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Postkoloniales Theater in DortmundZeitschleifen des Patriarchats

Am Theater Dortmund ist Sharon Dodua Otoos Roman „Adas Raum“ zu sehen. Das Stück ist der flirrende Spuk einer Gewalt- und Unterdrückungsgeschichte.

Husch, husch – in Richtung antipatriarchalen Weltgeist Foto: Birgit Hupfeld

In den letzten Jahren hat sich in der Theaterlandschaft der Trend herausgebildet, erfolgreiche Romane auf der Bühne zu adaptieren. Längst sind es nicht nur Titel aus dem Literaturkanon, die als Stoff für Inszenierungen herhalten. Konjunktur hat in den Schauspielhäusern ebenso die zeitgenössische Prosa. Regisseurin Miriam Ibrahim bewies bereits 2021 mit ihrer Inszenierung von Olivia Wenzels „1000 Serpentinen Angst“ im Staatstheater Hannover, dass sie den Transfer von belletristischen Vorlagen auf die Bühne beherrscht.

Nun wagte sich Ibrahim an den Roman „Adas Raum“ von Sharon Dodua Otoo, in dem die Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin die Geschichte von vier gleichnamigen Frauen erzählt, die in ihren jeweiligen Epochen mit den patriarchalen bis kolonialen Gewalt- und Unterdrückungsstrukturen konfrontiert sind. Ihr Sujet reiht sich damit in die Auseinandersetzung mit den intersektionalen Mechanismen, aber auch den Diversitätsdiskursen einer Schwarzen Identität ein, die Julia Wissert, seit der Spielzeit 2020/21 Intendantin im Theater Dortmund, im Osten des Ruhrgebiets etabliert hat.

Auch Otoo verwebt in ihrem vielbeachteten Roman postkoloniale Themen mit Erinnerungs-, Rassismus- sowie Genderdiskursen anhand der vier Frauenfiguren. Ada ist eine Ghanaerin, die Ende des 15. Jahrhunderts die Ankunft der Portugiesen erlebt und um ihr verstorbenes Baby trauert.

Nach einem Zeitsprung ins Jahr 1848 stoßen wir auf eine Ada, die als Mathematikerin eine Art Informatikpionierin ist, aber sich mit Mansplaining und anderen Formen männlicher Hegemonie herumplagt. 1945 verdingt sich Ada als Zwangsprostituierte im Lagerbordell des KZ Buchenwald/Mittelbau Dora, bevor wir sie noch mal 2019 als alleinerziehende Mutter ohne deutsche Staatsangehörigkeit kennenlernen, die sich in Berlin mit ihrem Reisepass vergeblich auf Wohnungssuche begibt.

Subalternes Stimmengeflecht

Das sind in nuce die Konturen von Otoos Roman, der kaum eine stringente Handlung, kaum konkrete Figuren liefert. Vielmehr ist es ein wesenhaftes Stimmengeflecht das Otoo eröffnet, ein Weltgeist patriarchaler Geschichte, dessen Zeitschleifen sie abklopft. Wer dieses literarische Geflecht einer kollektiven Erinnerung also auf die Bühne bringt, kann über viele dramaturgische Herausforderungen stolpern.

Miriam Ibrahim und Dramaturg Jasco Viefhues entschieden sich dafür, diese Polyphonie der Ada-Stimmen von gleich sechs Schauspielerinnen verkörpern zu lassen. Sie formieren sich auf der Rampe zu einer Gruppe, tänzeln sich wieder auseinander oder proklamieren den Text ähnlich wie in einem Sprechchor – so, als erzähle hier ein weibliches und subalternes Kollektivsubjekt.

Alle tragen Blusen und Hosen im gleichen, spröden Türkis, über die zunächst ebenso konforme, übergroße Mäntel mit Kapuzenoberteilen hängen (Kostüme: Gianna-Sophia Weise), derer sich die Darstellerinnen regelmäßig entledigen. Mal werfen sie die Mäntel auf den Boden, mal stapeln sich diese Kleider wie Ballast auf den Schultern, irgendwann wiegt das Kleidungsstück gleich einem Pietamotiv in den Armen.

Allegorische Felsenlandschaften

Dieser Kniff evoziert einen symbolistischen Verweis: als Dialektik von abstrakten Hüllen und patriarchalen Rollenzuweisungen, in denen sich die konkreten Körper verheddern, in denen sie gefangen zu sein scheinen und sich abstrampeln.

Ähnlich symbolisch wie karg erscheint dagegen das Ensemble aus Felsen, das Bühnenbildnerin Nicole Marianna Wytyczak konzipierte. Wer will, kann darin eine Allegorie der steinernen Verhältnisse des Patriarchats lesen; oder die Gesteinsbrocken, mit der es diese Archäologie einer Unterdrückungs- und Gewaltgeschichte zu tun hat.

Die Lichtprojektionen, die Markus Fuchs auf die Felsenlandschaft ­projizieren lässt, sorgen indes für die Atmosphäre einer Séance, einer Geisterbeschwörung, in der sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kreuzen. Nicht umsonst ist es Jacques ­Derridas Begriff der Hantologie, der im Programmheft lanciert wird. Der französische Philosoph lehnte sich mit seinem Neologismus an die Ontologie an, die Lehre des Seins, die ihm deshalb brüchig erscheint und heim­gesucht wird, weil die Unterdrückung der Vergangenheit in der Jetztzeit spukt.

Zumindest diese Momente der Inszenierung sind ein gelungenes Destillat dieser Romanvorlage. Denn seltsam zurückhaltend wirkt bei alldem die Darbietung der Darstellerinnen, die texttreu die Vorlage monologisieren müssen. So geht es an diesem Abend darum, die Ohren zu spitzen und dem Vorgetragenen zu lauschen. Das wirft zugleich Fragen über den Ertrag und den Mehrwert solcher Romanadaptionen im Theater auf.

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