Razzien bei islamistischem Verein: Tiktok-Salafisten-Verein verboten

Niedersachsen verhängt ein Vereinsverbot gegen die Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft. Die Polizei durchsucht den Vereinssitz und Wohnungen.

Zwei vermummte Polizisten und ein Polizeitransporter stehen an einer Straße im Norden Braunschweigs. Hier werden die Räume der Deutschsprachigen Muslimischen Gemeinschaft durchsucht.

Morgens um 6 Uhr begann die Polizei mit der Durchsuchung der Vereinsimmobilie im Norden Braunschweigs Foto: dpa

HANNOVER taz | Im Visier hatte der Verfassungsschutz sie schon länger: Die Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft (DMG) in Braunschweig hat sich in den vergangenen Jahren zum Salafisten-Hotspot entwickelt. Jetzt hat Niedersachsen Innenministerin Daniela Behrens (SPD) ein über mehrere Monate vorbereitetes Vereinsverbot verkündet.

In den frühen Morgenstunden rückte am Mittwoch die Polizei aus, um insgesamt acht Objekte in Braunschweig und Berlin zu durchsuchen. Dabei ging es vor allem um den Vereinssitz und die Moschee, aber auch um Privatwohnungen von führenden Mitgliedern und Predigern.

Die DMG rekrutiert vor allem junge Menschen. Seit der Coronapandemie habe sie ihr Online-Angebot noch einmal massiv ausgebaut, erklärt ein Experte des Verfassungsschutzes. Namhafte Prediger der Szene geben sich hier die Klinke in die Hand, darunter Abu Baraa, Pierre Vogel, Sami Abu Hamza und Hassan Dabbagh.

Ihre Predigten und sonstige Einlassungen werden dann professionell aufbereitet und vor allem über Youtube, Tiktok, Twitch und Instagram verbreitet, wo sie jeweils mehr als 80.000 Menschen erreichen. Die DMG ist auf nahezu allen Social-Media-Kanälen und in Messengerdiensten vertreten. Von einer „schweren Vergiftung einer jungen Generation“ spricht die Innenministerin.

Dem jungen Publikum zugewandt

Die Freitagspredigten und andere Wochenendveranstaltungen in Braunschweig ziehen regelmäßig 300 bis 400 Besucher an. Aber auch für Kinder und Jugendliche gibt es ein umfangreiches Angebot mit Koran-Camps und Ähnlichem. Sogar eine Heiratsvermittlung für die Schwerstgläubigen wird angeboten.

Die Strategie ist immer dieselbe: Die Salafisten geben sich lebensnah und ihrem jungen Publikum zugewandt, beantworten Alltagsfragen wie: „Ist es okay, bei Klausuren abschreiben zu lassen?“, „Darf ich einen Hamster halten?“, aber auch: „Soll man die Unterhose wechseln, wenn man Lusttropfen verloren hat?“ Damit etablieren sie ein Narrativ, in dem der Koran angeblich auf jede noch so kleine Alltagsfrage eine Antwort weiß.

Gleichzeitig wird auf Ungläubige, Juden und Frauen herabgesehen. So verweist der Verfassungsschutzexperte Dirk Hausfeld etwa auf Predigtinhalte, in denen es darum geht, seine Ehefrau so zu züchtigen, dass es keine Spuren hinterlässt, oder in denen dafür gebetet wird, dass Allah Ungläubige bestrafen oder töten solle.

Auch ohne den direkten Aufruf zur Gewalt werden radikalisierte Anhänger daraus wohl ihre Schlüsse ziehen. Dass der Rest der Welt es immer auf rechtschaffene Muslime abgesehen hat, gehört ebenfalls fest zum ideologischen Repertoire. Offiziell behauptet die Vereinigung aber, stets auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen und lediglich die Meinungs- und Religionsfreiheit ausleben zu wollen.

Während die Innenministerin in einer Pressekonferenz das Verbot und die Durchsuchungen verkündet und erklärt, sind allerdings ein Großteil der DMG-Kanäle immer noch online. Man habe die Plattformbetreiber aufgefordert, sie offline zu nehmen, aber das brauche eben seine Zeit, erklärt Behrens.

Die Ideologie bleibt

Verhaftungen gab es im Zusammenhang mit dieser Aktion zunächst keine. Das Vereinsverbot bezieht sich auf Aktivitäten, die sich in „aggressiv-kämpferischer Weise gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung“ richten – das funktioniert auch unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit, erläutert Behrens. Dafür glaubt man nun genügend Belege gesammelt zu haben. 54 Seiten hat die Verbotsverfügung.

Die Durchsuchungen dienen in erster Linie dazu, die Strukturen aufzuklären, das Vereinsvermögen zu beschlagnahmen und eine weitere Betätigung zu unterbinden. Jeder, der sich jetzt noch zugunsten des Vereins betätigt oder seine Kennzeichen verwendet, macht sich strafbar.

Verschwunden sind damit weder die Ideologie noch ihre Anhänger. Erfahrungsgemäß dauert es aber eine Weile, bis sich die Szene neu gruppiert hat und wieder eine ähnliche Reichweite etablieren kann.

In Niedersachsen hat die DMG wohl auch die Lücke gefüllt, die der noch sehr viel radikalere Deutschsprachige Islamkreis Hildesheim (DIK) hinterlassen hatte. Der hatte zahlreiche IS-Ausreisende produziert und war 2017 verboten und zerschlagen worden. Der Hauptprediger Abu Walaa sitzt wegen der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung im Gefängnis und versucht gerade, juristisch seine Auslieferung zu verhindern, bislang allerdings erfolglos.

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