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Foto: Miriam Klingl

Erste Energiegenossenschaft in BerlinVon unten eingeheizt

In Berlin haben Anwohner die erste Energiegenossenschaft der Stadt gegründet, um die Wärmewende vor Ort umzusetzen. Klappt das?

Von Ingwar Perowanowitsch aus Berlin

W er an der Haltestelle Onkel Toms Hütte aus einem Wagen der U-Bahn-Linie U3 steigt, hat das Gefühl, Berlin hinter sich zu lassen. Hier in Zehlendorf, zwischen der Krummen Lanke und Oskar-Helene-Heim, ticken die Uhren anders. Es ist grün, beschaulich und für Berliner Verhältnisse außergewöhnlich ruhig. Nachts huschen Füchse und Wildschweine durch die engen gepflasterten Straßen. Die laute chaotische Großstadt ist gefühlt weit entfernt.

Es ist eine Gegend mit viel Geschichte. Herrschaftliche Altbauten mit Spitzdächern und einfache bunte Flachdach-Reihenhäusern im Bau­hausstil stehen dicht zusammen. Letztere wurden ab Ende der 1920er Jahre vom Bauhaus-Architekten Bruno Taut entworfen, damit sich auch die Arbeiterschicht eine Wohnung oder ein Häuschen im Grünen leisten konnte – sehr zum Ärger der eingesessenen Bevölkerung. Als Papageiensiedlung wurde die bunte Ansammlung an blauen, grünen, gelben Häusern vom gehobenen Bürgertum abwertend bezeichnet.

Heute erinnert eine Info-Tafel im Viertel an den Zehlendorfer Dächerkrieg, in dem sich die Bewohner in den Spitzdächern gegen die Flachdach-Neuankömmlinge wehrten. Die Siedlung hat ihren Vogelnamen behalten – nur die Klassenunterschiede haben sich aufgrund steigender Immobilienpreise weitgehend aufgelöst. In den ehemaligen Häusern der Arbeiter wohnen nun auch Anwälte, Ärzte, Ingenieure und Erben und alle anderen, die sich die Berliner Ruhe noch leisten können. Ausgerechnet in dieser Gegend formierte sich in den vergangenen Monaten ein Projekt mit großer bundespolitischer Bedeutung. Ausgerechnet, weil der Blick vom Dach nun in den Keller geht. Denn dort steht etwas, was klimapolitisch über Jahrzehnte vernachlässigt wurde.

Christian Küttner sitzt in der „Friseurkunst“, einem ehemaligen Friseursalon nahe der U-Bahn-Station. Der Raum ist vollgestellt mit Pinnwänden, an denen diverse Zettel und Dokumente über das Wärmebild des Quartiers hängen. Sie gehören zum Vereinsprojekt Klimafreundliches Quartier (KliQ), das 2022 aus dem Verein Klimafreundliche Papageiensiedlung (KliP) hervorging, um das Leben nach eigenen Worten im gesamten Krumme-Onkel-Oskar-Kiez „im sozialen und globalen Sinne klimafreundlicher zu gestalten.“

Klimafreundlich Heizen

Eine Luftwärmepumpe nutzt die in der Außenluft vorhandene Wärme, um Gebäude zu beheizen – selbst bei niedrigen Außentemperaturen. Ein Kältemittel in der Wärmepumpe nimmt diese Wärme auf und wird anschließend durch einen Kompressor verdichtet, wodurch die Temperatur des Kältemittels stark ansteigt. Das aufgeheizte Kältemittel gibt seine Wärme dann an das Heizsystem des Hauses ab. Mit erneuerbaren Energien betrieben, ist die Wärmepumpe klimaneutral.

Eine Erdwärmepumpe nutzt die konstante Wärme aus dem Erdreich. Dazu werden lange Rohre in den Boden verlegt, die ein spezielles Flüssigkeitsgemisch enthalten. Diese Flüssigkeit nimmt die Wärme aus dem Boden auf und transportiert sie zur Wärmepumpe im Haus. Dort gibt die Flüssigkeit die aufgenommene Wärme an das Kältemittel ab. Durch den kontinuierlichen Kreislauf kann die Erdwärmepumpe effizient und umweltfreundlich Wärme aus dem Erdreich nutzen, um das Haus zu beheizen.

Ein kaltes Nahwärmenetz nutzt ebenfalls die Wärme aus dem Boden, um Häuser zu heizen. Dabei wird die Wärme von dezentral angelegten Erdspeichern bei relativ niedrigen Temperaturen durch ein Netzwerk von Rohren zu den Häusern transportiert. (InPE)

„Ich hatte immer eine Affinität fürs Praktische“, sagt Küttner, 64, gelernter Elektriker und Informatiker und Leiter einer Software-Firma. Seit 24 Jahren lebt er im Quartier, seit neun Jahren ist er ehrenamtlich im Bezirk aktiv, als Sprecher der Bürgerinitiative Zehlendorf, als Mitglied im Verein Papageiensiedlung e. V. und als Mitinitiator von KliQ. Jedes Mal ging es darum, nachhaltige Stadtentwicklung von der Theorie auf die Straße zu bringen.

Der großen ökologischen Transformation möchten sie in Zehlendorf im Kleinen begegnen. Zuvor lag der Fokus der Aktiven im Quartier auf dem Ausbau von Photovoltaik. 80 Dächer von Schulen, Mietshäusern und Eigentumswohnungen stattete man in den vergangenen Jahren mit Solarkraft aus. Im Oktober 2023 folgte der nächste Schritt: in ihren Briefkästen fanden die Hausbesitzer im Viertel einen Zettel. Man plane die Gründung einer Energiegenossenschaft, informierte die Initiative, um die Wärmeversorgung im Quartier in den nächsten zehn Jahren klimaneutral und genossenschaftlich zu betreiben.

Konkret gehe es um den Aufbau von sogenannten kalten Nahwärmenetzen, dessen technische und ökonomische Machbarkeit man nun in Studien prüfen lassen wolle. Ein solches Netz nutzt die ganzjährig stabile Temperatur im Boden als Grundlage, um umliegende Wohnungen und Häuser mittels Wärmepumpen zu heizen.

An 1.850 Häuser verteilten sie die Flyer. Wen die Pläne neugierig gemacht hätten, könne ganz unverbindlich sein Interesse bekunden. Nach kurzer Zeit taten das 400 Haushalte. „Die Resonanz war für uns sehr überraschend“, sagt Küttner und lächelt. Die Genossenschaft ist für ihn das bislang größte Projekt.

Der Zeitpunkt ist passend: Die vorangegangene Debatte in Deutschland über das Heizungsgesetz hat das Land polarisiert, gleichzeitig das Bewusstsein für das Wärmethema in der Gesellschaft geschärft. Das geplante Einbauverbot von neuen Öl- und Gasheizungen wurde zwar aufgeweicht, dafür sind die Kommunen jetzt verpflichtet, eine konkrete Wärmeplanung zu erarbeiten. Für Berlin bedeutet das: Bis spätestens Juni 2026 muss die Stadt wissen, wie sie den Gebäudesektor bis 2045 klimaneutral umstellen will.

Aufgrund ihrer Farben werden die Flachdachhäuser im Kiez heute noch als Papageiensiedlung bezeichnet Foto: Miriam Klingl

Auch wenn damit die Verantwortung vorerst wieder von den Bürgern zur Kommune gewandert ist, sei dennoch im Bezirk vielen klar geworden, dass etwas gemacht werden müsse, erklärt Küttner. Die Zettel in den Briefkästen kamen da genau richtig, wobei die Motivation der Leute ganz unterschiedlich sei. „Es gibt den Schwaben, der aufs Geld schaut, den Physiklehrer, der von der Idee des kalten Nahwärmenetzes fasziniert ist, und den Architekten, der nicht will, dass in der Gegend überall Wärmepumpen stehen“, fasst der 64-Jährige zusammen.

Jetzt machen wir es eben selbst und sind dabei schneller und ambitionierter als der Bezirk

Christian Küttner, Vorstand von KliQ

Im Grunde ist KliQ der Politik voraus und nimmt ihr wichtige Arbeit ab. Es will herausfinden, welche klimafreundlichen Heizlösungen sich im Bezirk am besten eignen. Die Initiative sprach bereits mit den Stadtwerken, Vattenfall und der Gasag, dem wichtigsten Gasnetzbetreiber im Bezirk, über alternative Heizlösungen im Gebiet, unter anderem über einen möglichen Anschluss ans Fernwärmenetz. Konkrete Planungen hatten sie alle nicht, so Küttner. „Jetzt machen wir es eben selbst und sind dabei schneller und ambitionierter als der Bezirk.“

In den Monaten nach dem Briefeinwurf organisierte die Initiative zwei Informationsabende. Die jeweils rund 120 Teilnehmer wurden auf neun Tische verteilt und bekamen den Arbeitsauftrag: Wir gründen eine Genossenschaft – was müssen wir tun? Am Ende gab es neun Geschäftspläne, sechs zum Thema Wärmewende und jeweils einen für Kieztreffs, Urban Gardening und Mobilität. Am 13. April 2024 war es dann so weit: 160 Leute kamen, 148 traten sofort der Genossenschaft bei. In einem 45-minütigen Prozedere mussten alle Gründungsmitglieder nach vorne treten und einzeln mit ihrer Unterschrift die neue Satzung bestätigen. Aus einem kleinen Nachbarschaftsprojekt wurde KliQ-Berlin e. G., die erste Energiegenossenschaft im Südwesten Berlins.

Christian Küttner sitzt seitdem im Vorstand. Für ihn eine gänzlich neue Erfahrung. Die Genossenschaft sei die beste Organisationsform, um aus der Bürgerschaft Dinge konkret voranzubringen. „Ich habe einfach gesehen, dass Kommunen und Verwaltungen mit den Herausforderungen komplett überfordert sind.“ Ein wesentlicher Grund für ihn, es selbst in die Hand zu nehmen. „Was wir jetzt vorhaben, hat vielleicht noch keiner in Deutschland gemacht“, vermutet der Informatiker. Nahwärmenetze als Technologie hat sich im Neubau zwar bewährt, im Altbau ist sie aber absolutes Neuland.

Die Ausgangslage ist komplex: Noch dominiert im Quartier die Gasheizung mit 50 Prozent, gefolgt von fossiler Fernwärme mit 40 Prozent und der Ölheizung. Klimafreundlichere Technologien wie Wärmepumpen sind die absolute Ausnahme und das kalte Nahwärmenetz im Bestand noch ohne Vorbild. Durch eine mit dem KfW-Programm „Energetische Stadtsanierung“ geförderte Studie hatten sich die Initiatoren noch vor Gründung der Genossenschaft von der Berliner Energieagentur (BEA) ein generelles Potenzial für die Wärmewende bescheinigen lassen. „Jetzt brauchen wir belastbare Zahlen und müssen hausnummergenau arbeiten“, erklärt Küttner. Dafür müssen jetzt zwei weitere Studien die Machbarkeit für kalte Nahwärmenetze im Quartier bestätigen. Kostenpunkt: um die 20.000 Euro, die die Genossenschaft zur Hälfte selbst finanziert muss. Der Rest wird bei erfolgreichem Förderbescheid durch Landes-, Bundes- oder EU-Mittel übernommen.

Im Kern geht es bei der nächsten Machbarkeitsstudie um zwei Fragen: Ist ein kaltes Nahwärmenetz sowohl baulich als auch preislich im Bestand überhaupt realisierbar? Insbesondere in einer Gegend, in der es viele alte Bäume und Pflasterstraßen gibt und in der rund 50 Prozent der Gebäude denkmalgeschützt sind? Denn der Bau eines kalten Nahwärmenetz setzt harte infrastrukturelle Eingriffe voraus.

Zuerst müssen an zentralen Punkten im Quartier geeignete Orte für Wärmespeicher im Boden ermittelt und erschlossen werden. Gegebenenfalls braucht es auch noch eine größere Luftwärmepumpe, die an warmen Tagen die Energie in den Boden einspeisen. Da unter der Erde ganzjährig relativ konstante Temperaturen herrschen, lassen sich Böden ideal als kostenlose Energiespeicher nutzen. Im Anschluss müssen die Rohrleitungen von den zentralen Erdspeichern zu den Gebäuden und wieder zurück verlegt werden. Die Leitungen transportieren die gewonnene Erdwärme in Form von Wasser zu den angeschlossenen Gebäuden. Dort sind Wärmepumpen installiert, die die niedrige Temperatur des Wassers aus dem Nahwärmenetz aufnehmen und für Heizung und Warmwasser auf eine höhere Temperatur von 35 bis 55°C aufbereiten. Die Wärmepumpe funktioniert dabei ähnlich wie ein Kühlschrank, jedoch in umgekehrter Richtung: Sie entzieht dem Wasser Wärme und gibt diese an das Heizsystem des Gebäudes ab.

Der große Vorteil eines kalten Nahwärmenetzes im Vergleich zur klassischen Luftwärmepumpe im Garten ist die Effizienz. Erdspeicher nutzen die konstante Temperatur des Erdreichs, die in tieferen Schichten das ganze Jahr über recht stabil bleibt (ca. 10 bis 15°C in Mitteleuropa). Dies führt zu einer gleichmäßigen und zuverlässigen Wärmequelle. Die Wärmepumpe in den Kellern der Häuser muss das Wasser also weniger zusätzlich erhitzen. Luftwärmepumpen dagegen sind auf die Außenluft angewiesen, deren Temperatur saisonalen Schwankungen unterliegt. Besonders im Winter, wenn der Wärmebedarf am höchsten ist, ist der Betrieb wesentlich stromintensiver und teurer.

Für Küttner ist das ein entscheidender Punkt – neben der Verlässlichkeit und Langlebigkeit der Nahwärme: „Im Idealfall bauen wir das Netz und haben 100 Jahre Ruhe.“ Doch kompensieren die günstigeren Betriebskosten tatsächlich die höheren Investitionskosten? „Wo die Preise liegen, wissen wir derzeit nicht“, gibt Küttner zu. Viel hänge zum Beispiel von der zukünftigen Entwicklung des Strompreises ab. Wird Strom immer teurer, spräche dies für das Nahwärmenetz. Wird er dagegen billiger, für die Luftwärmepumpe. „Das wollen wir mit der Machbarkeitsstudie jetzt herausfinden.“

Doch unabhängig davon, zu welchem Ergebnis die Ingenieurbüros kommen mögen: Am Ende wird es auch eine Abwägung sein. Wäre die Genossenschaft bereit, in der Gegenwart mehr zu investieren, die Bauarbeiten zu akzeptieren, die Früchte aber erst in Zukunft zu ernten? Am Ende werden die Mitglieder abstimmen, ganz demokratisch, wie es in der Satzung der Genossenschaft verankert ist.

Eines der Mitglieder ist Wolfgang Thießen. Seit neun Jahren lebt er mit seiner Frau in der Sprungschanzensiedlung am Rande des Grunewalds. Von außen sieht das Haus, ein Spitzdach aus den 1960er Jahren, klein und unscheinbar aus. Innen ist es nach mehreren Sanierungswellen modern und hell. Auch ein Wintergarten-Anbau kam mit der Zeit dazu.

Thießen sitzt auf der Terrasse seiner „Scheibchen-Villa“, wie er die Häuser in der Straße liebevoll nennt. Von dort geht der Blick hinaus in den ­gepflegten Garten, der durch hohe Kiefern begrenzt wird. Er erinnert sich, wie ihn damals ein Nachbar auf die Genossenschaftspläne ansprach und er sofort überzeugt war. „Es steht halt irgendwann an, es ist alternativlos“, sagt der gelernte Geophysiker.

Christian Küttner, Vorstand der Energiegenossenschaft, steht vor Planungstafeln im Büro der Genossenschaft Foto: Miriam Klingl

Noch heizen sie im Haus mit Gas. Mit ihrem Einzug 2015 hatten sie die alte Ölheizung rausgeworfen, doch früher oder später müsse natürlich auch das Gas ersetzt werden, so Thießen, der als ehemaliger Projektleiter für Offshore-Windanlagen mit Energiefragen bestens vertraut ist. „Wir haben zwar selber schon mal darüber nachgedacht, die Gasheizung rauszuschmeißen und uns eine Wärmepumpe zuzulegen, doch politisch gab es ja keinen Druck.“ Daher sei die Idee der Genossenschaft für sie zu einem passenden Zeitpunkt gekommen.

Thießen machte selbst aktiv Werbung, warf Flyer in Briefkästen und erzählte Menschen in der Nachbarschaft davon. Sein Wunsch wäre, dass sich eine der ersten Machbarkeitsstudien genau seine Siedlung vornehmen würde und hier ein erstes Teilnetz für die Nahwärme entstehen könnte. „Eine spannende Technologie“, findet er, auch weil klassische Wärmepumpen immer noch zu laut und ineffizient seien. Thießen sieht sein Quartier für den Spatenstich bestens geeignet. „Es gibt hier keinen Denkmalschutz, keine Straßenbäume und keinen Pflasterstein“ – alles Faktoren, die dem zuständigen Bezirksamt gefallen und die Bauarbeiten erheblich erleichtern könnten.

Das Verhältnis zum grün-rot-gelb geführten Zehlendorfer Bezirksamt wird für die Genossenschaft tatsächlich noch entscheidend sein. Der Aufbau eines Nahwärmenetzes im Gebäudebestand ist nämlich ein kritischer chirurgischer Eingriff. Wenn erste Bohrungen auf öffentlichem Grund erfolgen, Gehwege aufgerissen, Bäume gefällt und Leitungen verlegt werden müssen, könnte das Bezirksamt der Genossenschaft umfangreiche Genehmigungsverfahren und bürokratische Hürden auferlegen, die wertvolle Zeit und Ressourcen kosten. Zum Beispiel könnten umfassende Boden- und Umweltuntersuchungen erforderlich sein, um sicherzustellen, dass das Projekt darauf keine negativen Auswirkungen hat. Darüber hinaus könnte es Widerstand seitens der Anwohner geben, die das Bezirksamt berücksichtigen muss und somit öffentliche Anhörungen und zusätzlichen Kompromisse verlangen. Grundsätzlich sind bürokratische Mühlen nicht die schnellsten und in Berlin mahlen sie besonders langsam – ganz besonders, wenn das Amt dem Anliegen der Genossenschaft skeptisch gegenüberstehen würde.

Zumindest zum grünen Bezirksstadtrat für Umwelt, Straßen und Grünflächen, Urban Aykal, besteht aber schon mal ein guter Kontakt. Auch am Gründungsabend war dieser anwesend. Dort betonte Aykal, dass man das Bezirksamt nicht nur als Ansprechpartner, sondern auch als Partner verstehen solle. Eine bedingungslose Unterstützung bedeute das jedoch nicht, am Ende müsse man gemeinsam nach der bestmöglichen Lösung suchen.

Gegenüber den Plänen der Genossenschaft ist Aykal aber offen, auch um ihr mögliche Sondergenehmigungen zu erteilen. Allerdings ist die Personaldecke dünn. Seit über zwei Jahren ist in Zehlendorf der Posten des Klimaschutzbeauftragten vakant, der in anderen Bezirken wichtige Maßnahmen zur Wärmewende koordiniert. Ab Herbst soll die Stelle wieder besetzt sein. „Wir sind gerade ziemlich ausgelastet“, gibt Aykal zu verstehen. Ist der Klimaschutzbeauftragte da, wolle man eine Stabsstelle im Bezirk errichten, um bürokratische Prozesse zu beschleunigen, doch ohne personelle und finanzielle Hilfe vom Senat würde es schwer werden. „Meine Wunschvorstellung ist, dass der Senat die Genossenschaft als Blaupause für die Wärmewende erkennt.“ Denn auch in anderen Außenbezirken gäbe es, was die Bewohner, Häuser und Eigenheimquote angeht, ähnliche Voraussetzungen wie in Zehlendorf, auf die sich die Pläne übertragen ließen.

Die Ansicht, dass die Genossenschaft jetzt genau die Arbeit macht, die der Bezirk oder der Senat schon längst hätten leisten müssen, lehnt Aykal ab. „In einer demokratischen Gesellschaft ist es wichtig, wenn auch von unten Akzente gesetzt werden.“ Die Politik wachrütteln, das sei schließlich der Job der Zivilgesellschaft. „Wenn wir nicht einmal in einer Generation die Wärmewende umsetzen wollen, müssen alle mit anpacken.“

Ob die Genossenschaft erfolgreich sein wird, hängt von der neuen Machbarkeitsstudie ab

Ob die Genossenschaft am Ende tatsächlich erfolgreich sein wird, hängt jetzt neben der Politik maßgeblich von den Ergebnissen der neuen Machbarkeitsstudie ab. Gibt sie grünes Licht für das kalte Nahwärmenetz, wird es ernst. Dann möchte die junge Genossenschaft Ingenieurbüros mit der Fachplanung beauftragen, und anschließend Baufirmen mit der Umsetzung des ersten Teilstücks des Netzes beauftragen. „Wir fangen klein an und wenn wir auch in der Praxis sehen, dass es klappt, können wir das Netz beliebig erweitern“, sagt Vorstand Küttner. Das sei schließlich der große Vorteil eines solchen modularen Netzes – neue Haushalte könne man einfach anschließen und das Netz so immer weiter wachsen.

Und was ist mit den Menschen, die kein Teil der Genossenschaft sind? „Wir wollen kein Vereinsnetz daraus machen und würden natürlich auch Nicht-Mitglieder anschließen“, versichert Küttner. Zwar könne es sein, dass die Tarife etwas angepasst werden, da die Mitglieder durch ihre Einlagen den Bau des Netzes ermöglicht haben, doch grundsätzlich stünden die Dienstleistungen der Genossenschaft jedem offen. „Je mehr Leute sich an unser Wärmenetz anschließen lassen, desto teurer wird es für alle, die weiter am Gas hängen.“ Irgendwann müssten die Betreiber das Gasnetz ganz stilllegen, weil es nicht mehr rentabel sei. „Dann machen wir ein Biernetz daraus“, scherzt Küttner.

Noch ist das Zukunftsmusik, doch der Informatiker ist sich sicher: Wer heute noch eine neue Öl- oder Gasheizung kauft, bekomme bald keine Ersatzteile mehr. „Die Transformation ist längst im vollen Gange und die Politik ist einfach nicht mutig genug, das zu kommunizieren.“ Die Erfahrungen, die die Genossenschaft jetzt sammelt, lassen sich weitergeben – nicht nur in Berlin, sondern im ganzen Land. „Wir bekommen jetzt schon erste Anfragen von Bürgern, die wissen wollen, wie man eine Genossenschaft gründet“, erzählt Küttner. Vielleicht sei man in zehn Jahren nicht nur Energieanbieter, sondern auch Energieberater, sozusagen als neues Geschäftsmodell. Denn natürlich muss auch eine gemeinwohlorientierte Genossenschaft schwarze Zahlen schreiben.

„Im Grunde brauchen wir jetzt eine neue Genossenschaftsrevolution in Deutschland“, träumt Christian Küttner. „Tausende Initiativen, die wie wir im ganzen Land die Wärmewende vorantreiben.“ Eine Revolution also, die im Südwesten Berlins im April 2024 vielleicht ihren Anfang nahm.

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