Niemand hat die Absicht, eine Brücke zu errichten

Seit dreißig Jahren wird über die Elbbrücke bei Darchau gestritten. Der Landkreis treibt die Planung voran, das Land hält sie für zu teuer. Jetzt haben die Befürworter es in den Petitionsausschuss des Landtags geschafft

Für die Foto: Menschen im Amt Neuhaus ein gewohntes Bild: Die Fähre fällt mal wieder ausFoto: Jens Büttner/dpa

Von Nadine Conti

Es fühlt sich ein wenig an wie die Geschichte vom kleinen gallischen Dorf, nur dass es hier um eine kleine niedersächsische Enklave geht: Amt Neuhaus, am rechten Elbufer gelegen, ist eine historische Besonderheit. Von 1945 bis 1993 gehörte es zum Landkreis Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern, also zur DDR. 1994 wurde es dem niedersächsischen Landkreis Lüneburg zugeschlagen. Und seitdem, seit dreißig Jahren, träumt man hier von einer Brücke, die Darchau und Neu-Darchau verbinden soll.

Die hatten den Menschen dort wechselnde Landräte und Ministerpräsidenten auch immer wieder zugesagt, obwohl sie auch vor Ort nicht unumstritten ist. Im Streit um Kosten und Förderbedingungen ist die Brückenplanung allerdings auch schon mehrfach ad acta gelegt und wieder herausgekramt worden.

An diesem Mittwoch sind diejenigen in das Forum des niedersächsischen Landtages gekommen, die den Petitionsausschuss dringend bitten wollen, ihrer Brücke noch eine Chance zu geben. Fast hätte die AfD diese Anhörung verhindert, weil sie das Thema schon in der vorigen Woche mit einem Antrag auf die Tagesordnung des Landtages hievte. Doch in letzter Minute zog die Fraktion ihn zurück.

Die Darchauer haben mehr als 6.600 Unterschriften gesammelt, aufgeschreckt dadurch, dass die Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag von einem „zukunftsorientierten Fährkonzept“ schreibt und im Sommer 2023 plötzlich bekannt gab, das Landesraumordnungsprogramm entsprechend ändern zu wollen.

Für die Initiatorin Ina Niederhoff wäre das eine Katastrophe. Die Fährverbindung, mit der ihre Kinder aktuell zur Schule in Bleckede fahren und die auch zahlreichen Pendler nutzen, um etwa in die Kreisstadt Lüneburg zu kommen, falle alle Nase lang aus, schildert sie. „Bei Hochwasser fährt sie nicht, bei Niedrigwasser fährt sie nicht, wenn zu viel Eis oder Treibholz auf der Elbe schwimmen, bei Nebel, bei Reparaturen fällt sie auch aus.“

Für die Bewohner der ursprünglich sieben Gemeinden, die zum Amt Neuhaus gehören, bedeutet das: Alles umorganisieren und stundenlange Umwege in Kauf nehmen. Normalerweise – also mit der Fähre – liegen 18 Kilometer zwischen Neuhaus und Bleckede, 58 Kilometer sind es, wenn man die Brücke bei Boizenburg nimmt, 85 Kilometer über die bei Dömitz. An durchschnittlich 80 Tagen im Jahr ist das der Fall, schätzen die Brückenbefürworter. Es gab aber auch schon einmal den Fall, dass die Fähre wegen Niedrigwassers 62 Tage lang am Stück nicht fuhr.

Diese Art von Abgehängtsein wollen die Petenten nicht weiter hinnehmen. Immerhin betreffe das auch die Notfallversorgung und den Katastrophenschutz, argumentieren sie. Das Land Niedersachsen sei nun einmal in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass hier Rettungswagen schnell genug ankommen und überhaupt gleichwertige Lebensverhältnisse hergestellt werden.

Der große Haken sind allerdings die davongaloppierenden Kosten: Auf 95 Millionen Euro belaufen sich die letzten Schätzungen für den Brückenbau, von denen 75 Prozent das Land bezahlen müsste. Das ist der Punkt, an dem Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) schon im vergangenen Jahr bei einer Bürgerversammlung in Lüneburg gesagt hatte: „Das ist im Moment nicht zu realisieren.“

Einig weiß er sich da mit den Grünen, auf deren Betreiben die kritisierte Passage wohl auch in den Koalitionsvertrag gekommen ist. Ihnen geht es vor allem auch um den Schutz der wertvollen Elbtalauen und die Befürchtung, mit einem Brückenbau letztlich nur für viel Geld eine höhere Verkehrsbelastung zu produzieren. Das sehen einige Neu-Darchauer – das sind die auf der linken Seite der Elbe – durchaus ähnlich: Dort hat sich eine Bürgerinitiative formiert, die für eine Verbesserung der Fährverbindung und gegen eine Brücke eintritt.

Die Fronten sind schon lange verhärtet und auch in der Anhörung vor dem Petitionsausschuss gehen die Petenten vor allem mit der grünen Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte und dem grünen Fraktionsvorsitzenden Detlev Schulz-Hendel hart ins Gericht.

Diese beiden, moniert Initiatorin Ina Niederhoff, hätten schon im Rahmen ihrer kommunalen Mandate vergeblich versucht, im Kreistag eine Mehrheit gegen den Brückenbau zu organisieren, und nutzten jetzt eben ihre landespolitischen Positionen aus.

Schulz-Hendel reagiert darauf, indem er die Mail eines Bürgers aus der Region zitiert, der die Legitimität einzelner Unterschriften unter die Petition infrage stellt. Was ihm wiederum empörte Reaktionen aus der CDU einträgt: Eine Petition, die es bis in die öffentliche Anhörung geschafft hat, derart infrage zu stellen, gilt als schlechter Stil.

Mit der Fähre liegen 18 Kilometer zwischen Neuhaus und Bleckede, 58 Kilometer sind es, wenn man die Brücke bei Boizenburg nimmt

Abgesehen von solchen Nickligkeiten finden die Petenten auch das Finanzargument unfair. Immerhin würden die Kosten ja über mehrere Jahre gestreckt, die Mittel seien vorhanden, rein auf Wirtschaftlichkeit zu pochen, sei unredlich.

Es gibt da allerdings ein paar verwaltungsrechtliche Komplikationen, die das Ganze zu einer Angelegenheit für Feinschmecker machen. Die eigentliche Beschluss- und Planungshoheit liegt beim Landkreis, die Brücke und die dazu gehörige Umgehungsstraße wären Kreisstraßen. Der Landkreis treibt aktuell das Planfeststellungsverfahren sehr energisch voran. Die Zeche würde allerdings im Wesentlichen das Land zahlen – jedenfalls wenn alles so bleibt, wie es ist. Der Landkreis selbst trägt nur 25 Prozent und die Unterhaltungskosten. Aktuell wäre das Vorhaben wohl konform mit dem gültigen Landesraumordnungsprogramm, erklärt eine Vertreterin des Landwirtschaftsministeriums gewunden. Wenn der allerdings geändert würde – womit nicht vor 2027 zu rechnen ist – könnte die Landesförderung auch wegfallen.

Das bedeutet: Der Landkreis muss sich beeilen, sein Planfeststellungsverfahren abzuschließen, und zwar so, dass es rechtlich unanfechtbar ist – sonst hat er die Mittel, die jetzt schon in die Planung investiert werden, möglicherweise in den Sand gesetzt. Vor genau dieser Konstellation hat der Bund der Steuerzahler wiederholt gewarnt, der dem Vorhaben auch insgesamt skeptisch gegenübersteht, weil er den finanziellen Aufwand für unverhältnismäßig hält.

Gerade bei diesen Feinheiten bleiben in der Anhörung des Petitionsausschusses aber auch noch eine Reihe von Fragen ungeklärt – es fehlt eine Vertreterin des Wirtschaftsministeriums, die darüber aufklären könnte. Das wird der Ausschuss in der nächsten Sitzung zum Thema nachholen und erst dann seine Beschlussempfehlung für den Landtag formulieren.