Neodadaismus aus der DDR: Sie entleerten die Bilder

Eine Berliner Retrospektive erinnert an die neodadaistischen Performances der Dresdner Auto-Perforations-Artisten in den 1980er Jahren.

Blick auf die Bühne der Aufführung "Spitze des Fleischbergs", im Vordergrund ein Halbnackter Mann

Die Auto-Perforations-Artisten, „Spitze des Fleischbergs“, 1986 Foto: Andreas Rost, Courtesy: die Auto-Perforations-Artisten und KVOST

Auch für diese Avantgarde-Künstler aus der DDR war die Stasi der Eckermann: Minutiös beschrieb IM „Nora Steege“, die „auftragsgemäss“ die Dresdner Galerie Nord besucht hatte, eine Installation der Künstlergruppe Auto-Perforations-Artisten. Selbst offensichtlich Kunststudentin, kann sie an der Arbeit wenig Positives finden: Die Installation sei „lächerlich und kurios“. Schlimmer noch: „Durch verschiedene Materialien und Gegenstände werden optische und akustische Reize beim Betrachter erzielt.“ Und auch das musste festgestellt werden: „Alle dargestellten ‚Kunstwerke‘ sind mehrdeutig.“

Zu den Auto-Perforations-Artisten, deren Aktivitäten die Informelle Mitarbeiterin des Ministeriums für Staatssicherheit da so kritisch rezensierte, gehörten Micha Brendel, Else Gabriel, Rainer Görß und Via Lewandowsky, die sich an der Dresdner Kunstakademie in der Bühnenbildklasse von Günther Hornig kennengelernt hatten. Sie machten in der DDR zwischen 1982 und 1991 durch eine Reihe von spektakulären Performances im künstlerischen Untergrund auf sich aufmerksam.

Eine Ausstellung im Berliner Kunstverein Ost gibt nun einen kursorischen Überblick über einige der wichtigsten Arbeiten der Gruppe: Eine Installation aus Röntgenlampen macht die ideologische Dauerbestrahlung in der DDR lächerlich. Neben SW-Fotos von Performances, die überlebensgroß an die Wand plakatiert sind, sind Videos und Super-8-Filme zu sehen, bei denen es zur Sache geht: Mit Farbe besudelt oder in Bondage-Kostümen wird sich gewälzt und gespreizt, mit Ketten an Haken aufgehängt oder auf Liegen gefesselt; Schläuche, Stricke und Kabel umschlingen Leiber oder werden in Körperöffnungen eingeführt.

Dann kämpfen zwei auf dem Boden wie junge Hunde. Selbst Holz-Weihnachtsbäumchen aus dem Erzgebirge sehen in den Händen der Künstler plötzlich wie gefährliche Kleinwaffen aus. Und manchmal will man gar nicht so genau wissen, was die symbolische Bedeutung der Gesten und Handlungen ist, etwa wenn ein Künstler einem anderen durch ein Rohr in den kahlgeschorenen Kopf pustet oder Else Gabriel den Mund mit Eiswürfeln gestopft bekommt.

Extrem ohne politische Eindeutigkeit

Mit solchen neodadaistischen Exzessen gelang es den Auto-Perforations-Artisten, starke Bilder und extreme Eindrücke zu schaffen, ohne sich politisch so eindeutig zu positionieren, dass man den staatlichen Einrichtungen Vorwände zum Eingreifen geliefert hätte. Auch wenn ein Mitarbeiter der Stasi in einer Aktiennotiz empfahl, „Maßnahmen zu ergreifen, damit die genannten Personen einer gesellschaftlich nützlichen künstlerischen Tätigkeit (…) zugeführt werden“ – die Künstler scheinen von direkter Repression verschont geblieben zu sein. Stattdessen gab es kleine Schikanen, zum Beispiel ein anonymer, handschriftlicher Zettel, den Künstlerin Else Gabriel in ihrem Briefkasten fand: „Wir wissen alles! Wir haben auch sogar Fotos.“ Drei der Künstler siedelten noch vor 1989 nach Westdeutschland um.

Die Kunst der Auto-Perforations-Artisten passt zu der speziellen Version der Postmoderne in der DDR und anderen realsozialistischen Staaten, in denen die Entleerung von Begriffen und Bildern zum ästhetischen Programm wurde. So eindeutig wie andere Persiflagen des im fortgeschrittenen Verfall befindlichen Realsozialismus waren die Arbeiten der Auto-Perforations-Artisten nicht: Statt um den sozialistischen Staat und seine zunehmend absurd werdende Ikonografie wie bei Komar & Melamid in der UdSSR oder IRWIN in Jugoslawien geht es bei den Deutschen zunächst mal gegen sich selbst; im Mittelpunkt der Arbeit standen Sinnverlust, Ennui und Verzweiflung über die Verhältnisse, der sich in regressiven Ekel-Exzessen entlud.

Zu dieser Zeit lagen die wirklich schmerzhaften Aktivitäten der Wiener Aktionisten, an die man hier immer wieder erinnert wird, schon einige Zeit zurück, und das ästhetische Spiel mit Dreck, Schmerz und Gewalt war im Westen in der Popkultur angekommen – man denke an den britischen Industrial-Musiker Fad Gadget, der sich 1984 für einen Auftritt in der biederen Musik-Fernsehshow „Formel Eins“ im WDR teeren und federn ließ, eine Aktion, die den Schock-Zeremonien der Auto-Perforations-Artisten verblüffend ähnelt.

„Die Auto-Perforations-Artisten (F.A.Q.)“, Kunstverein Ost KVOST, Berlin, bis 27. Juli 2024

Wenn man in den Videos der Gruppe sieht, wie mit Feuer gespielt, sich in SM-Outfits geräkelt und mit Farbe und Make-up eingesaut wird, sieht das heute leider oft aus wie ein Rammstein-Konzert – was nicht nur zeigt, dass auch die extremsten Tabubrüche irgendwann zur Unterhaltungsware werden. Schlimmer noch – die Ikonografie von Selbstzerstörung und Masochismus, mit der die Künstler auf die Bevormundung in der DDR reagierten, lässt sich heute für die selbstgefällige Präsentation von Repression, toxischer Männlichkeit und breitbeinigem Arschlochtum einsetzen. Schon komisch.

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