Intendant übers Theaterspielen: „Meiner Mutter war's peinlich“

Theater hat Franz Breit früh fasziniert. Im Interview erzählt er, wie er es von der Eifel nach Hamburg kam und warum er gerne den König spielt.

Franz Breit steht vor einem verschnörkelten Spiegel

Gold und Glitter schätzt Franz Breit hier in seinem Theater durchaus Foto: Miguel Ferraz

wochentaz: Wann haben Sie Ihre Freude am Theater entdeckt, Herr Breit?

Franz Breit: Meine Mutter hat mich ins Theater nach Trier mitgenommen. Das war für uns eine Weltreise. Ich bin sechs Jahre in eine Dorfschule in der Eifel gegangen, wo alle sechs Klassen in einem Raum saßen. Theater war da in weiter Ferne. Meine Mutter hatte in die Eifel geheiratet und kam gebürtig aus Castrop-Rauxel. Für sie waren regelmäßige Theaterbesuche normal. Als ich dann in Trier das Märchen „Peterchens Mondfahrt“ gesehen habe, wusste ich, dass ich rauf auf die Bühne wollte.

Der Mann

Franz Breit, 70, ist Intendant des Kindertheaters Wackelzahn in Hamburg-Ottensen. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf in der Eifel, ist er zunächst Konditor geworden und war ab 1981 als Sänger für Stücke in Osnabrück und Bielefeld engagiert. Seit 2003 macht er Kindertheater.

Das Theater

Ursprünglich als Tourneetheater gegründet, ist das Wackelzahntheater seit 2010 in einem Hinterhof in Hamburg-Ottensen zu finden. Dort werden vor allem Märchen gespielt, aber auch Präventionstheaterstücke, etwa zum Thema Mobbing. Nach den Vorstellungen stehen die Schau­spie­le­r:in­nen am Ausgang und verteilen weiße Mäuse aus Schaumgummi an die Kinder.

Hat man Sie in Castrop als Kind vom Dorf auch belächelt?

Die Familie dort hat alles für uns gemacht. Aber wenn ich eine getragene Jacke bekam, kam immer noch so ein Satz wie: „Für die Eifel ist das ja gut genug.“ Man war halt der arme Verwandte.

Wie groß war das Dorf, in dem Sie aufgewachsen sind?

280 Einwohner, mehr war das nicht. Ich habe das geliebt, ich liebe es immer noch. Aber wenn ich länger als zwei Tage dort bin, will ich wieder nach Hause, nach Hamburg in mein Theater.

Was war es für eine Kindheit?

Wir Kinder waren sehr selbstständig. Meine Familie hatte eine Landwirtschaft, nichts riesengroßes, drei Kühe und was da noch so kreucht und fleucht. Man musste nach der Schule mithelfen. Wir haben alles mit Kühen gemacht, bis 1964 der Traktor gekommen ist. Dann musste man immer mit den zwei rechten Rädern vom Traktor in der Furche fahren. Das kann ein sechsjähriges Kind, aber ich kam nicht ans Gaspedal. Da kam ein Klotz unter den Fuß, zwei Einmachgummis drum herum – und dann kamst du auch ans Gas unten dran.

Wie leicht war für Sie der Sprung von der Dorfschule zum Theater?

Nach der Schule hieß es: „Was willst du machen? Theater? Da musst du erst mal einen Beruf erlernen.“ Das hat mir eingeleuchtet. Bei der Berufsberatung sagte ich dann: „Ich will Koch werden.“ Da hieß es: „Das geht nicht. Keine Stelle frei. Aber wir haben eine Lehrstelle als Konditor.“ Das habe ich gemacht, mit Gesellenbrief, und heute nach über 50 Jahren habe ich immer noch einen guten Kontakt zu der damaligen Juniorchefin bei meiner alten Lehrstelle. Jetzt ist sie Seniorchefin und geht auf die 90 zu.

Aber das Theater haben Sie nicht aus den Augen verloren?

Nie, zu keinem Zeitpunkt. Aber ich habe sehr schwer gearbeitet, um an einer Privatschule Gesang zu studieren. Dann ging es über regelmäßige Auftritte an einer Freilichtbühne zu den Theatern. Immer als Freiberufler.

Wie fanden Ihre Eltern Ihre Laufbahn?

Mein Vater ist früh gestorben, der hat das nicht mehr so miterlebt. Meine Mutter war in jeder meiner Vorstellungen, wenn sie zum Besuch kam. Meiner Mutter war das am Anfang sogar peinlich. „Ich kann den Leuten im Dorf doch nicht erzählen, das du am Theater bist.“ Aber sie war in allen meinen Vorstellungen und hat die Zeitungsausschnitte dazu aufgehoben.

Sie waren im Theater zuerst Sänger. Wie sind Sie vom Gesang zum Kindertheater gekommen?

Als Sänger ist man ja zeitlich eingeschränkt. Wenn die Stimme nicht mehr mitmacht, muss man sich nach etwas anderem umsehen. Und das frühzeitig, ehe man am Theater gegangen wird. Das ist ein sehr harter Beruf. Sie brauchen neben der Stimme Glück. Sie müssen einen festen Willen haben, sie müssen kerngesund sein, sie dürfen keine Allergien haben. Und am Tag, an dem sie vorsingen, müssen sie neben der Stimme auch das Gesicht haben, das denen gefällt.

Ab wann kann man nicht mehr singen?

Der eine früher, der andere später. Das Publikum quittiert einen falschen Ton schon mal mit Buhrufen. Das finde ich persönlich ungerecht, denn jeder versucht ja in der Vorstellung, alles zu geben. Aber im Sport ist es ja genauso. Das muss man aushalten können, sonst darf man nicht in diesen Beruf gehen.

Eine kleine Steinplastik des Froschkönigs auf einem Ball

Klassischer Märchenstoff, mit Krone Foto: Miguel Ferraz

Wie lief der Einstieg ins Kindertheater?

Ich bin für einen erkrankten Kollegen, der an einem Tourneetheater für Kinder gespielt hat, eingesprungen. Das hat mir sehr gut gefallen. So gut, dass ich bei diesem Theater geblieben bin und für mich da eine Möglichkeit für die Zukunft gesehen habe. Allerdings mit einer eigenen Bühne, nicht als Angestellter. Das habe ich dann auch gemacht. Am Anfang war alles schwer und umständlich. Die Lagerräume waren über ganz Hamburg verteilt, wir haben in einer Aula oder im Gemeindesaal geprobt. Aber in der Zeit ist der Schauspieler, Regisseur und Autor Jan Radermacher bei uns eingestiegen, das war der größte Glücksfall. Er schreibt bis heute die Stücke und komponiert die Musik dazu. Er hat auch den größten Teil der Bühnenbilder gebaut und gemalt. Ohne ihn wäre das Theater nie so erfolgreich gewesen. Aber wir haben in der Anfangszeit alles selber gemacht.

Was bedeutet alles?

Das Bühnenbild bauen und malen, Akquise betreiben, Kostüme in Auftrag geben. Auf der Tournee Bühnenbild und Technik auf- und abbauen. Meine Theaterbesessenheit hat mir da sehr geholfen. Ich habe mich früher an den Theatern immer auch für die anderen Abteilungen wie Werkstatt, Maske und Kostümschneiderei interessiert. Am Anfang habe ich auch mal selbst Bühnenbilder für die Tour gemalt. Die sahen wahrscheinlich so aus, wie Kinder es selbst gemalt hätten.

Aber irgendwann wurden Sie sesshaft mit dem Theater.

Wir haben im Sommer im Innenhof des Altonaer Rathauses gespielt. Da wurden wir des Öfteren gefragt, warum wir kein festes Haus in Hamburg haben. In Ottensen wurden wir dann fündig. Ich habe die ersten drei Jahre auch im Theater gewohnt. Büro, Schlafzimmer und Wohnzimmer, alles auf 12 Quadratmetern. Zu Beginn habe ich noch frühmorgens unsere Plakate in der Umgebung aufgehängt. Jetzt sind wir meist ausverkauft. Aber man muss ständig kämpfen und kann sich selten ausruhen.

Sondern?

Es ist immer etwas zu reparieren oder zu erneuern. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn die Zuschauer Mitleid haben. Wenn da eine kaputte Strumpfhose ist oder ein angeranztes Bühnenbild und die Leute sagen: „Haste gesehen, Grete, da ist ja alles kaputt. Aber wie sollen Sie es denn noch machen? Ist ja ein kleines Theater.“ Sie müssen das hier genauso behandeln wie die Staatsoper.

Ist Ihr Blick auf Ihre Schau­spie­le­r:in­nen auch so streng?

Da wird wie in jedem anderen Beruf Leistung verlangt. Ich bin sicher einzelnen Schauspielern oder Schauspielerinnen nicht so gerecht geworden, wie sie es verdient hätten. Die Zeiten waren auch nicht immer einfach. Aber ich bekomme heute nach all den Jahren oft Besuch von früheren Kollegen – das ist ja auch meine Familie. Am Theater zu arbeiten ist ein schöner Beruf! Ich hab mal an einem Theater mitgespielt, bei dem eine Premiere nicht stattfinden konnte, weil der Vorhang kaputt war. Wir hatten alle vier Wochen gearbeitet wie die Blöden, und an so einem Stück sind 150, 200 Leute beteiligt. Dann haben wir es nur für uns gespielt und im Publikum saßen auch die Platzanweiser unten und die Schneiderin. Das wird mir unvergessen bleiben.

Wenn man hier hereinkommt, stößt man zuerst auf einen Thron und einen Spiegelsaal, überall ist Gold und Glitter. Kommt Ihnen das stilistisch entgegen?

Der Theaterbesuch soll etwas Besonderes sein. Keiner rechnet beim ersten Besuch hier damit, dass es auf dem Hinterhof so etwas gibt, auch was die Kostüme betrifft. Wenn ein Stück wie bei Dornröschen 17 Jahre umfasst, dann ziehen sich die Protagonisten doch mal um, oder nicht? Dornröschen ist eine Prinzessin. Die wird ja nicht nur ein Kleid haben. Und der König zieht sich auch mal um – das hat auch etwas damit zu tun, dass ich ihn immer gespielt habe. Ein König ist ein König, warum soll ich den im Straßenanzug durch die Gegend laufen lassen? Ich liebe Kostüme und üppige Ausstattungen. Die Kinder wollen das auch.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Was konnten Sie als König noch durchbringen?

Wir haben ein Stück, da weckt die böse Fee nachts alle im Schloss, und alle kommen im Nachthemd. Ja, da hat der König aber trotzdem noch eine Krone auf dem Kopf, oder nicht? So stelle ich mir das vor. Er hat die Krone doch neben dem Bett auf dem Nachttisch liegen, und das Erste, was er aufsetzt, ist die Krone. Wenn man Kindertheater macht, sollte man sich eine Idee von der Kindheit bewahren und die Neugierde. Bloß nicht die Mottenkiste auf und zu machen.

Was bedeutet das konkret?

Ein Stück muss sich ständig entwickeln. Besonders wenn man die Stücke in regelmäßigen Abständen wiederholt. Ich denke mir immer, wenn wir ein Stück anfangen: Wie werden die neuen Schauspieler das wohl umsetzen? Für mich als Regisseur ist es wichtig, die Schauspieler erst mal etwas anbieten lassen. Dann kann man immer noch eingreifen. Bei der Probe lachen sich alle tot und bei der Vorstellung lacht kein Mensch. Da fragt man sich oft, woran es liegt.

Aber man erfährt es nie – man kann das Publikum ja schlecht fragen.

Wenn ich Leute drin habe, die ich kenne, frage ich sie. Es macht mich verrückt, wenn ich im Stück eine Pointe habe, die nicht zündet. Kinder haben da auch eine eigene Denke. Dann kommt es auch darauf an, ob sie mit dem Kindergarten kommen oder mit den Eltern oder Großeltern.

Warum?

Sie sind viel freier, wenn sie mit der Schule oder Kita unter sich sind. Mit den Eltern, besonders mit einigen Großeltern, ist das so eine Sache. Da gibt es im Vorfeld schon Hinweise: „Wenn das schlimm wird, sag Bescheid, oder wenn es zu laut wird oder zu leise – dann geht Oma mit dir raus.“ Ich glaube, dass man den Kindern heutzutage viel zu wenig zutraut. Man kann sie ja nicht ewig beschützen, man muss sie auch mal laufen lassen.

Ich stelle mir vor, dass man als jemand, der für Kinder spielt, ungeschützter ist, weil die Reaktionen unvorhersehbar sind.

Unsere Stücke dauern maximal 50 Minuten. Es kann schon mal passieren, dass Kinder nach 40 Minuten etwas unruhiger werden. Es kommt ja auch darauf an, ob Kinder mit Theaterbesuchen vertraut sind. Ich bin schon erschrocken, wenn es Kinder gibt, die fragen, ob die Menschen auf der Bühne echt sind. Würden die Kitas und Schulen nicht die Theaterbesuche organisieren, würden einige Kinder nie ein Theater von innen sehen.

Was tun Sie denn, wenn es laut wird?

Ich sage den Schauspielern: Wenn die Kinder laut werden, liegt es meistens daran, dass sie nicht gut zu verstehen sind. Das kenne ich aus dem Musiktheater. Wenn Sie nicht deutlich sprechen und nicht interpretieren beim Singen, dann sagen die Leute nach zwei Minuten: „Jetzt haben wir ja alles gesehen.“ Wieso sollen sie noch zuhören, wenn sie den Text nicht verstehen.

Kennen die Kinder, die hierherkommen, die Grimmschen Märchen noch?

Die Klassiker kennen die Kinder noch. Man muss sie auch nicht total modernisieren, so dass die Prinzessin mit einer Jeanshose rumläuft und sagt: „Den Prinzen find ich geil.“ Aber man muss auch nicht mehr sagen: „Nun geh denn hin.“ Was aber zusätzlich kommt, ist der Gedanke: Darf ich mich noch über einen dicken Koch lustig machen, so wie er in Dornröschen vorkommt? Passt das noch in die heutige Zeit, wenn der König sagt: „Ich brauche einen Schwiegersohn, ich habe nur eine Tochter, die kann nicht Königin werden“?

Wie gehen Sie damit um?

Wir versuchen, es zu umgehen. Im tapferen Schneiderlein zum Beispiel sucht der Vater händeringend einen Schwiegersohn, damit er jemanden hat, der das Land regieren kann – er traut es der Tochter gar nicht zu. Deshalb habe ich als König gesagt: „Endlich habe ich einen Schwiegersohn, der mit dir zusammen das Land regieren kann.“ Wenn man Märchen spielt, gerade Grimm, dann muss man sie ernst nehmen. Das war das große Problem in den 70er, 80er Jahren. Da wurde etwas in die Stücke hineininterpretiert und die wurden dadurch total verfälscht. Das gab es auch im Musiktheater, besonders in der Operette.

Was hat man verfälscht?

Man hat versucht, die Inszenierungen für jüngere Leute attraktiver zu machen, indem man es total verkitscht und damit nicht ernst genommen hat. Sie müssen sich mit den Charakteren in den Stücken auseinandersetzen. Das ist jetzt nicht einfach gut, gut, böse, böse. Ein gutes Beispiel ist im Märchen das Rumpelstilzchen. Er kommt ja boshaft rüber, wenn er, wie von der Königin leichtsinnig versprochen, ihr Kind haben möchte. Warum? Er hat große Schätze angehäuft, er kann zaubern, aber er ist sehr einsam. Und deshalb sagt er dann: „Etwas Lebendiges ist mir lieber.“ Das ist rührend und darauf muss die Szene aufgebaut werden.

Was ist Ihnen noch wichtig für Ihr Theater?

Durch den Zuschuss der Stadt Hamburg, den wir seit einigen Jahren bekommen, können wir zusätzliche Vorstellungen auch für kleinere Gruppen spielen. Unser Theater wird gern von Gruppen besucht, die in anderen Theatern Schwierigkeiten haben, etwa Kinder, die nicht in der Lage sind, ruhig einer Vorstellung zu folgen. Oder wir spielen nur für fünf, sechs Kinder mit Beatmungsgeräten, die in riesigen Rollstühlen sitzen. Wir können hier alles ausräumen und wir machen das auch.

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