Südafrika nach den Wahlen: Angst vor dem Dauerchaos

Weiße enteignen? Migranten deportieren? Südafrikas ANC braucht nach der Wahl einen Koalitionspartner – und radikale Forderungen stehen im Raum.

Menschen warten auf Wahlergebnisse, manche halten Handys und Kameras in die Höhe

Angespannte Gesichter bei der Bekanntgabe des Endergebnisses durch die Wahlkommission, Sonntagabend Foto: Emilio Morenatti / ap

JOHANNESBURG taz | Nach dem Verlust der Parlamentsmehrheit für Südafrikas regierenden ANC (African National Congress) steuert das Land in unbekanntes Fahrwasser. Es werden angespannte Verhandlungen zur Bildung einer Koalitionsregierung erwartet – zwischen Parteiführern, die sich gegenseitig nicht leiden können.

Am späten Sonntagabend gab die Wahlkommission IEC das amtliche Endergebnis der Wahl vom 29. Mai bekannt. Demnach hält der ANC mit 40,24 Prozent der Stimmen jetzt nur noch 159 der 400 Sitze im Parlament – vorher waren es 230.

Die liberale DA (Democratic Alliance) kommt mit 21,74 Prozent auf 87 Sitze, gefolgt von der neuen Partei MK (uMKhonto weSizwe – Speer der Nation) des vom ANC abgespaltenen Expräsidenten Jacob Zuma mit 14,61 Prozent und 58 Sitzen. An vierter Stelle folgt die linke EFF (Economic Freedom Fighters) mit 9,84 Prozent und 39 Sitzen.

MK hat die meisten Stimmen in Zumas Heimatprovinz KwaZulu-Natal, wo auch die landesweit mit 4,35 Prozent und 17 Sitzen fünftplazierte IFP (Inkatha Freedom Party) stark ist.

Wettlauf gegen die Zeit

Nun beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, denn nach Verkündung des Wahlergebnisses muss Südafrikas neues Parlament spätestens nach 14 Tagen zusammentreten und den Staatspräsidenten sowie den Parlamentspräsidenten wählen. Da erstmals keine Partei eine Mehrheit hat, wird das kompliziert.

Im Vordergrund steht der Bruch zwischen dem amtierenden ANC-Staatschef Cyril Ramaphosa und seinem Vorgänger und Rivalen Jacob Zuma. Der hat die Wahlergebnisse zurückgewiesen und reklamiert für seine Partei den Wahlsieg.

ANC-Geschäftsführer Gwede Mantashe hatte zuvor den MK-Sieg in KwaZulu-Natal auf „Zulu-Tribalismus“ zurückgeführt. Die Zulus, zu denen auch Zuma gehört, sind Südafrikas größte Volksgruppe. „Das Ergebnis in KwaZulu-Natal spiegelt Zulu-Tribalismus wider“, sagte Mantashe. „Ich glaube nicht, dass wir uns mit Zulu-Tribalismus beschäftigen müssen. Tribalismus ist eine rückständige Politikform. Er hat seine eigene Zeitrechnung, er verschwindet. Also wenn das der Grund ist, mache ich mir darüber keine Sorgen.“

MK wiederum hatte gesagt, Koalitionsverhandlungen mit dem ANC kämen nur infrage, wenn Ramaphosa zurücktritt. Das hat ANC-Generalsekretär Fikile Mbalula als „undenkbar“ zurückgewiesen.

Programmatisch sind sich ANC und MK allerdings sehr ähnlich. Beide wollen Schwarze fördern in einem Land, in dem die weiße Minderheit immer noch die Wirtschaft dominiert. Auch die linke EFF (Economic Freedom Fighters) steht dafür. Sie wirft dem ANC vor, sich darum nicht genügend gekümmert zu haben.

„Eine Koalition zwischen ANC und EFF ist denkbarer als zwischen ANC und MK“, sagt ein Analyst. EFF-Führer Julius Malema, ein ehemaliger ANC-Jugendführer, sieht sich nun als Königsmacher. „MK und wir sind verwandt“, erklärte er. „Wir stehen zusammen. Wenn MK nicht mit dem ANC arbeiten will, kein Problem. Wir werden mit ihnen und mit dem ANC arbeiten.“

Linke wollen Finanzminister stellen

Als Preis für eine Regierungsbeteiligung verlangt die EFF das Finanzministerium. Für den Fall einer Koalition von ANC und EFF hat die größte Oppositionskraft DA, die vor allem als politische Vertretung der liberalen Weißen gilt, Südafrika den „Untergang“ prophezeit. „Wir werden alles in unserer Macht tun, um zu verhindern, dass eine Untergangskoalition an die Macht kommt“, erklärte die Partei. Sie befürchtet etwa Enteignungen weißer Landbesitzer und die Verstaatlichung von Banken – zwei alte linke Vorhaben.

Derweil liebäugelt auch die PA (Patriotic Alliance) mit einer Regierungsbeteiligung. Die rechtsnationalistische Kleinpartei, gegründet von „Coloureds“ im Westkap, fordert Massendeportationen unregistrierter Migranten als Lösung für Südafrikas Probleme. Sie holte 2,06 Prozent und neun Sitze im Parlament. Jetzt möchte sie das Innenministerium.

In jedem Fall könnte eine Koalitionsregierung Instabilität bedeuten. Als nach Kommunalwahlen 2019 in vielen großen Städten keine Partei mehr eine eigene Mehrheit hatte, kam es oft zu Prügeleien in den Kommunalparlamenten, Bürgermeister wurden ständig mit Misstrauensvoten überzogen und kommunale Dienstleistungen waren zeitweise über Wochen lahmgelegt. Nun stellt sich die Frage, ob sich dieses Chaos auf nationaler Ebene wiederholt.

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