Kunst und Einwanderung: Vom Rand aus gesehen
„There is no there there“ im MMK in Frankfurt am Main versammelt 30 Kunstschaffende mit Migrationshintergrund. Sie haben viel zu erzählen.
Das neue Vokabular in der fremden Sprache ist recht spezifisch: Mülltrennung, Besuchsordnung, Einweisungsschein. Nachts kommt der Hausmeister in die Zimmer der Eheleute und schaut, ob alles seine Richtigkeit hat. Das ist ungünstig für die Arbeiterinnen: „Wir müssen ja früh aufstehen!“ Želimir Žilniks grandioser Film „Hausordnung“ jongliert zwischen Vignetten, die sich der Wohnsituation von Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern in der BRD anno 1976 widmen.
Obwohl „There is no there there“ im Museum für Moderne Kunst (MMK) Frankfurt keine Schau über Gastarbeiter ist, handelt sie bisweilen von deren Lebensverhältnissen. Wohl weil ihre Künstlerinnen und Künstler selbst oft am Rand stehend auf das neue Land blickten.
Kurator Gürsoy Doğtaş und MMK-Direktorin Susanne Pfeffer präsentieren 30 Künstlerinnen und Künstler, die durch Anwerbeabkommen, Residenzen oder Kunststudium nach Deutschland gekommen waren – und einige auch als künstlerisch tätige ArbeiterInnen.
Doğtaş hatte ein schlichtes Anliegen: Er wollte jene aufspüren, die im Curriculum der nachkriegsdeutschen Kunstgeschichte nicht vorkamen. Das unterscheidet diese bemerkenswert von anderen Ausstellungen zum Thema, die eher didaktische oder historische Ansätze verfolgen – oder sich gar nicht erst auf die Kunst jener, von der sie eigentlich handeln wollen, einlassen.
Zugehörigkeit und Ausschluss
Das mag symptomatisch sein für den deutschen Ausstellungsbetrieb, der zwar regelmäßig US-amerikanischen Rassismus thematisiert, aber noch immer weniger Begriff davon zu haben scheint, wie Zugehörigkeit und Ausschluss in BRD, DDR und auch davor konkret funktionierten.
„There is no there there“. Museum für Moderne Kunst Frankfurt a. M., bis 29. September
Zu sehen gibt es starke und zum Teil noch nie gezeigte Arbeiten, die ikonische Museumsarchitektur des MMK nehmen sie unerschrocken ein. Ihre Künstlerinnen und Künstler zeigen sich dennoch fast rührend bescheiden.
„Ich bin kein politischer Künstler“, erklärt der in Iran geborene Maler Akhbar Bekalam (*1944) beim Eröffnungsrundgang. Gleichwohl hielt das Politische Einzug in seine Bilder: „Erst der Schah, dann die Ajatollahs“, kommentiert er sein damaliges motivisches Interesse an politischen Repressionen. Auf Bekalams Ölmalereien scheinen die Figuren geradezu aus dem Bild herauszudrängen.
Fast jeder Raum des postmodernen Hans-Hollein-Baus ist eine Mikro-Inszenierung in sich. Ganz in Türkis getaucht der spitz zulaufende Bug, vor dem Serpil Yeters (*1956) und Hanefi Yeters (*1947) Malereien migrantischer Alltagsszenerien aus dem Westberlin der 1970er Jahre aufleuchten. Andere Kabinette zeigen Skulpturen, Textilarbeiten, Siebdrucke, Wandgemälde oder weitere Filme.
Kunst, die für sich steht
Auch wenn die Biografie selbstredend eine Rolle bei der Auswahl spielte, geht die Schau vom Werk aus und schaut, welche Erzählungen sich aus ihm heraus ergeben. Die ausgewählte Kunst soll offenkundig für sich stehen, nicht als Staffage zur Illustrierung einer gut gemeinten kuratorischen Absicht.
In der Gesamtheit manifestieren sich so eigensinnige, einander durchaus widerstrebende, in alle Richtungen ausschwirrende Utopien wie auch Desillusionierungen. Von einem Ort, der Fremde heißt oder neue Heimat, wobei jene Begriffe, wie der Ausstellungstitel nahelegt, durchaus transformieren können.
Während einige rasch ernüchtert waren von der neuen Lebensrealität, empfand mancher wie Želimir Žilnik Deutschland damals zumindest künstlerisch als „sehr, sehr offen“. Was seinen kritischen Blick auf Missstände gerade nicht entschärfte. Wieder andere suchten pragmatisch einen Ort, um weiter der Kunst nachgehen zu können.
Gerade die südamerikanischen Künstlerinnen und Künstler richteten ihren Blick verstärkt auf die politischen Zustände in den autoritär geführten Ländern, aus denen sie nach Deutschland kamen. Bisweilen in den Realsozialismus: das war „kein Geschenk der DDR“, betont die Malerin und Bildhauerin Manuela Sambo (*1964), in Angola geboren, sondern „in harten Devisen bezahlt“. Die Schau zeigt Kunst aus BRD und DDR unterschiedslos gemeinsam, als ebenbürtigen Teil der Geschichte des heutigen Deutschlands.
Ins geografisch Konkrete führt Drago Trumbetaš (1937–2018): Der Kroate war nach erfolgloser Bewerbung um ein Künstlerstipendium als Drucksetzer nach Frankfurt gekommen. Seine fein gezeichneten Beobachtungen des Alltags am Main zwischen Arbeitskampf und Ausländeramt bersten vor schwarzem Humor, der mal zart, mal derb eingesetzt wird.
Auf dem Weg hinaus geht es dann noch einmal vorbei an den gespenstischen Figuren des griechischen Künstlers Vlassis Caniaris (1928–2011), die zwischen Ansammlungen bundesdeutscher Warenwelten auf gepackten Koffern sitzen. Verkehrsgrau scheinen die Hallenwände auf die Environments herunter: „Willkommen“ heißt es da auf einem Schild, und dort schon: „Arrivederci!“
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