Drama „Ivo“ im Kino: Mit dem emotionalen Ballast im Auto

Alles ist hier in Bewegung: In ihrem neuen Spiefilm beobachtet Regisseurin Eva Trobisch pointiert die mobile Palliativpflegerin Ivo bei der Arbeit.

Die Protagonistin des Films liegt auf dem Sofa, in der Glasscheibe hinter ihr spiegelt sich eine männliche Figur

Andeutung im Spiegel: Ivo (Minna Wündrich), mal nicht bei der Arbeit Foto: Piffl

Wer jemanden beim Sterben begleitet hat, erkennt vielleicht noch stärker die unglaubliche Wahrhaftigkeit von Eva Trobischs Drama „Ivo“. In seiner konzentrierten Unaufgeregtheit fängt der Film diese leisen, emotionalen Momente des Innehaltens ein, die Grenzen zwischen einem Innen, in dem Stunden zu Tagen voller Beobachtungen werden, und jenem Außen, in dem die Welt vibriert. Doch obwohl es um sehr unterschiedliche Umgänge mit dem Tod geht, platzt Trobischs zweiter Langfilm vor Leben.

Ivo (Minna Wündrich) ist ambulante Palliativpflegerin. Sie lebt quasi in ihrem alten Škoda, telefoniert, isst, weint, lacht und singt dort in dem mobilen Zuhause, verarbeitet ihre Sorgen und die Arbeit mit den Patient:innen, zwischen denen sie sich bewegt. Arbeiterfamilien in der Platte, Alleinstehende, einigermaßen sortierte oder auch emotional angeschlagene Eheleute, ein schwules Paar in einem Haus mit malerischem Garten: Trobisch macht ein breites Panoptikum der Pflegebedürftigkeit in urbaner Peripherie auf.

Das Thema Pflege hat dieses Jahr im deutschen Kino volle Breitseite erreicht. In Matthias Glasners traurig-komischem Familienporträt „Sterben“ handelt eine Episode von pflegebedürftigen Eltern, der Vater kommt schließlich ins Heim. Claudia Rorarius erzählt in „Touched“ mit sensiblem Realismus und radikaler Intimität von der Beziehung einer Pflegerin zu ihrem querschnittgelähmten Patienten. In „Ivo“ zeigt Trobisch den Alltag einer alleinerziehenden Mutter zwischen ihrer pubertierenden Tochter (Lilli Lacher) und den Patient:innen.

Seine authentische Sachlichkeit zieht der Film aus der Recherche, denn die Regisseurin ist über ihren Kameramann Adrian Campean an dessen Vater Dr. Johann-Severin Campean herangetreten. Letzterer war bis Juli 2023 Geschäftsführer und ärztlicher Leiter der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (SAPV) im nordrheinwestfälischen Kreis Mettmann und hat den Film mit seinem Team begleitet. Er selbst spielt Ivos ärztlichen Leiter, der Deal beim Dreh war, dass der Arzt keine Dia­loge übt, sondern sich einfach wie in seinem Beruf gibt. Eine große Hilfe sicher auch bei den heiklen Themen, an denen sich „Ivo“ abarbeitet.

Im Handstand den Pullover anziehen

Immer stärker ins Zentrum rücken im Film die an ALS erkrankte Solveigh (Pia Hierzegger) und ihr Mann Franz (Lukas Turtur). Erstere ist eine enge Freundin von Ivo, jede Szene zwischen den Frauen zeugt von einer großen Vertrautheit. Zugleich hat die Pflegerin eine Affäre mit Franz. Einmal trifft sich das heimliche Paar in der „Rhein Suite“ eines Hotels, sie schlafen miteinander und sie beobachtet ihn dabei, wie er versucht, nackt im Handstand seinen Pullover anzuziehen. Später wird es um einen Suizidwunsch gehen – ein so wichtiges wie schwieriges Thema. Dass der Film auch dabei nicht seinen angemessenen, ambivalenten Sound verliert, zeugt von immenser Feinfühligkeit.

Ein großes Verdienst daran hat das Ensemble, allen voran Minna Wündrich. Mit ihrem zurückhaltenden, nuancierten Spiel ist sie in ihrer ersten größeren Kinorolle schon jetzt eine Entdeckung dieses Filmjahres. Ihre Ivo ist nach jener Frau in Trobischs gefeiertem Debüt „Alles ist gut“, die eine Vergewaltigung zu verdrängen versucht, ebenfalls komplex und dadurch zutiefst menschlich. Ivo versucht alles unter einen Hut zu bekommen: das Zusammenleben mit ihrer dauervideochattenden Tochter, die eigenen Bedürfnisse und ihren so wichtigen wie kräftezehrenden Job. Abends raucht sie gern mal eine Bong zum Runterkommen, einmal setzt sie sich selbst eine Morphiumspritze und driftet weg.

Ivo ist das humanistische Scharnier zwischen jenem eingangs erwähnten Innen und Außen, in ihren Blicken und ihrer Wahrnehmung tun sich Welten auf. Tauben werden zum Spiegel ihrer immer unbeweglicher werdenden alten Freundin, Väter rennen mit Kindern über die Straße, der Wind rauscht in den Bäumen und die Autos über die Straßen, während Ivo (Minna Wündrich) das Geschehen rauchend vom Balkon aus beobachtet. Trobisch findet mit dem Sounddesign und mit den dokumentarisch anmutenden Bildern ihres Kameramanns Campean das Abstrakte im Konkreten – und das ganz ohne falsche Gefühligkeit oder aufgepfropft wirkende Metaphorik.

„Ivo“ sucht im Tod eben nicht jenen Sensationalismus, der vielen Filmen anhaftet, sondern erzählt in kleinen, pointierten Gesten davon. „Möchten sie den anderen Arm selber waschen?“, wird Solveigh am Rande einer Szene von einer Pflegerin gefragt: ein kurzer Moment, in dem sich die ganze Tragik und Menschlichkeit ihres Wunsches nach Autonomie manifestiert.

„Ivo“. Regie: Eva Trobisch. Mit Minna Wündrich, Pia Hierzegger u. a. Deutschland 2023, 103 Min.

Alles ist in Bewegung in diesem Film, durch den sich Ivo mit ihrem Auto, ihrem emotionalen Ballast und ihren Hoffnungen manövriert. In Bewegung wie der fahrende Zug, aus dem „Ivo“ zu Beginn und am Ende blicken lässt, als würde sich ein Kreis schließen.

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