St. Pauli verliert Trainer Hürzeler: Der Aufstieg des Aufsteigers
Vier Wochen nach dem Bundesliga-Aufstieg wechselt St. Paulis Trainer Fabian Hürzeler in die Premier League. Nun muss der Verein schnell Ersatz finden.
Damit ging am Samstagabend eine gute Woche zäher Verhandlungen zu Ende. Die Südengländer müssen eine Millionenablöse für den begehrten Trainer zahlen, über deren Höhe beide Klubs Stillschweigen vereinbart haben. Das Fachblatt Kicker berichtet jedoch, sie liege bei knapp sechs Millionen Euro plus erfolgsbezogener Prämien sowie einer Beteiligung St. Paulis, falls Brighton seinerseits bei einem späteren Wechsel Hürzelers eine Ablöse erzielen sollte. Von bis zu neun Millionen Euro schreibt das Hamburger Abendblatt.
In seiner Mitteilung zu dem Wechsel zitiert der FC St. Pauli Hürzeler mit den Worten: „Mit dem Wechsel in die Premier League geht für mich ein Traum in Erfüllung, aber ich werde St. Pauli und die unvergesslichen Momente, die wir geteilt haben, insbesondere den Aufstieg in die 1. Bundesliga, immer in meinem Herzen tragen.“
Dieser wohl unvergesslichste Moment ist gerade einmal vier Wochen her. Da feierte der FC St. Pauli den Aufstieg in die Bundesliga als Zweitliga-Meister, mit Empfang im Rathaus und einer Sause auf der Reeperbahn. Hürzeler wurde schon eine Woche vorher, als der Aufstieg sicher war, von den Fans in die Luft geworfen und von seinen Spielern mit Bier übergossen, was ihm sichtlich unwohl war. Etwas gequält hatte er damals angekündigt, er werde versuchen, „ein Vorbild in Sachen Feierbiest“ zu sein.
Fabian Hürzeler schaffte schier Unglaubliches
Er hatte schier Unglaubliches geschafft. Den sechsten Aufstieg in die Erstklassigkeit, ja. Aber vor allem das Wie überzeugte. Die Mannschaft des FC St. Pauli lag nur einen Punkt vor dem Zweitliga-Letzten, als Cheftrainer Timo Schultz 2022 entlassen wurde, nach 17 Jahren im Verein und zum Unmut vieler Fans.
Der Unmut legte sich nur allmählich, nachdem Sportchef Andreas Bornemann eine interne Nachfolgelösung aus dem Hut zog: Der damals erst 29-jährige Fabian Hürzeler stieg vom Co- zum Cheftrainer auf – und führte das Team aus dem Stand zu einer Rekordserie von zehn Siegen und am Ende noch auf Platz fünf.
Vor allem aber hatte der junge Trainer das Team enorm weiterentwickelt, die einzelnen Spieler und auch das Kollektiv. Es folgte eine Saison, in der die personell nur geringfügig verstärkte Mannschaft die Liga in beeindruckender Weise dominierte, oft eine Klasse besser wirkte als ihre Gegner, und zu Recht am Ende ganz oben stand. Hier war eine Einheit gewachsen. Hürzeler hat sich daraus nun verabschiedet.
St.-Pauli-Fans sind enttäuscht
Natürlich sind die Fans enttäuscht, es steht die Frage im Raum, ob der Mann, der eben noch als „Trainergott“ gefeiert wurde, seinen Klub verraten habe. Aber das ist nicht nur grundsätzlich die falsche Kategorie im Geschäft Profifußball. Sie trifft auch insbesondere auf Hürzeler nicht zu. Denn er hat sich nie mehr als nötig für die St.-Pauli-Folklore vereinnahmen lassen. Der Mann, der seinen aktiven Karrierehöhepunkt als Spielertrainer beim FC Pipinsried in der Regionalliga Bayern hatte, lebt für den Fußball als solchen, nicht für einen Verein oder ein Team.
Wenn frühere Weggefährten ihn einen „Fußballverrückten“ nennen, ist das ausnahmsweise keine Floskel. Hürzeler war neu in Hamburg und fand in der Fußball-Community schnell Anschluss. Es dauerte nicht lange, da trainierte er neben seinem Fulltime-Job als Co-Trainer bei St. Pauli abends beim Eimsbütteler Turnverband (ETV), einem ambitionierten Fünftligisten. Und es hatte einiges mit Hürzeler zu tun, dass der ETV den Sprung in die Regionalliga Nord schaffte. Denn er spielte nicht nur selbst, sondern wirkte klammheimlich auch hier als Co-Trainer mit. Wenn er nach dem Training nach Hause kam, dann schaute er fern. Fußballspiele.
Hürzeler ordnet sein ganzes Leben seinem Sport unter. Und dem Erfolg. Vor allem dem eigenen, sagen manche, die ihn kennen.
Hürzeler wollte in die Erste Liga
Bei St. Pauli bekamen sie schon einmal einen Vorgeschmack darauf, als der Cheftrainer im Frühjahr wochenlang mit einer Vertragsverlängerung zögerte, mitten in der entscheidenden Phase des Aufstiegskampfes. Er habe damals unbedingt eine Ausstiegsklausel in seinem Vertrag haben wollen, heißt es. Hürzeler wollte in die Erste Liga, um jeden Preis. Mit St. Pauli oder ohne. Dafür riskierte er sogar den Erfolg der Mannschaft, die gegen Ende der Hängepartie tatsächlich verunsichert wirkte.
Schließlich setzte der Verein sich durch, Hürzeler verlängerte ohne Klausel. Dass das nicht das letzte Wort sein würde, konnten sich aber alle Beteiligten denken. Das Zugeständnis von Hürzeler an den Klub war im Wesentlichen, dass der im Falle eines Wechsels eine Ablösesumme frei verhandeln könnte.
Der Bundesliga-Aufstieg hatte eine weitere Zusammenarbeit viel wahrscheinlicher gemacht. Doch das Angebot von Brighton war nicht irgendeins. Hürzeler hatte immer wieder gesagt, dass die Arbeit des bisherigen Brighton-Coaches Roberto de Zerbi ihn inspiriere, war deswegen auch mehrfach in das Seebad an der englischen Südküste gereist. Denn er verfolgt eine ganz ähnliche Spielidee wie der Italiener, Ballbesitzfußball mit hohem Pressing und einer starken Spieleröffnung ab der Torwartposition.
Jüngster Chef-Coach der Premier-League-Geschichte
Das ist auch den Verantwortlichen in Brighton nicht verborgen geblieben. Sie holen ganz bewusst einen Trainer, der von ihrer Mannschaft Dinge verlangt, die sie kann. Dafür gehen sie auch das Risiko ein, den jüngsten Chef-Coach der Premier-League-Geschichte aus der Zweiten Liga und aus dem Ausland zu holen.
Einen allerdings, der es längst gewohnt ist, seine Team-Ansprachen auf Englisch zu halten und deswegen kaum Anpassungsprobleme haben dürfte. Es ist auch dieses strategische Denken, das Hürzeler reizen muss. Der Klub, der einem Poker-Multimillionär gehört, arbeitet in vielen Bereichen mit datengestützten Analysen. Wie gemacht für den Akribiker Hürzeler, der selbst am liebsten nichts dem Zufall überlassen möchte.
„Der Abgang von Fabian ist ein Verlust für den Verein, aber auch die Bestätigung unseres Weges, uns durch Transfererlöse sukzessive weiterzuentwickeln“, lässt sich St. Paulis Präsident Oke Göttlich gewohnt diplomatisch zitieren. Was Göttlich nicht sagt, ist, dass der Verein die Transfererlöse lieber mit Spielern erzielt hätte als mit dem größten Trainertalent der jüngeren Vereinsgeschichte.
FC St. Pauli sucht neuen Trainer
Wiederholen lässt sich der Coup, den scheidenden Trainer mit einer internen Lösung zu ersetzen, nicht ohne Weiteres. Andreas Bornemann sucht deshalb extern, würde wohl auch einen Teil der Hürzeler-Ablöse reinvestieren. Laut Kicker soll Christian Eichner vom Karlsruher SC hoch im Kurs stehen, dessen Ausstiegsklausel jedoch in der Nacht zum Sonntag ausgelaufen sein soll.
St. Pauli steht unter Zugzwang: In drei Wochen ist Trainingsstart. Und der neue Coach sollte im besten Fall bei der Besetzung der noch offenen Positionen im Kader mitreden. Dabei wird Bornemann ein starkes Argument in Verhandlungen mit neuen Spielern künftig fehlen: die Aussicht, unter dem Bessermacher Hürzeler zu spielen.
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