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Neuwahlen in FrankreichVom Gefühl einer historischen Wende

Präsident Macron schwört Frankreich ein, bei der Wahl nicht für „Extremisten“ zu stimmen. Bei den Konservativen spielt sich ein Psychodrama ab.

Der französische Präsident Emmanuel Macron auf dem Weg zu einer Pressekonferenz, um über die vorgezogenen Parlamentswahlen zu sprechen Foto: Stephane Mahe/reuters

Paris taz | Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron hat bei einer Pressekonferenz am Mittwoch die „Männer und Frauen guten Willens“ beschworen, ihm bei der vorgezogenen Parlamentswahl am 30. Juni und 7. Juli eine neue Mehrheit zu geben und nicht auf die Extremisten zu hören. Er verteidigte seine Bilanz, die Forderung nach seinem Rücktritt sei „absurd“. Er habe „Vertrauen“ in seine Landsleute und sei selber alles andere als „defätistisch“. Falls aber dennoch „am Tag danach“ die extreme Rechte als Siegerin dastehen sollte, könne dies Frankreich nur schwächen, warnte er. Sei das Gegenteil der Fall, werde dies Frankreich jedoch stärken.

Noch findet er sich nicht damit ab, im Fall einer rechtsextremen Mehrheit in der Nationalversammlung die Regierungsmacht an das rechtspopulistische Rassemblement National (RN) abzugeben. Stattdessen hat er mit erstaunlicher Zuversicht ein ganzes Programm mit Aufgaben und Reformvorschlägen entwickelt, als ob er weitermachen könne wie bisher. Doch diese Ausführungen klangen realitätsfremd.

Macron beschuldigte die politischen Extremisten beider Seiten, für die parlamentarische Handlungsunfähigkeit verantwortlich zu sein. Ebenso verurteilte er die politischen Kräfte, die nun in Hinblick auf die Wahlen zur Rettung einiger Sitze Allianzen suchen. Am Sonntag seien „die Masken gefallen“, sagte er in Anspielung auf Eric Ciotti.

Als Macron, wie üblich verspätet, seine Ansprache begann, fiel der Ton der Fernsehübertragung aus. Das alles wirkte improvisiert

Der bisherige Parteichef der Konservativen suche eine Einigung mit dem RN, was in totalem Widerspruch zur Politik und den Grundwerten der bürgerlichen Rechten stehe. Auch das Linksbündnis zwischen „Sozialisten, die der Ukraine helfen wollen, und (der Linkspartei) La France insoumise, die Russland unterstützt,“ sei „widernatürlich“, sagte Macron. Die von Jean-Luc Mélenchon angeführte extreme Linke sei „antisemitisch“ und „antiparlamentarisch“.

Macron sollte am Dienstag den Medien Rede und Antwort stehen, die Konferenz wurde auf Mittwoch 17 Uhr verschoben und dann auf 11 Uhr vorgezogen. Als Macron, wie üblich verspätet, seine Ansprache begann, fiel der Ton der Fernsehübertragung aus. Das alles wirkte improvisiert. Nach dem Schock der Ausrufung von Neuwahlen ist in den politischen Kreisen der Hauptstadt eine Mischung aus Aufbruchstimmung, ängstlicher Ungewissheit und dem Bewusstsein spürbar, wohl vor einem historischen Wendepunkt zu stehen.

RN kann mit einem Erdrutschssieg rechnen

Ein politisches Psychodrama spielte sich bei den Konservativen ab. Am Dienstag hatte Eric Ciotti, der Chef der Partei Les Républicains (LR), mit der Ankündigung überrascht, er habe mit dem RN ein Abkommen ausgehandelt, wonach mehrere Dutzend LR-Kandidaten in den Genuss einer Wahlhilfe des RN kämen. Dieser „Deal“, so die Zeitung Le Parisien, stellt einen totalen Bruch mit der Bündnisdoktrin der Partei dar, die sich auf das Erbe von General de Gaulle und Jacques Chirac beruft.

Senatspräsident Gérard Larcher, die gesamte LR-Fraktion im französischen „Oberhaus“, der LR-Fraktionschef Olivier Marleix, frühere LR-Minister wie Xavier Bertrand, François Baroin sowie Kulturministerin Rachida Dati (Ex-LR) bezichtigten Ciotti, seine Partei „verraten“ zu haben. Bei einer außerordentlichen Sitzung setzte die Parteileitung Ciotti am Mittwochnachmittag ab. Um dies zu verhindern, hatte er zuvor die Türen der LR-Parteizentrale verriegeln lassen.

Trotz anhaltender politischer Streitereien und persönlicher Rivalitäten haben auf der Gegenseite die Verhandlungen der Linksparteien über eine „Front populaire“ (Volksfront) genannte Wahlunion Fortschritte gemacht. Diese Union, die am Mittwoch Zulauf von weiteren kleinen Parteien (von baskischen und bretonischen Autonomisten bis zu den Trotzkisten) bekam, soll in jedem der 577 Wahlkreise eine gemeinsame Kandidatur vorschlagen. Noch wird jedoch diskutiert, wer am besten platziert oder bestimmt inakzeptabel wäre. Auch bei der Abfassung einer gemeinsamen politischen Plattform gibt es noch Differenzen.

Laut Umfragen kann das RN bei den Wahlen mit einem Erdrutschsieg rechnen, der bei einem Stimmenanteil von 35 Prozent der Partei von Marine Le Pen zu einer absoluten Mehrheit (mehr als 288 Sitze) verhelfen könnte. Sie hat ihren Parteichef Jordan Bardella als nächsten Premier designiert. Die vereinte Linke wird bei 25 Prozent, die Koalition der macronistischen Regierungsparteien bei 18 Prozent und die Konservativen von LR werden bei 9 Prozent gehandelt.

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4 Kommentare

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  • Mir kommt hier die französische Linke ein wenig zu kurz. Man muss nicht immer das eine Auge verschließen. Melanchon (sorry, da sicherlich falsch geschrieben, auf dem Handy ist das immer doof mit parallelem Googlen) ist ebenfalls politischer Hardliner, der seine Anlehnung der EU, aber auch seine Bewunderung mit faktisch dikatorischen Regimen wie bspw. Venezuela und Kuba nicht mal verheimlicht. Wenn ich Freund:innen aus Frankreich aus dem queeren Spektrum, die ihn wählen, darauf anspreche, kommt merkwürdiger Weise immer so gar nix Substanzielles. Macron und rechts finden wir doof, deshalb wählen wir den halt - oder so. Ich persönlich halte seine Ansichten nicht für minder gefährlich.

  • Südafrika, Frankreich, Italien, Ungarn, USA etc...

    In welches Land man auch schaut: tiefste Gräben zwischen den Parteien - Leidtragende sind die Menschen im jeweiligen Land.



    Das ist ein strukturelles Problem:



    Es fehlt aus wahltaktischen Gründen die Bereitschaft, gemeinsam eine Lösung zu finden, die nicht nur der eigenen Klientel passt.



    Das lässt sich ändern, wenn man andere Arten der Entscheidungsfindung ergänzt. Insbesondere repräsentativ geloste Bürgerräte. Hierbei gibt es strukturell weniger Polemik und stattdessen viel größere Chancen, dass eine Entscheidung von einer breiteren Mehrheit akzeptiert wird.

  • Es wirkt wie ein Desaster mit Ansage, was Macron da angestossen hat. Aber nicht vergessen: Der Souverän sind die Wählerinnen und Wähler. Und genau die fordert Macron jetzt heraus als würde er sie fragen: "Wollt ihr wirklich und ernsthaft von extrem rechts regiert werden?" Es liegt also alles ganz demokratisch in der Hand der Französinnen und Franzosen. In einer Demokratie bekommt das Volk die Regierung, die es verdient.

    • @Winnetaz:

      Nein, diese Antwort macht es sich zu leicht. Aufgrund des Mehrheitswahlrechts könnte ein Drittel der Stimmen reichen, um einen absolute Mehrheit zu erlangen. Das haben die übrigen zwei Drittel NICHT verdient.