piwik no script img

Grundgesetz-Feier in LüneburgGen­dern ­ver­bie­ten unerwünscht

In Lüneburg durften Ak­ti­vis­t:in­nen auf der Grundgesetz-Feier nicht für das Genderverbot werben. Die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen erklären den Grund.

Dürfte Gender-Gegner*innen ein Dorn im Auge sein: Räucherfigur „Burning Gender“ eines Chemnitzer Projekts Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Bremen taz | Den „Kerngedanken der Demokratie pervertiert“ sieht die Initiative „Stoppt Gendern“, wie sie in einer Pressemitteilung am Donnerstag schreibt. Der Grund für den Zorn der von der Hamburgerin Sabine Mertens gegründeten und getragenen Initiative: An dem Tag durfte die Schwester-Organisation „Stoppt Gendern in Niedersachsen“ nicht für ihren Einsatz gegen geschlechtergerechte Sprache auf der „Demokratiemeile“ in der Lüneburger Innenstadt werben.

Anlässlich des 75-jährigen Jubiläums des Grundgesetzes machten dort knapp 100 Organisationen und Vereine mit Ständen und Aktionen auf ihre Arbeit aufmerksam, darunter die „Omas gegen rechts“ und der Stadtverband der CDU.

Auch „Stoppt Gendern in Niedersachsen“ hatte sich angemeldet, wurde aber nicht zugelassen. Die Absage des Organisationsteams zeige, „mit welchen Mitteln die ideologisch verblendeten Verfechter der Gendersprache agieren“, schreibt die Anti-Gender-Aktivistin Sabine Mertens in ihrer Pressemitteilung. „Es ist erschreckend, dass die Veranstalter, die ‚Für Vielfalt und Toleranz in Lüneburg‘ werben, eine Feier für die Demokratie missbrauchen, um Meinungspluralität de facto zu unterdrücken.“

Nach ihrer Einschätzung eignet sich „Stoppt Gendern in Niedersachsen“, die per Volksabstimmung das Gendern in Behörden, Schulen, Hochschulen und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbieten will, für die Teilnahme an der Demokratiemeile. Es handele sich um ein „lebendiges Beispiel für demokratische Teilhabe ganz im Sinne des Veranstaltungsgedankens“, findet Mertens, die in Hamburg das gleiche Anliegen verfolgt.

Das Anliegen der Initiative richtet sich gegen Inklusion und passt daher nicht zu unserer Veranstaltung

Matthias Richter-Steinke, Regions­geschäftsführer des DGB

Das fanden dort 16.457 Personen unterstützenswert, womit die erste Hürde auf dem Weg zum Volksentscheid gegen Unterstriche, Doppelpunkte und Sternchen genommen ist. In Sachsen, Sachsen-Anhalt, Hessen und Bayern gibt es Genderverbote bereits – ganz ohne Volksauftrag.

Das Organisationsteam der Lüneburger Demokratiemeile kam zu einer anderen Einschätzung als Mertens und ihre Mit­strei­te­r:in­nen im Kampf für das generische Maskulinum. „Das Anliegen der Initiative richtet sich gegen Inklusion und passt daher nicht zu unserer Veranstaltung“, sagt Matthias Richter-Steinke, Regionsgeschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), der die Demokratiemeile mit organisiert hat.

Wer Vielfalt wolle, müsse dem auch in der Sprache Rechnung tragen und Menschen ansprechen, die sich keinem Geschlecht zuordnen können oder wollen. Diese sollen sich in Satzzeichen wiederfinden können wie im Wort „Aktivist:innen“ in diesem Artikel, das zudem Frauen als handelnde Subjekte mit benennt.

Es gibt keinen Zwang zur geschlechtergerechten Sprache. Anti-Gender-Aktivist:innen befürchten dennoch, dass „unsere schöne deutsche Sprache vor die Hunde geht“, wenn das Gendern nicht verboten wird, wie es auf der Homepage von „Stoppt Gendern“ heißt.

Richter-Steinke verweist auf die Stellungnahme der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die vor anderthalb Wochen vor Genderverboten gewarnt hatte. „Menschen zu verbieten, inklusive Sprache zu verwenden, ist ein Rückschritt ins letzte Jahrhundert“, hatte deren Leiterin, Ferda Ataman, gesagt. Und: „Die sogenannten Genderverbote sind verfassungsrechtlich problematisch und dienen einem Kulturkampf auf dem Rücken von Minderheiten.“

Der Artikel 3 des Grundgesetzes verbiete die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, zudem schütze Artikel 2 in Verbindung mit Artikel 1 die allgemeinen Persönlichkeitsrechte von Frauen, intergeschlechtlichen sowie nicht binären Menschen. Berührt werde auch die im Artikel 5 geschützte Meinungsfreiheit, wenn Schulen, Hochschulen und öffentlich-rechtlichen Medien das Gendern untersagten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Gender-Sonderzeichen in Schrift- und Lautform schließen viele Menschen von einer Teilhabe aus, insbesondere Blinde, Hörgeschädigte, Legastheniker, Personen mit geringen Deutschkenntnissen usw.. Warum wohl gibt es in der sogenannten Leichten Sprache keine Genderzeichen? Von daher haben die Veranstalter der Lüneburger Demokratiemeile ein äußerst fragwürdiges Demokratieverständnis gezeigt, wenn sie eine anerkannte Volksinitiative, die sich für die genannten marginalisierten Gruppen einsetzt, mit fadenscheinigen Begründungen ausgeschlossen haben. So etwas hätte ich eher Gruppierungen des extremen Spektrums zugetraut.

  • Toll wie Authoritäre meinen auf einer Veranstaltung die das Grundgesetz feiern soll was verloren zu haben. "Genderverbote" sind Verfassungswiedrig. Es ist also nur ne Frage der Zeit bis die bisherigen Gesetze vom BGfV kassiert werden.



    Aber Authoritäre haben es halt nicht so mit unserer verfassungsgemäßen Freiheitlich demokratischen Grundordnung. Wehrt den Anfängen. Wer die Freiheit beim Sprechen/schreiben nach eigenem Gutdünken beschränken will, wird sie bei Erfolg auch anderswo einschränken wollen.

  • Richtig so!

    Eine politische Forderung, die bestimmte Menschengruppen diskriminiert, hat nix auf einer Feier zum Grundgesetz zu suchen.

    Und zu den Leuten, die hier in den Kommentaren argumentieren, dass Meinungsfreiheit auch ein Grundrecht ist, kann ich nur sagen, dass Meinungsfreiheit bedeutet, dass einem immer und überall eine Plattform geboten werden muss.

  • Wir wollen nicht zulassen, dass irgendwer die Feiern zum Grundgesetz mit irgendeiner abweichenden Meinung stört.

    Wir nennen das die wehrhafte Demokratie.

    Euer demokratisches Wir ist schon viel weiter als die AfD.

  • Zum Thema Gendern darf es offensichtlich nur eine Meinung geben.

    • @Jim Hawkins:

      Das stimmt doch nicht. Wenn jemand Gendern verbieten will, haben wir ein weniger an Freiheit.



      Meinungsfreiheit bedeutet doch nicht eine Pflicht, dass jeder dieser Meinung ein Forum geben muss.



      Und bevor das im Internet übliche Bauchgefühl-Verdächtigen losgeht:



      Ich finde Gendern in der Stern etc. Form auch nicht nützlich, hilfreich oder durchdacht. Aber dieses wehleidige Gejammer, dass man jede Meinung überall äußern dürfen muss, ist Quatsch. Es gibt genügend Möglichkeiten, diese Meinung zu äußern.-

    • @Jim Hawkins:

      Das ist keine Debatte über das Gendern, sondern über ein Gender-Verbot.

  • Der Ausschluss ist wirklich krass.

    Da hätten die Organisatoren souveräner reagieren sollen.

    Gendern geht auch ohne Wortbinnenzeichen.

    • @rero:

      Vor allen Dingen, wäre es dann wirklich inklusiv. Die Sonderzeichen nehmen den Menschen die auf eine barrierearme Sprache angewiesen sind, den Zugang zur Sprache. Das ist exkludierend

  • > Anti-Gender-Aktivist:innen befürchten dennoch, dass



    > „unsere schöne deutsche Sprache vor die Hunde geht“

    Des sihe ich also gar! Ich bin ouch wider diu verzewunge unsêr zungen. Sie sol bî allen zîten ungewandelt belîben! Grîselîch, wie man hiute im jâre 2024 sprichet.