Debatte über Energydrinks bei Kindern: Die Versuchung an der Kasse

Eigentlich weiß unser Autor, dass die süße Brause keine Flügel verleiht. Dann aber hat er doch schon wieder eine Dose gekauft. Wie kommt's?

Dose in einer Hosentasche

Kann nostalgisch bedingte Kaufräusche verursachen Foto: imago

Dieses picksüße, überteuerte und ungesunde Getränk verleihe Flügel, verspricht die Werbung – und was bitte gibt es Geileres als fliegen? Natürlich handelt es sich dabei um eine vergleichsweise leicht enttarnbare Marketing­lüge. Im Supermarkt wehre ich mich dann auch jedes Mal gegen das Gesöff, dessen Hintermann auch noch politisch ungenießbar ist, das aber palettenweise gerade dort herumsteht, wo man warten muss, bis man seinen Einkauf bezahlen kann.

Aufstieg erfordert Leistungsfähigkeit. Wer hoch hinauswill, muss sich von den natürlichen Schranken befreien

Die effektivste Präventivmaßnahme ist da Begleitung. Aber es kommt darauf an, wer dabei ist. Der Preis der Scham vor einem Mitglied meines heutigen sozialen Milieus, in dem man gut zur Umwelt und sich selbst sein muss, ist zu groß. Wenn ein Bruder oder alter Schulfreund dabei ist, kann Begleitung wiederum den gegenteiligen Effekt triggern und auch nostalgisch bedingte regelrechte Kaufräusche verursachen.

Dabei weiß ich natürlich, dass das ein Teufelszeug ist. Die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch hat kürzlich erst gefordert, den Verkauf an Minderjährige zu verbieten. Laut einer Studie der Krankenkasse DAK konsumiert jedes fünfte Schulkind regelmäßig Energydrinks. Der erhöhte Koffeingehalt und andere Inhaltsstoffe gelten gerade bei Heranwachsenden als schädlich. Die Liste der möglichen Symptome ist lang: Herzrhythmusstörungen, Angstzustände, Schlafstörungen, epileptische Attacken. Aus den USA seien gar mehrere Todesfälle im Zusammenhang mit Energydrinks bekannt, heißt es in einem Beitrag des NDR. Natürlich ist das alles schlimm – und das gezielte Marketing an Kinder durch In­flu­en­ce­r:i­nnen und andere prominente Vorbilder rücksichtslos. Aber warum kippen Menschen das Zeug in sich hinein? Und welche Menschen tun das?

Soweit sich durch Äußerlichkeiten überhaupt darauf schließen lässt, sind es oft Menschen mit Migrationshintergrund, die nicht gerade zur Oberschicht gehören. Möglicherweise schränkt meine eigene Biografie aber meine Wahrnehmung so sehr ein, dass ich die Dosen in den Händen der anderen Menschen einfach übersehe.

Immer auch ein Versprechen

Mich begleiten Energydrinks jedenfalls schon sehr lange. Begegnet sind sie mir zuerst auf langen Autofahrten bei Tankstellenkäufen der Erwachsenen, die gerne auch bei Nachtschichten auf die aufputschende Wirkung des Getränks gesetzt haben. Meinen ersten Energydrink habe ich gekauft, als es endlich eine Discounterversion gab, die nicht nur günstiger als das Original war, sondern gleich 1,5-Liter statt der üblichen 250 Millimeter umfasste. Ein paar Jahre später griff ich, sofern ich es bezahlen konnte, zum Original – als Statussymbol und Mischzusatz für den Wodka, den ich anders nicht runterbekam.

Mit dem Getränk kauft man immer auch ein Versprechen. Das Fliegen steht für den Aufstieg, der besondere Leistungsfähigkeit erfordert: Wer hoch hinauswill, muss sich von seinen Schranken befreien – auch den natürlichen. Der eigene Körper und seine Bedürfnisse wie Erholung sind ein Hindernis. Was für Leistung gilt, gilt auch für das nächtliche Vergnügen: Wer schon nicht so viel im Leben hat, der sollte dieses Leben wenigstens nicht auch noch verschlafen.

Eine Zeit habe ich es geschafft, meinen Konsum von Energydrinks mit der milieukonformeren Variante eines Mate-Getränks zu substituieren. Aber es ist einfach nicht dasselbe. Und ich bin froh, wenn es bei einer Dose pro Einkauf bleibt.

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Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.

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