitzer Forst in Sachsen-Anhalt. Zwei Dutzend Deiche werden dort zurückverlegt und zehn neue Flutungspolder geschaffen. Zeitgleich wurden Auenwälder revitalisiert, auf alten Ackerflächen hat man klimaresistente Eichen gepflanzt, anderswo wurden Pappeln und amerikanische Eschen abgeholzt. Am Ende sollen insgesamt 16.000 Hektar Fläche 300 Millionen Kubikmeter Wasser zurückhalten können.

Foto: Anaïs Edely

Wald hält Wasser

Deutschland ist zu einem Drittel mit Wald bedeckt. Wald ist Luftfilter und Sauerstoffquelle, Wald ist Lebensraum und Holzlieferant. Aber Wald ist auch Hochwasserschutz. Denn Bäume und Büsche halten Wasser zurück und ihre Wurzeln stabilisieren das Erdreich.

Dort, wo für Auen oder Deiche kein Platz ist, können also Bäume helfen, Wasser bei heftigen Unwettern zurückzuhalten. In der Aufforstung konzentriert man sich zunehmend auf Laubmischwälder mit Baum­arten, die auch mit Wärme und Trockenheit zurecht kommen. Die Laubbäume können allgemein mehr Wasser aufnehmen als der Nadelwald.

Bei Regen hält dann zunächst ein dichtes Kronendach das Wasser auf, je nachdem, welche Baumarten im Wald stehen. Zudem saugen die Bäume über die Wurzeln große Mengen an Wasser aus dem Boden auf, die sie später wieder ver­dunsten. Im Vergleich zu einer Rasenfläche soll die Waldfläche dadurch etwa viermal mehr Wasser aufnehmen und verdunsten lassen können.

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