Personen auf einem Musikfestival

Festivals versprechen ein paar Tage kalkulierten Ausnahmezustand. Aber das Geschäft mit dem Spaß steckt bis zum Hals in der Krise Foto: Roland Owsnitzki

Festivalkultur im Krisenmodus:Der Preis der Ekstase

Festivals sind ein Gegenentwurf zum Alltag. Doch dramatisch gestiegene Kosten bedrohen die Szene. Helfen könnte mehr Kooperation statt Konkurrenz.

Ein Artikel von

23.6.2024, 13:48  Uhr

Das Funkloch-Festival, das jährlich Mitte August knapp tausend Be­su­che­r:in­nen in das sachsen-anhaltische Dardesheim lockt, ist ein Stück gelebte Alternativkultur. Auf einem Hügel, mitten in einem Windpark gelegen, zimmern die Mitglieder des Vereins Kulturcamping schon Wochen vorher die liebevoll designten Deko-Elemente für die Bühnen zusammen, auf denen DJs elektronische Musik auflegen und weitgehend unbekannte Indiebands spielen werden. Alle arbeiten hier ehrenamtlich, Sponsoring oder Werbung gibt es auf dem dreitägigen Festival nicht.

„Es ist ein cooles Gefühl, wenn man am Wochenende da steht und die Be­su­che­r:in­nen eine gute Zeit haben, und du weißt, dass du das möglich gemacht hast“, sagt Sebastian Katzer vom Verein zur taz. Eine kleine Oase von den Zwängen des Alltags für ein Wochenende zu schaffen motiviert ihn und seine Mit­strei­te­r:in­nen jedes Jahr aufs Neue, das Festival auf die Beine zu stellen.

Doch wie lange das noch möglich sein wird, ist unsicher. Wie viele Musikfestivals hat auch das Funkloch mit steigenden Kosten und niedrigen Ticketverkäufen zu kämpfen. „Die Produktionskosten steigen in allen Departments“, sagt Katzer. Für dieses Jahr sei die Finanzierung durch eine Förderung gesichert, aber sparen müsse man trotzdem. „Ein Jahr, in dem wir keine Förderung bekommen, wird schwierig, so wie die Ticketverkäufe gerade laufen.“

Zwei Jahre nach dem offiziellen Ende der Pandemie ist die Festivalbranche in den Dauerkrisenmodus übergegangen. Die Rahmenbedingungen werden schlechter, eine Besserung ist nicht in Sicht. Infolgedessen geben immer mehr Festivals auf, darunter nicht nur kleine Festivals, sondern auch etablierte Veranstaltungen wie das Mitte Juli zum letzten Mal stattfindende Melt, das über 25 Jahre lang Zehntausende in das Bergbaumuseum Ferropolis in der Nähe von Dessau lockte.

Die Krise ist nicht vorbei

„Die Ver­an­stal­te­r:in­nen spüren nicht, dass die Krise vorbei ist“, fasst Johanna Stark, Sprecherin des Branchenverbands LiveKomm, die Stimmung zusammen. Die Kostensteigerungen seien dabei das dringendste Problem. „Wir sind sehr gespannt, wie es nach dem Sommer aussieht. Wir haben große Angst, dass vor allem kleinere oder ehrenamtliche Festivals aufhören oder verdrängt werden.“

Infolge der Coronakrise und dann anschließend gleich der Inflation sind die Kosten in der Veranstaltungsbranche geradezu explodiert. Während der Pandemie verließen viele Fachkräfte die Branche, gleichzeitig stieg der Bedarf nach der Pandemie. Sicherheitsdienste, Tontechnik und Sanitäranlagen sind auch von Messen, Kongressen und anderen Konzerten gefragt. Auf die Preissteigerungen reagierten die Ver­an­stal­te­r:in­nen mit einer kräftigen Erhöhung der Ticketpreise.

Waren um die 100 Euro in den Vor-Corona-Jahren noch ein gängiger Preis für ein Festivalticket, sind jetzt 200 Euro keine Seltenheit mehr. Für viele Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen ist damit die Grenze dessen, was sie ihren Be­su­che­r:in­nen zumuten können, erreicht. Doch die Preise steigen weiter. Allein 30 Prozent seien es im Vergleich zum vergangenen Jahr, schätzt Stark.

Kein Mainstream, keine Werbung, kein Sponsoring

„Wir können nicht alles an die Be­su­che­r:in­nen weitergeben, weil die Zielgruppe dann irgendwann wegbleibt“, sagt auch Björn Oesigmann, Organisator des „Zurück zu den Wurzeln“-Festivals in Brandenburg. Die „Wurzel“, wie Oesigmann die Veranstaltung nennt, ist mittlerweile mit 10.000 Be­su­che­r:i­nnen eine etablierte Größe in der Branche, hat aber ihren subkulturellen Charakter beibehalten: keine Mainstream-Acts, keine Werbung, kein Sponsoring, dafür neun Floors, auf denen fast die gesamte Bandbreite elektronischer Musik abgedeckt wird.

Die Idee war, den Spirit der kostenlosen, meist illegalen Open Airs, die früher noch häufiger in Berlin stattgefunden haben, auf ein Festival zu übertragen. Bei Ticketpreisen von bis zu über 200 Euro wird es allerdings immer schwieriger, diesem Anspruch gerecht zu werden, gibt Oesigmann zu. „Wir grenzen viele Menschen damit aus.“

Um das Festival zu organisieren, hat Oesigmann ein Unternehmen gegründet, das mittlerweile zehn Mitarbeitende beschäftigt. Doch wirtschaftlich zu arbeiten wird unter den Bedingungen immer schwieriger. „Dieses Jahr kommen wir plus/minus null raus“, schätzt Oesigmann. Mittlerweile sei die Schmerzgrenze sowohl bei den Ticketpreisen als auch der Besucheranzahl erreicht, der einzige Hebel, den viele Festivals bereits einsetzen, sei noch Kosten einzusparen: weniger Floors, weniger Acts, weniger Kunst.

Sängerin Andreya Casablanca wird auf dem Rücken liegend auf den hochgestreckten Händen des Publikums getragen

So geht Begeisterung: Gurr-Musikerin Andreya Casablanca lässt sich beim Melt-Auftritt von der Stimmung tragen Foto: imago

Mit den steigenden Kosten werden die Kalkulationen knapper. Eine Dynamik, die selbst etablierte Festivals zur Aufgabe zwingt. Neben dem Melt werden nach diesem Jahr auch das Hip-Hop Open in Stuttgart oder das Meeresrausch-Festival auf Usedom zum letzten Mal stattfinden. Viele weitere Festivals bangen um ihre Existenz.

Ein großer Schuldenberg

Besonders belastend ist die Situation jedoch für kleinere und weniger etablierte Veranstalter:innen. Für sie steigt das Risiko, nach monatelanger Vorbereitung vor einem riesigen Schuldenberg zu stehen. So wie im Falle des Fluid-Festivals, das sechs Wochen vor Beginn überraschend absagen musste.

Das kleine Festival, das 2022 zum ersten Mal in Brandenburg vom Verein Heterotopie organisiert wurde, wollte einen Raum bieten, in dem Menschen unterschiedlichster Identitäten elektronische Musik genießen, sich begegnen und frei entfalten können. Für die zweite Ausgabe, die Mitte Juni stattfinden sollte, hatten die Vereinsmitglieder bereits viel Zeit und Mühen investiert.

Ein neues Gelände gefunden, DJs und Künst­le­r:in­nen gebucht, Budgets kalkuliert, Awareness-Konzepte ausgefeilt, Security- und Sanitärdienstleister angefragt. Das alles ehrenamtlich, neben Studium und Lohnarbeit. „Nebenbei so ein Mammutprojekt zu stemmen ist echt extrem“, sagt Vereinsmitglied Josepha Groesgen der taz, „Das geht voll an die Substanz.“

Zwei Besucher des Wurzel-Festivals, einer von ihnen sitzt im Rollstuhl.

Und ein Ort für alle: das Wurzel-­Festival will barrierefrei sein Foto: Schwerkraft Berlin

Doch sechs Wochen vor dem Start sahen sich die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen gezwungen, das Fluid abzusagen. Die Ticketverkäufe lagen weit hinter den Erwartungen zurück. „Es wäre unverantwortlich gegenüber allen Beteiligten gewesen, das Projekt an diesem Zeitpunkt weiterzuführen“, sagt Groesgen.

Erschwerend kommt hinzu, dass viele kleinere und alternative Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen deutlich höhere Ansprüche haben, um den Traum ihrer Teilzeit-Utopie zu verwirklichen. Zum Beispiel antifaschistische Security-Firmen, deren Mitarbeiter im Erkennen von Neonazi-Codes geschult sind.

Probleme mit lokalen Neonazis

In der Vergangenheit hätten lokale Neonazis immer wieder versucht auf das Gelände zu kommen, erklärt Sebastian Katzer vom Funkloch. Oder Awareness-Strukturen, um Unterstützung im Fall von sexuellen Übergriffen und Diskriminierungen zu leisten. Das Zurück zu den Wurzeln investiert jedes Jahr viel Geld in rollstuhlgerechte Wege, Toiletten und Dancefloors, um das Festival barrierefrei zu machen.

Angesichts der existenzbedrohenden Lage werden die Rufe lauter, der angeschlagenen Branche mit Fördergeldern unter die Arme zu greifen. Doch während in der Pandemie mit dem Programm Neustart Kultur noch Hunderte Millionen Unterstützungsgelder an Ver­an­stal­te­r:in­nen flossen, gibt es in Zeiten der durch die Schuldenbremse auferlegten Sparzwänge kaum noch Förderprogramme.

Immerhin 5 Millionen Euro stellt der Bund in diesem Jahr in einem Förderfonds speziell für Festivals bereit. Gefördert werden 141 Festivals mit bis zu 50.000 Euro – darunter auch das Funkloch. Doch die Summe deckt den Bedarf nur ansatzweise, insgesamt haben sich 800 Ver­an­stal­te­r:in­nen beworben. Auch das Fluid-Festival ging leer aus.

Auf einem Festival hängen Hängematten zwischen Bäumen in der untergehenden Sonne

Das Festival auch als utopischer Ort: Entspannung finden beim Funkloch-Festival Foto: Kulturcamping

Förderungen können helfen, das Risiko, das gerade nichtkommerzielle Ver­an­stal­te­r:in­nen tragen, zu minimieren und strauchelnde Festivals krisenfester zu machen. So nutzt das Funkloch das Geld für Investitionen in die Infrastruktur, die die Produktion langfristig vereinfachen und vergünstigen. „Die Förderung ermöglicht uns, langfristiger zu planen. Dinge, die wir sonst gemietet haben, können wir jetzt kaufen“, sagt Sebastian Katzer. Das seien vor allem viele kleine Dinge wie Zelte für Sa­ni­tä­te­r:in­nen.

DIY oder kommerziell?

Doch am grundlegenden Problem würden selbst noch großzügigere Förderungen wenig ändern. Zur bitteren Wahrheit gehört auch, dass es nach dem Boom der 2010er Jahre und dem Nachfrageeinbruch infolge von Pandemie und Inflation ein Überangebot an Festivals gibt. „Der Markt ist gesättigt, es wird eine Bereinigung stattfinden“, prognostiziert Johanna Stark vom Branchenverband LiveKomm. Die Frage ist nur, wer bestehen bleibt: Do-it-yourself-Subkultur oder kommerzielle Riesenfestivals?

In der Krise der Festivalbranche findet eine Marktkonzentration statt, durch die Großkonzerne immer mehr Einfluss gewinnen. Längst wird der Festivalmarkt in Deutschland dominiert von Großveranstaltern, die Dutzende Festivals gleichzeitig organisieren. Der Branchenriese FKP Skorpio veranstaltet gleich 25 Festivals, darunter Rock am Ring, Hurricane und Highfield.

Auch das internationale Kapital wittert seine Chance, 2022 übernahm Live Nation, einer der weltweit größten Konzertveranstalter, Good Live, das unter anderem das Hip-Hop-Festival Splash und das Metal-Festival Full Force organisiert. Dass bald auch mittelgroße, alternative Festivals aufgekauft werden, fürchten viele Veranstalter:innen.

Alexander Dettke von der Wilden Möhre

„Ein Festival ist eine Kleinstadt. Du brauchst Infrastruktur für ein paar tausend Leute“

„Die Gefahr ist groß, dass bei einer Übernahme dein Wertekompass verloren geht“, sagt Alexander Dettke, Organisator der Wilden Möhre, einem Elektrofestival in der Niederlausitz. Trends wie Glamping, Red-Bull-Sponsoring und international eingeflogene Top-Acts könnten damit auch Einzug in die Subkultur halten.

Dettke ist Geschäftsführer des gleichnamigen Unternehmens, das hinter dem Festival steht. Dass die Möhre irgendwann einmal aufgekauft wird, ist für ihn ein Szenario, das es zu verhindern gilt. Dazu will Dettke mit der „Freude eG“ eine Genossenschaft gründen, die Kulturveranstaltungen wie die Wilde Möhre langfristig sichert und ein Stück weit unabhängig macht von wirtschaftlichen Zwängen. Durch den Verkauf von Genossenschaftsanteilen soll das nötige Kapital gesammelt werden, um Flächen für Festivals zu sichern und auszubauen.

Das Wilde-Möhre-Gelände in Göritz soll dabei als Blaupause dienen. Das Unternehmen hat bereits üppige Fördergelder aus dem Strukturwandel-Fonds der Lausitz bekommen, um das Gelände auszubauen. Durch Strom und Wasserleitungen, feste Sanitäranlagen und Hängungen für die Technik soll die Vorbereitungszeit minimiert werden. Statt drei Wochen könnte der Festivalaufbau so nur drei Tage dauern, sagt Dettke. So könnten pro Jahr deutlich mehr Festivals das Gelände nutzen. „Ein Festival ist eine Kleinstadt. Du brauchst Infrastruktur für ein paar tausend Leute, wo sonst keine ist.“

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Mit dem Genossenschaftskapital soll nun auch das Gelände gekauft werden. Statt ein Unternehmen sollen dann zukünftig die Genossenschaftsmitglieder entscheiden, wie das Gelände bespielt und entwickelt wird.

Die Idee hat Potenzial, gerade weil selbst in Festival-Bundesländern wie Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern die Flächen knapp werden. Brachen rücken in den Fokus von Investor:innen, oft wird das Umland durch Einfamilienhaussiedlungen bebaut, deren Be­woh­ne­r:in­nen sich wiederum am Lärm stören. „Festivals werden oft nicht mitgedacht bei Raumplanung“, kritisiert Stark.

Mehr Kooperation, weniger Konkurrenz scheint eine passende Antwort auf die Dauerkrise zu sein. „Vielleicht sollten wir Banden bilden“, sagt Bonnie Weber vom Entropie-Kollektiv. Das linke Szene-Festival pausiert dieses Jahr, vor allem weil viele Mitglieder überlastet sind. „Es gibt so viele Festivals, die Ähnliches machen und ähnliche Ideale haben. Warum tun wir uns nicht zusammen und machen eine Veranstaltung mit ein paar mehr Leuten?“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.

Ihren Kommentar hier eingeben