Wer gewinnt den 68. ESC in Malmö?

Es ist so weit, das Finale des Eurovision Song Contest mit 26 Acts steht an. Lesen Sie hier alles über irre und wirre Nummern, bekennende Bitches, illustre Albernheiten, fesche Fummel – und über einige Politik

Eden Golan aus Israel hat sich vom Mobben und Dissen in der künstlerischen Umgebung in Malmö nicht kleinkriegen lassen Foto: Jens Büttner/dpa

Von Jan Feddersen

1Schweden: Marcus & Martinus, ­„Unforgettable“. Zwei Brüder, deren Lied das Gegenteil dessen ist, was es vom Titel her verheißt: flott, sämig, belangarm. Schneiden sie schlechter als Rang 6 ab, bringen sie Schande übers Land. Macht aber nix: Es sind ja Norweger. Platz 21.

2Ukraine: Alyona Alyona & Jerry Hall, „Teresa & Maria“. Diese beiden Frauen beten, man glaubt es kaum, unter anderem Mutter Teresa und Maria (?) an: kurios. Ethno-Pop von inspirierender Art, geeignet, jedes Dinner in einem Multikultirestaurant sanft zu schmücken. Platz 9.

3 Deutschland: Isaak, „Always On The Run“. Ein bibeltreuer, exstraßenmusikalischer Mann aus dem Bibelgürtel Westfalens, Espelkamp sein Heimatort. Was wurde er schlechtgeredet unter ESC-Fans, dabei ist sein Lied zwar recht simpel, doch auf Anhieb verstehbar. Also: Nein, er wird nicht Letzter. Platz 15.

4Luxemburg: Tali, „Fighter“. Erstmals seit 31 Jahren ist dieses ESC-Gründungsland wieder dabei, und das gleich mit einer soliden Ballade ohne besonderen Firlefanz. Null Experimente, keine Exaltiertheit, was schade ist: Sie hätte das Format dazu. Platz 22.

5Niederlande: „Joost Klein“, Europapa. Neulich noch mit Otto Waalkes in den Charts, serviert dieses Waisenkind eine hochtourige Geschichte, die ultrarührselig im Michael-Schulte-Style endet. Platz 5.

6Israel: Eden Golan, „Hurricane“. Nicht die eindrücklichste aller Eurovisionsballaden ihres Landes – aber okay: Sie hat sich von allem Mobben & Dissen in der künstlerischen Umgebung in Malmö nicht kleinkriegen lassen. Unique – weil ruhigste Nummer des Abends. Platz 3.

7Litauen: Silvester Belt, „Luktelk“. „Warte“, so der Titel, ist ein feines Liedlein, das man leider gleich wieder vergisst. Radiotauglich, auch nicht falsch, in Fahrstühlen eingesetzt zu werden, wenn es besonders hoch geht – aber als Belohnung winkt allenfalls Platz 12.

8Spanien: Nebulossa, „Zorra“. Eine Sängerin, die einen Namen trägt, der zu Missverständnissen einlädt. Nebulös bleibt sie nicht, diese Dame, die irgendwie an die Kumpanin von Donatella Versace & Amanda Lear erinnert: eine bekennende Bitch mit Herz. In Spanien ein Hit. Platz 24.

9Estland: 5Miinust x Puuluup, „(Nendest) narkootikumidest ei tea me (küll) midagi“. So ließe sich sagen: Unqueerste Performance des Abends, aber im Reigen der Selbstbekenntnisse kommen diese Esten mit herrlich wirren & irren Nummer ohne Identitätsgezwitscher. Platz 23.

Die italienische Musikerin Angelina Mango, San-Remo-Siegerin, zählt zu den Mitfavoritinnen Foto: Alma Bengtsson/EBU

10Irland: Bambie Thug, „Doomsday Blue“. Schrillste, interessanteste Performance einer irgendwie satanisch orientierten Transqueersatansbraut aus einem Land, das uns gediegene Siegerinnen* wie Johnny Logan, Niamh Kavanagh, Linda Martin und Dana geschenkt hat. Schönste Nails des Abends. Platz 4.

11Lettland: Dons, „Hollow“. Wenn sich weder Televoter noch Jurys an seinem blau lackierten Fetisch-Tankwart-Kostüm stören, winkt diesem männlichen Sänger (so gelesen wie identitär) der Sprung in höhere ESC-Ränge. Etwas pompös, sicher gesungen: Platz 6.

12 Griechenland: Marina Satti, „Zari“. Modifikation des alten „Alexa Zorbas“-Mottos: Mehr Sirtaki ist besser als weniger – durch diese Sängerin und ihr Lied tüchtig aufgepimpt. Gründliche Revision typischer Folklore ihres Landes und zu Recht im Finale. Platz 10.

13United Kingdom: Olly Alexander, „Dizzy“. Leicht nervöses, von Schwindligkeit in nächtlichen Situationen handelndes Couplet vom Dasein in der „Gay Bar“ (O-Ton Thorsten Schorn in der ARD). Als ob alle Schwulenkneipen über einen Darkroom verfügten. So charmant explizit! Platz 20.

Auch Baby Lasagna aus Kroatien ist hotter Thronanwärter des Abends Foto: Alma Bengtsson/EBU

14Norwegen: Gåte, „Ulveham“. Reaktionärer, weil trashy-folky Pop mit gewaltiger Stimme. Sieht wie die Anti­these zur Idee des Glams aus, aber muss ja nicht stören. Platz 19.

15 Italien: Angelina Mango, „La noia“. Sie tut auf der Bühne alles dafür, das außerdem mit großer Stimme, schön zu singen. Die San-Remo-Siegerin ist Mitfavoritin. Platz 7.

16Serbien: Teya Dora, „Ramonda“. Sie steht auf einem Felsenplateau und singt von ihrem Weltschmerz. Aufgeflottete Balladenhaftigkeit, eher dünn angerührt. Diese Serbin ist stolz, das Grand Final erreicht zu haben – und soll zufrieden bleiben, Platz 26.

17Finnland: Windows95man, „No Rules!“ Man fragt sich bei deren Show: Ist der eine nun untenrum wirklich nackt zu sehen oder ist ein Irgendwas doch noch dazwischen? So oder so: Dieses Land, voriges Jahr Zweiter und von den Jurys um den Sieg gebracht, serviert schon wieder illustre Albernheiten in Noten. Platz 11.

Wird laut wochentaz-Prognose nicht Letzter! Der deutsche Teilnehmer Isaak aus Espelkamp Foto: Alma Bengtsson/EBU

18Portugal: Iolanda, „Grito“. Ihr „Schrei“ (so der Titel im Deutschen) möge erhört werden. Sie singt schön, ihr Lied handelt von Verzweiflung, sie kommt trotzdem mit leichtem Bombast – und verwöhnt alle, die auf lusitanische Post-Depressions-Harmonien stehen. Platz 8.

19 Armenien: Ladaniva, „Jako“. Folkig und frisch, angenehm und interessant diese Geschichte aus dem Land, das nur selten es ins Finale schaffte. Platz 14.

20Zypern: Silia Kapsis, „Liar“. Die gebürtige Australierin setzt voll auf discofähige Tanzschrittchen. Hört sich an wie andere ESC-Erfolge dieser Insel. Freundlich, mitreißend. Platz 17.

Manche raunen sich zu, dies sei „die intimste Stimme des Abends“: Frankreichs Slimane Foto: Alma Bengtsson/EBU

21 Schweiz: Nemo, „The Code“. Super inszenierte Rap-Hip-Hop-Bombast-Glam-Alike-Nummer, fescher Fummel. Dieser Eidgenosse wäre ein würdiger Erbe der Céline Dion, die 1988 für die Schweiz antrat und gewann. Topfavorit und also: Platz 1.

22Slowenien: Raiven, „Veronika“. Das Land ist froh, es ins Finale gebracht zu haben. Der Titel atmet zwiespältigste Unentschiedenheit, aber das mit einer gewissen Intensität. Platz 13.

23Kroatien: Baby Lasagna, „Rim Tim Tagi Dim“. Die hottesten Thronanwärter des Abends. Schönster Lärm, trashy und camp in einem, dazwischen wie goldene Fäden eingewirkte balkanesische Harmonien, und das nicht mal dezent. Lasagna ist, nebenbei, das Lieblingsgericht aller Dalmatinerinnen*. Platz 2.

Super inszenierte Rap-Hip-Hop-Bombast-Glam-Alike-Nummer: Nemo ist Top-Favorit Foto: Alma Bengtsson/EBU

24 Georgien: Nuza Busaladse, „Fire Fighters“. Feuerwehralarm, und das aus einer Gegend, deren Elite sich gerade wieder gen Russland orientiert – und deren Jugend gegen diesen Kurs protestiert. Trotzdem super, dass diese Sängerin für ihre Brandlöschung belohnt wird. Platz 16.

25Frankreich: Slimane, „Mon amour“. Der Mann setzt die Tradition des gepflegten, gleichwohl modernen Chansons fort. Seine angebetete Liebe könnte passabel abschneiden: Platz 18.

26 Österreich: Kaleen, „We Will Rave“. Eurodance einer Chanteuse, die aus einem mauen Lied noch das beste herausholt. Ist leicht zu karaoken, für jede Party eine Art Einstiegsmucke. Platz 25.

Jan Feddersen beschäftigt sich seit 1967 mit dem ESC (damals Grand Prix Eurovision) und hat dazu mehrere Bücher veröffentlicht.

Die taz bestreitet einen Live-Ticker zum ESC am Samstagabend. Einfach mal reinschauen: taz.de