piwik no script img

Flaschensammler bei der EMLos jetzt, her mit der Pulle!

Am Rande der EM tummeln sich Menschen, die von Flaschenpfand leben. Gerade bei Fußballspielen fällt viel an.

Flaschensammeln bei der EM: vor dem Spiel Deutschland-Schottland am 14. Juni in München Foto: Imago/Moritz Müller

I osif ist gerade vertieft in eine Diskussion mit Polizeibeamten, die sein Redebedürfnis aber an sich abprallen lassen. Sie schauen unbeteiligt. Möge sich der Typ doch endlich verzipfen. Was er dann auch tut. Iosif hat viele Beutel dabei. Sie sind randvoll gefüllt mit Flaschen. Plastikflaschen. 25 Cent das Stück bringen die, wenn man sie einlöst im Supermarkt an diesen Automaten. Glasflaschen sammelt Iosif nicht. Bringen zu wenig. Und so hat er auch kein Verständnis für meine Frage, ob die randvoll mit Bierflaschen gefüllten Einkaufswägen, die da am Baum stehen, auch ihm gehören. Nein, tun sie nicht, der Eigner ist verschwunden.

Wahrscheinlich stromert er gerade wieder irgendwo herum, um die wertvollen Dinger aufzutreiben, Flaschen, Dosen, die von unzähligen Fans am Stuttgarter Stadion hinterlassen werden. Gleich hinter der S-Bahn-Station Neckarpark haben die Flaschensammler ihre Einkaufskörbe deponiert. Da kann man die Pullen ganz praktisch und ohne Umwege entsorgen. Es ist warm geworden. Die Anhänger Deutschlands und Ungarns haben sich mit etlichen Bierchen gleichsam auf Betriebstemperatur gebracht; die Bedachten trinken Mineralwasser. Die Flaschen stehen überall herum, sie müssen nur verfrachtet werden.

Ich hatte Iosif zu Anfang unseres kleinen Gesprächs gefragt, ob er Deutsch spricht, was von mir auch ein bisschen ungeschickt war, denn natürlich spricht Iosif deutsch. Er ist schließlich seit Jahrzehnten in Deutschland, ein Grieche, der aus Thessaloniki stammt. Dort hat er noch Familie und ist manchmal in der Heimat. Das geht jetzt auch einfacher, weil er Rentner ist.

Viel Kohle bekommt man in Deutschland als Pensionär nicht. Die Durchschnittsrente in Deutschland beträgt laut Statista für Männer 1.373 Euro (Frauen: 890), und wer auf diesen Betrag kommt, darf sich glücklich schätzen. „Ist hier ein netter Zuverdienst“, sagt Iosif und knistert mit den Tüten. Wie viel das bringt? „So 30, 40 Euro“, sagt er, und man sieht, dass Flaschensammeln ein anstrengender Job ist: Der Kragen seines grauen Shirts ist verschwitzt, aber hier am Stadion ist es ungleich leichter, die kleinen Schnäppchen zu machen, als in der Stadt, wo man in jeden Mülleimer gucken und weite Strecken zurücklegen muss.

So 30, 40 Euro

Josif, Flaschensammler aus Stuttgart über die Ausbeute des Deutschland-Ungarn-Spiels

Mit jedem Jahr steigt nicht nur gefühlt die Zahl der Flaschensammler in Deutschland. Das Land wird ärmer, man sieht es. Fast jedes Mal, wenn ich über den Alex in Berlin radle, sehe ich einen Alten in einen orangefarbenen Mülleimer lugen. Manche tragen Handschuhe, damit es nicht zu eklig wird. Oft sind sie mit einem Fahrrad unterwegs, an dem sie olle Tragetaschen befestigt haben. Die EM-Partien, Fußballspiele überhaupt, sind, nun ja, Hochämter für die Flaschensammler. Der gemeine Fan, der fürs Ticket schon mal 100 Euro ausgibt und für die Reise nach Deutschland 1.000, den juckt es nicht, wenn er 25 Cent verschenkt, manche fühlen sich vielleicht sogar erhaben, wenn sie den Sammlern eine milde Gabe zustecken. Iosif nimmt sie gern entgegen. „Und ein gutes Spiel“, wünscht er.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Redakteur
Seit 1998 mehr oder weniger fest bei der taz. Schreibt über alle Sportarten. Und auch über anderes.
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Es liegt vllt an meinem Leseverständnis, aber bei der Überschrift hätte ich erwartet, dass im Artikel jemand, in diesem Fall Iosif, sich etwas harsch verhält. Das Gegenteil ist der Fall, eine normale Konversation, welche die Probleme aufzeigt die sich derzeit im weiter verschärfen.

    Jetzt wird es vllt etwas polemisch, aber ein möglicher Rassist, zumindest von rassistischen Stereotypen geprägter Journalisten "... gefragt, ob er Deutsch spricht..." unterstellt anderen Menschen das sie sich möglicherweise erhaben fühlen, wenn sie Iosif ihren Pfand geben.

    Weg von der Polemik, ich würde dem Autor bezüglich der Frage nicht unterstellen, dass er Rassistisch ist. Es spricht einfach nicht jeder deutsch oder fühlt sich in der deutschen Sprache sicher genug. Genauso finde ich eine Unterstellung, dass manche Menschen möglicherweise sich erhaben fühlen könnten wenn sie ihr Pfand verschenken unangebracht. Was soll dieser Satz suggerieren? Was für ein Menschenbild steht dahinter?

    • @Hitchhiker:

      Ich kann Sie beruhigen. Was in der Überschrift steht habe ich schon von deutschen Flaschensammlern mitgehört. Entspricht durchaus der Realität auch wenn es im Artikel nicht explizit so zugeht. Kennen wohl schon so viele, dass man das so verallgemeinert stehen lassen kann.

      Das Menschen sich erhaben fühlen, sozial und finanziell über anderen Menschen zu stehen sollte nun wirklich gerade in Deutschland kein Geheimnis sein.