Straßenstrich am Kurfürstenkiez: Sex, Drugs, Engel & Völkers

Die Gentrifizierung des Kurfürstenkiezes schreitet voran. Dadurch werden Sex­ar­bei­te­r verdrängt.

LSD Potsdamer Straße / Kurfürstenstraße Straßenschild

Einer der letzten sicheren Verrichtungsort für die Sex­ar­bei­te­r*in­nen der Kurfürstenstraße Foto: Stephanie Pilick/dpa

BERLIN taz | Nicht je­de*r auf dem Strich konsumiere Drogen, sagt Lonneke Schmidt-Bink am Mittwochmorgen, aber viele. Einige Sex­ar­bei­te­r*in­nen seien in die Sexarbeit gelangt, um sich dadurch ihren Drogenkonsum zu finanzieren, andere durch die Sexarbeit in den Drogenkonsum gelangt. Henne oder Ei, hin oder her, eines steht für sie fest: „Der Ton auf der Straße wird rauer.“

Schmidt-Bink ist Sozialarbeiterin beim Frauentreff Olga, einer Anlauf- und Beratungsstelle für drogenkonsumierende Frauen, Trans*­frau­en und Sexarbeiterinnen an der Kurfürstenstraße. Am Mittwochmorgen veranstalten sie im Rahmen der „Aktionswoche zum Internationalen Tag der Sexarbeit“ eine Führung über den Straßenstrich im Kiez.

Es sind nur wenige Sex­ar­bei­te­r*in­nen auf der Straße. „Viele haben gestern ihr Bürgergeld bekommen und ruhen sich aus“, erzählt Schmidt-Bink. Die Sex­ar­bei­te­r*in­nen im Kiez seien sehr divers: von Minderjährigen bis über 60-Jährige, die mit der Arbeit ihre „Rente aufbessern“ wollten, seien alle vertreten. „75 Prozent der Stra­ßen­s­ex­ar­bei­te­r*in­nen hier kommen aus Osteuropa“, sagt sie. Zunehmend kämen auch Personen aus südamerikanischen Ländern, viele von ihnen Dritt­staat­le­r*in­nen ohne Ansprüche auf Leistungen. „Manchen geht es richtig beschissen“, sie seien obdachlos, drogenabhängig und psychisch labil. Andere gingen der Sexarbeit selbstbestimmt nach.

Mit Pizza beworfen

Anlass für die Aktionswoche ist der „Internationale Hurentag“ am 2. Juni, ein inoffizieller Gedenktag, der auf die Diskriminierungen und Stigmatisierungen aufmerksam machen soll, die Sex­ar­bei­te­r*in­nen täglich erleben müssen. Und die sind erheblich: „Sexarbeiter*innen wurden von An­woh­ne­r*in­nen mit Wassereimern überschüttet und Pizzen beworfen“, erzählt Schmidt-Bink. Alteingesessene Kiez­be­woh­ne­r*in­nen hätten eine hohe Akzeptanz für die Sex­ar­bei­te­r*in­nen und unterstützten diese, doch der Kiez und die Bewohnerschaft habe sich in den letzten Jahren stark verändert.

Wo früher Brachland war, stehen heute Neubauten und Alnatura-Märkte. Von den neuen Bewohnern seien viele von der Sexarbeit nicht begeistert, sagt Schmidt-Bink. Das könnten die Sex­ar­bei­te­r*in­nen nur bestätigen. „Für sie hat sich durch die Gentrifizierung die Situation in vielerlei Hinsicht verschlechtert,“ erzählt die Sozialarbeiterin. Früher hätten sie ihren Geschäften und Drogenkonsum weitgehend unbeobachtet nachgehen können, durch die Gentrifizierung sei dies zunehmend in die Sichtbarkeit gerückt. Die Folge: weniger Kundschaft.

Zudem haben viele Stundenhotels schließen müssen, wodurch mehr Sexarbeit im öffentlichen Raum stattfinde. „Das ist für die Sex­ar­bei­te­r*in­nen ungünstig“, sagt Schmidt-Bink. Denn die Straße ist gefährlicher als geschützte Orte, Kunden seien „regelmäßig gewaltvoll“.

Ein Ort, an dem sich die Sex­ar­bei­te­r*in­nen noch sicher fühlen, ist das LSD-Sexkino an der Kurfürstenstraße, an dem sie Kabinen mieten und ihr Geschäft verrichten können. „Seit Längerem steht jedoch im Raum, dass das Gebäude abgerissen werden soll“, erzählt Schmidt-Bink. Es werde auch darüber diskutiert, den Kiez zum Sperrgebiet zu erklären.

„Es kann sein, dass die Straße so unattraktiv wird, dass die Sex­ar­bei­te­r*in­nen verschwinden“, sagt die Sozialarbeiterin. Stellt sich nur die Frage: wohin? „Wenn sie nicht mehr im offenen Raum sichtbar sind, an wen wenden sie sich, wenn es brennt?“. Von der Politik fordert Schmidt-Bink daher sichere Verrichtungsorte, einen Drogenkonsumraum und 24-Stunden-Notunterkünfte. Eine solche Infrastruktur würde auch die Probleme mit der Nachbarschaft lindern.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.