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Nahostkonflikt in EuropaDebatte um Hamas in Kliniken

Erdoğan brüstet sich bei einer Pressekonferenz mit dem griechischen Premier mit 1.000 Militanten in türkischen Krankenhäusern. Athen ist irritiert.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Montag in Ankara Foto: Burhan Ozbilici/ap

Istanbul taz | Bis kurz vor Ende der gemeinsamen Pressekonferenz des griechischen Ministerpräsidenten Kyriakis Mitsotakis und des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan lief alles nach Plan. Alles solle besser werden zwischen Griechenland und der Türkei, so die beiden Chefs der noch bis vor Kurzem verfeindeten Nachbarländer.

Doch dann erwähnte Mitsotakis in seiner Stellungnahme in einem Nebensatz die Standardformel der EU über die „Terrororganisation Hamas“. Vorbei war es mit der Harmonie. In seiner Erwiderung auf Mitsotakis wiederholte Erdoğan mehrmals, die Hamas sei keine Terrororganisation, sondern vielmehr eine Befreiungsbewegung. So weit, so bekannt, doch dann schob Erdoğan noch eine echte Neuigkeit hinterher: In der Türkei, so der Präsident, würden momentan mehr als 1.000 verwundete Kämpfer in Krankenhäusern behandelt.

Während Mitsotakis noch beschwichtigte, man solle wegen dieser Meinungsverschiedenheit den Neuanfang zwischen Griechenland und der Türkei nicht infrage stellen, trendete auf X bereits die Frage, wie denn mehr als 1.000 verwundete Hamas-Kämpfer in die Türkei gebracht werden konnten? Erdoğan sagte dazu nichts, auch in den regierungsnahen Medien gab es keinen Hinweis darauf.

Die einzige Möglichkeit für Palästinenser, den Gazastreifen zu verlassen, ist der Übergang nach Ägypten. Palästinenser müssen rund 5.000 Dollar bezahlen, um von den Ägyptern auf eine Liste gesetzt zu werden, aufgrund derer ein Grenzübergang möglich wird. Manchmal gelingt es, einen Transport mit Verletzten über die Grenze in ägyptische Krankenhäuser zu bringen.

Erdoğan unter Druck aus eigenem Lager

Der ägyptische Präsident und Alleinherrscher Abdel Fattah al-Sisi ist allerdings ein erklärter Feind der Muslimbrüder, aus denen die Hamas hervorgegangen ist. Aus diesem Grund hatte er mit dem türkischen Präsidenten gut zehn Jahre lang keinen Kontakt. Der israelische Analyst Kobi Michael vom Forschungsinstitut INSS geht dennoch davon aus, dass die ägyptische Regierung bei verletzten Hamas-Kämpfern beide Augen zudrückt, schließlich flössen dadurch enorme Summen nach Ägypten.

Trotzdem dürfte es der ägyptischen Regierung kaum gefallen, dass Erdoğan sich nun mit über 1.000 Hamas-Kämpfern in türkischen Krankenhäusern brüstet. Dass er das Geheimnis gelüftet hat, dürfte innenpolitische Gründe habe. Erdoğan steht unter Druck aus dem eigenen Lager, zu wenig für die Hamas und die Palästinenser insgesamt getan zu haben. Mitarbeit: Judith Poppe

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6 Kommentare

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  • Brave new world in Nahost. Die eine Seite "drückt beide Augen zu" und kassiert ab beim Transitgeschäft mit Terroristen und die andere Seite diskreditiert den Freiheitsbegriff und bietet Terroristen Asyl mit Gesundungsprogramm.

    Ländern wie der Türkei aber auch Katar die sich scheinheilig für die Sache der Palästinenser einsetzen, sollte man von politischer Seite darauf hinweisen, dass sie am meisten für die Palästinenser tun können, wenn sie die Hamas Terroristen an Israel ausliefern, damit diese sich für ihre Verbrechen vor Gericht verantworten.

  • Solange dieser Mann und dieser Geist in der Türkei an der Macht ist darf diese nicht in die EU. Und auch sonst geht man meiner Meinung nach viel zu freundlich mit diesem Despoten um. Ähnlich wie Putin Versteht er, wenn überhaupt, nur klare Ansagen.

    • @Fran Zose:

      wenn der Schwanz mit dem Hund wackeln will. Da kann Erdogan nur drüber lachen. Er mag einige für die Gesellschaft ungesunde politische Vorstellungen hegen, aber das strategische Gewicht der Türkei schätzt er ganz richtig ein (darüber kann man aber auch schon im Wiki-Artikel über die Türkei lesen) und lässt sie sich entsprechend vergolden. Und europäische Politiker mit ihren Werten, die von russischem zu aserbaidschanischem Gas wechseln u gern Geld an jeden Despoten zahlen ihnen die Flüchtlinge vom Hals zu halten u ihnen die Grenze zu bewachen sind auch nicht ernst zu nehmen. woll.

      • @ingrid werner:

        Wikipedia ist keine Quelle, aber das nur am Rande. Was er richtig einschätzt ist die Uneinigkeit europäischer Politiker und insbesondere das Kuschen der deutschen Politik. Das hat sich schon bei Putin als fatal erwiesen und sollte mit der Türkei nicht wiederholt werden. Erdogan ist nicht stark, im Gegenteil. Die unentschlossene Politik hat ihn lediglich stark scheinen lassen.

        • @Fran Zose:

          Die Türkei ist durch seine Geographie ein strategisch wichtiges Land am Kreuz zw Europa und dem N. Osten, Es kontrolliert den Eingang zum Schw Meer, was sich jetzt auch wieder im Ukrkrieg als nützlich erweist, da sie es RUS nicht erlaubt weitere Schiffe ins Schw Meer zu bringen um die Verluste auszugleichen. Sie regelt den Flüchtlingszugang nach EUR, alle müssen da durch, die Afghanen, die Iraner, die aus dem N. Osten. btw ist es, da so gelegen, auch ein wichtiges Kreuz von Handelswegen über Land und übers Meer, die Türkei sichert mit die Exportruten des ukr Getreides. Die Türkei ist einer der größten Produzenten von primären Nahrungsmitteln, die Türkei hat die größte Armee der Nato nach den USA, die Türkei kann selbst Russland (teilw) seinen Willen aufzwingen, wenn es denen in Syrien mitreinfunkt. Als Sie kurz nach der Intervention der Russen in Syrien ein russ Kampfflugzeug abschoß, war Putin schnell mit Sanktionen zur Hand- auf Agrargüter natürlich, ist davon aber schnell wieder ab, denn RUS braucht die T, da Europa ihn schon damals sanktioniert hatte. Erdogan ist launisch, stockkonservativ, autoritär und vieles mehr, aber mit der T. hat er einen strategischen Trumpf in der Hand, und

          raten Sie mal, wer auf wen mehr angewiesen ist. Nur mit "entschlossener" Ansprache wuppste da nix. Europas Politiker können kein Strategiepoker. Leider.

          Alle Weltmächte haben in der ersten Hälfte des 20Jh. um die Türkei gebuhlt. Die Sowjets hatten sie zuerst als Partner, als die sich aber auf die Hinterbeine gestellt haben und auch wie Sie mit klaren Ansagen kommen wollten, also den starken Max machen u von der Türkei Westarmenien wollten, haben die sich einfach kurzentschlossen der Nato angeschlossen (die Armenier sind wirklich zu bedauern, und mit seinen europäischen christl "Verbündeten" noch mehr, ähnl gilt für die Kurden). Sie können das freilich auch alles in Büchern u Fachaufsätzen lesen, haben Sie aber offenbar nicht, da sollte man wiki als Einstieg nicht verachten.

          • @ingrid werner:

            Als die Türkei das russische Flugzeug abgeschossen hat ist sie danach sehr schnell zu Kreuze gekrochen als Putin eine Ansage gemacht und Sanktionen verhängt hat. Die Türkei ist ein Scheinriese auf tönernen Füßen die es sich mit ziemlich vielen Nachbarn mittlerweile verscherzt hat. Sie hat eine schwächelnde Wirtschaft mit einer sehr hohen Inflation, nicht zuletzt deshalb, da ihr selbstherrlicher Anführer meint es besser zu wissen als seine eigenen Notenbanker. Abgesehen davon bereichert dieser vor allem sich und seine Clique. Er markiert gerne den von Ihnen zitierten starken Max und kommt damit bei einem eher dumpfen Publikum offensichtlich gut an, während die gut gebildeten Türken versuchen das Land zu verlassen wenn Sie denn können. Jetzt kann man wie Sie von alledem sehr beeindruckt sein oder eben einen realistischen Blick auf die Türkei werfen. Außer der Lage spricht wenig für die Türkei unter dieser Führung. Gegen die Türkei selbst ist auch wenig einzuwenden, gegen diese Führung aber schon und ich bin der Meinung, dass es keinen Grund gibt vor Erdoğan und seinen Grossmachtsfantasien in Ehrfurcht zu erstarren, sondern mit klaren Ansagen zu reagieren.