Anschläge in Dagestan: Viele Tote, eine zerstörte Illusion

Im Nordkaukasus sterben bei einer Anschlagsserie 19 Menschen. Die Taten zeigen, wie Russlands Justiz die islamistische Gefahr weiter vernachlässigt.

Foto: The National Antiterrorism Committee via ap

MOSKAU taz | Die Menora steht noch in der Ecke, die Tür daneben ist verkohlt, wie es auch die Wände, Böden und Decken sind in der ältesten Synagoge von Dagestan, der russischen Teilrepublik im Nordkaukasus. So zeigen es Videos, nachdem hier am Sonntagabend mehrere bewaffnete Männer jüdische und christliche Gotteshäuser überfallen und teils angezündet hatten. Zudem schnitten sie einem russisch-orthodoxen Priester die Kehle durch und griffen eine Polizeiwache an. Am Ende waren 19 Menschen tot, die meisten davon Polizist*innen.

Die Taten ereigneten sich in Derbent, einer 125.000-Einwohner*innen-Stadt am Kaspischen Meer, sowie in der Regionalhauptstadt Machatsch­kala mit knapp 600.000 Ein­woh­ner*innen. Die russischen Behörden sprachen von einem Terroranschlag und ordneten im vorwiegend muslimischen Dagestan eine drei­tägige Trauer an. Fünf Angreifer sollen getötet worden sein, drei von ihnen sollen Söhne und ein Neffe eines hohen Beamten der Region sein. Der Mann wurde bereits in der Nacht verhört und am Montag aus der Regierungspartei „Einiges Russland“ ausgeschlossen.

Das Oberhaupt der Republik, Sergei Melikow, machte am Montag Mitglieder einer vom Ausland gesteuerten islamistischen Schläferzelle für die Taten verantwortlich. Einzelne russische Politiker sahen in den Taten von Dagestan hingegen eine „ukrainische Spur“. Es ist fast schon ein Reflex der offiziösen Politik, alle Missstände der Ukraine und dem Westen zuzuschieben. So hatte Melikow bereits im vergangenen Oktober die „Feinde“ in der Ukraine vermutet, als ein Mob den Flug­hafen von Machatschkala stürmte, weil dort ein Flugzeug aus Tel Aviv gelandet war. Mit lauten „Allahu Akbar“-Rufen hatten die aggressiv eingestellten Männer selbst in Flugzeugturbinen nach jüdischen Menschen gesucht.

Arm ist die Region bis heute

Auch als islamistische Täter – aus Tadschikistan in Zentralasien stammend – im März die Konzerthalle Crocus City Hall bei Moskau stürmten und mehr als 140 Menschen töteten, sah Russlands Präsident Wladimir Putin in der „barbarischen Tat“ eine „Verbindung zur Ukraine“. Dabei hatte sich der IS-Ableger „Khorasan“ zu dem Anschlag, einem der schlimmsten in Russlands jüngerer Geschichte, bekannt. Am Montag teilte dieser nun mit, die Anschläge in Dagestan seien von „Brüdern im Kaukasus“ verübt worden und zeigten, „dass sie noch stark sind“.

Dagestan ist eine Vielvölkerregion. Der Anschlag zerstört die Illusion, dass die Gegend, die seit den 1990ern immer wieder Schauplatz von Gewalt und Gegengewalt war, mittlerweile zu einem ruhigen Touristen-Hotspot geworden ist. Arm ist die Region geblieben. Von hier aus ziehen viele junge Männer in den Krieg in der Ukraine, weil sie sonst keine andere Möglichkeit sehen, wirtschaftlich auf die Beine zu kommen. Der Krieg aber zerstört nicht nur das ohnehin schwache Vertrauen in die staatlichen Institutionen im Land, er zerstört das Vertrauen zu jedem Einzelnen.

Foto: Itar-Tass

Und Russland Justiz? Für Moskau scheint es wichtiger zu sein, in Dutzenden Re­gime­kri­ti­ke­r*in­nen „Terroristen“ und „Extremisten“ zu sehen, als Lösungen gegen den radikalen Islamismus im Land zu suchen. Seien es die Theatermacherinnen Schenja Berkowitsch und Swetlana Petrijtschuk, weil sie in ihrem, vor einigen Jahren noch mit staatlichen Preisen ausgezeichneten Stück „Finist – Heller Falke“ zeigten, wie junge Russinnen im Internet IS-Kämpfer kennenlernen und ihnen nach Syrien folgen. Oder auch die Journalistin Nadeschda Keworkowa, die nach einem islamistischen Attentat von 2005 das Vorgehen der Behörden kritisiert hatte. Ihnen drohen mehrjährige Haftstrafen.

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