Agrarlobby gegen Naturschutz: Natur auf der Todesliste

Von den Plänen zur Renaturierung ist nicht viel übrig. Wie sie abgeräumt wurden, liest sich wie ein Schurkenstück. In der Hauptrolle: EVP-Chef Weber.

Bäume spiegeln sich im Wasser.

Eigentlich ganz schön: renaturierte Flusslandschaft an der Unteren Havel Foto: Klemens Karkow/NABU Pressebild

BERLIN taz | Das Häsener Luch nördlich von Berlin braucht keine Schützenhilfe aus Europa. Das Feuchtgebiet, einst Brutstätte seltener Vögel wie Rotschenkel, Bekassine oder Großer Brachvogel, ist vor ein paar Jahren vom Naturschutzbund (Nabu) aufgekauft worden. Auf 20 Hektar setzt er den ehemaligen Moorstandort umsichtig wieder unter Wasser. Allein in Deutschland warten aber 1,5 Millionen Hektar entwässerte Moorböden auf eine neue, nachhaltige Nutzung. „Wir müssten jährlich 50.000 bis 70.000 Hektar Moorböden wieder vernässen, um unsere Klimaziele zu erreichen“, sagt Tilmann Disselhoff, Leiter des „Teams European Wetlands“ des Nabu, „das ist eine ungeheure Aufgabe.“

Den politischen Rahmen dafür wollte die EU-Kommission 2022 mit dem „Nature Restauration Law“ liefern, auf Deutsch in etwa „Gesetz zur Wiederherstellung der Natur“. Als Teil des ambitionierten „Green Deal“ sollten Wälder, Moore, Meere und Wiesen Europas wieder in einen Zustand versetzt werden, der das Überleben von Tieren und Pflanzen und ihre Funktion als Senke für Treibhausgase sichert.

Nötig wäre es: Über 80 Prozent der europäischen Biotope sind laut des Zusammenschlusses der europäischen Wissenschaftsakademien EASAC, zu der unter anderem die Leopoldina in Halle gehört, in einem schlechten Zustand. Doch im Laufe der vergangenen zwei Jahre ist das ursprünglich ambitionierte Vorhaben zwischen den Mühlsteinen von Machtpolitik und persönlichen Eitelkeiten zermahlen worden. Inzwischen ist unklar, ob es überhaupt noch verabschiedet wird.

Gestartet war das Gesetz mit der Vorgabe, auf 20 Prozent der Land- und Meeresfläche der EU Wiederherstellungsmaßnahmen durchzuführen. Etwa sollten auf 25.000 Kilometern in Flüssen und Auen Barrieren abgebaut werden, die nicht mehr für die Energieerzeugung, die Schifffahrt oder den Hochwasserschutz benötigt werden. Außerdem gab es Zielvorgaben für die Pflanzung von Hecken, um auf riesigen Äckern Unterschlüpfe für Vögel und Insekten zu schaffen, in Wäldern sollten zu ähnlichen Zwecken alte „Habitatbäume“ erhalten werden, und so weiter.

Das Gesetz, urteilten Wissenschaftler, sei von entscheidender Bedeutung für die Ernährungssicherheit, die biologische Vielfalt und das Klima. Es biete die einzigartige Gelegenheit, Landwirte für die Erbringung von Ökosystemleistungen zu entlohnen. Nachhaltige Ökosysteme seien gut sowohl für die Ernährungssicherheit in Europa als auch für das Wirtschaftsinteresse der Landwirtinnen und Landwirte, hieß es in einer Stellungahme der EASAC.

Ränkespiele im Parlament

Wie üblich überstellte die Kommission ihren Gesetzesvorschlag dem Parlament zur Beratung und Abstimmung. Dort aber ging nichts seinen üblichen Gang. Schon der parlamentarische Umweltausschuss konnte sich nicht auf eine Fassung einigen – Konservative, Liberale und Rechtsextreme lehnten das Gesetz ab.

Grundsätzlich habe man den Green Deal unterstützt, sagt Christine Schneider (CDU), parlamentarische Geschäftsführerin der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament und Berichterstatterin der EVP-Fraktion für das Nature Restoration Law. Doch dieses Gesetz sei „über das Ziel hinausgeschossen“. Nach sorgfältiger Prüfung habe man sich zur Ablehnung entschieden.

Jutta Paulus, für die Grünen im EU-Parlament zuständig für das Thema, hat das anders erlebt. Manfred Weber, Chef der EVP-Fraktion und nachhaltig erbost darüber, dass Ursula von der Leyen an seiner statt Kommissionspräsidentin geworden war, habe an seine Abgeordneten eine „Kill-List“ von Vorhaben des Green Deal verteilt, darunter das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur. „Das Narrativ war: Wir sind die Partei der Bauern, alles in der Landwirtschaftspolitik soll so bleiben, wie es ist, nur mit mehr Geld“, sagt Paulus. EVP-Frau Schneider bestreitet eine „sogenannte Kill-List“; für Klimaschutzpolitik „mit der Brechstange“ gebe es eben keine Mehrheiten.

Henrik Maaß, Referent bei der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft

„In vielen Punkten sind wir jetzt auf einen Stand von vor zehn Jahren zurück gefallen“

Nach harten Verhandlungen einigte sich das Parlament schließlich im Juli 2023 auf einen Gesetzestext. „Er ergab keinen Sinn mehr, war chaotisch und in sich widersprüchlich“, sagt die Grüne EU-Abgeordnete Jutta Paulus. Aber immerhin, es gab einen Text. Über diesen verhandelten Kommission, Parlament und der Rat der Mitgliedsstaaten im Trilogverfahren hinter verschlossenen Türen.

Widerstand im Rat

Doch auch hier wartete Ärger. Denn während das Parlament im Februar 2024 dem Verhandlungsergebnis – einem arg geschliffenen Rumpf des ursprünglichen Gesetzes, dem jede Verbindlichkeit in Zielen und Finanzierung fehlte – zustimmte, versagte ihm nun der Rat der Mitgliedsstaaten die Zustimmung. Ungarn wechselte vom Lager der Befürworter in das der Gegner.

Seitdem liegt das Gesetz auf Eis, hinter den Kulissen wird nach wie vor nach Mehrheiten gesucht. „Wenn wir das nicht durchbringen“, sagt Jutta Paulus, „wird es im Herbst in Kolumbien peinlich.“ Auf dem nächsten großen Naturschutzgipfel werden die Mitgliedsstaaten des UN-Biodiversitätsabkommens sich genau anschauen, ob die angebliche progressive Treiberin EU zu Hause Schritte unternommen hat, den Verlust der Biologischen Vielfalt zu stoppen.

Die Bauern könnten mit dem Nature Restauration Law leben, wenn die finanzielle Unterstützung etwa für Moorvernässungen oder Heckenpflanzungen gesichert worden wäre, sagt Henrik Maaß, Referent für europäische Agrarpolitik bei der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Die Fraktion um Weber sei Sprachrohr der Lobbyvertretung der europäischen Landwirte Copa-Cogega und der Agrarindustrie gewesen.

Er habe von der Leyen vor sich hergetrieben, sagt Maaß, „es ging ja nicht nur um das Wiederherstellungsgesetz“. Auch die Verordnung für einen nachhaltigen Umgang mit Pestiziden oder für ein nachhaltiges Ernährungssystem habe man fallen lassen, die Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik insgesamt aufgeweicht. „In vielen Punkten sind wir jetzt auf einen Stand von vor zehn Jahren zurückgefallen“, sagt Maaß, „die Aufbruchstimmung, die es nach der Vorstellung des Green Deals gab, ist weg“.

Aufbruchstimmung herrscht auch bei Tilmann Disselhoff vom Nabu derzeit nicht, eher Trotz: „Natürlich bräuchten wir klare politische Vorgaben für einen Ausstieg aus der entwässerungsbasierten Landwirtschaft“, sagt er. Wenn es dafür künftig keine Mehrheiten gebe, dann müsse man eben ohne weiter machen. Ob in der notwendigen Größenordnung, bezweifelt er.

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