Deutsch-israelische Kunst-Kooperation: Verbindende Schichten

Hamburgs Kunsthochschule kooperiert mit der Uni Haifa. Das hat zu tun mit Antisemitismus-Vorwürfen. Erstes Ergebnis: eine Druckgrafik-Ausstellung.

Menschen im Gespräch

Vor der Ausstellung: Druckgrafik-Workshop von Birgit Brandis (2. v. l.) und Sharon Poliakine (M.) mit Hamburger Studierenden Foto: Tim Albrecht

Von Trauer und Freude war die Rede am vergangenen Mittwochabend: Da war an der Hamburger Hochschule für bildende Künste (HFBK) eine Ausstellung zu eröffnen, eigentlich nichts Besonderes an so einem Ort. Es sprach aber Sonja Lahnstein-Kandel, unter anderem Ehefrau des einstigen Bundesministers der Finanzen sowie für Wirtschaft, ehemaligen Bertelsmann-Managers und langjährigen Vorsitzenden der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), Manfred Lahnstein; der saß auch im Publikum.

Lahnstein-Kandel, studierte Ökonomin, ist Vorsitzende des Deutschen Fördererkreises der Universität im israelischen Haifa und Mitglied von deren Aufsichtsrat; ferner geschäftsführende Vorsitzende des Vereins zur Förderung des Israel-Museums. Dass so eine Mehrfachfunktionärin der deutsch-israelischen Verständigung nun ausgerechnet an der HFBK auftritt, wäre in der jüngsten Vergangenheit ohne jeden weiteren Kontext eine Nachricht gewesen. Immerhin hatte sich die Hochschule überregional den Ruf einer Antisemitismusschmiede eingehandelt, eines hot beds des Hasses auf Israel.

Nachdem nämlich die jüngste Ausgabe der Kasseler Weltkunstschau Documenta im Antisemitismusskandal versunken war, waren zwei Mitglieder des als höchst problematisch wahrgenommenen Kurator­*innen-Kollektivs Ruangrupa in Hamburg als Gastdozenten präsentiert worden.

Dass solche Arrangements – unter Beteiligung des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes – langen Vorlauf mit sich bringen, der Job also gerade keine Belohnung war für zwei prominente des Judenhasses Verdächtige: Das kam damals unter viele Wahrnehmungs-Räder. In vielen Köpfen war das Urteil rasch gesprochen und Hamburgs Kunsthochschule reihte sich ein in den historisch teils sensationell schlecht informierten BDS-nahen Aktivismus, wie er sich vielerorts gerade an höheren Bildungseinrichtungen zeigt.

Tun hilft aus der Schockstarre

Auch Lahnstein-Kandel erzählte jetzt, sie habe die Kuratoren-Personalie im Herbst 2022 empörend gefunden. Mit dem Direktor so einer Institution hätte sie damals nicht sprechen mögen, warum auch? Wer will, mag Symbolträchtiges daran erkennen: Es war ausgerechnet eine Theaterpremiere, an deren Rand sich Lahnstein-Kandel und HFBK-Präsident Martin Köttering begegneten.

Im Ruangrupa-Zusammenhang hatte Köttering immer die Wichtigkeit offen bleibender Kanäle unterstrichen, einer Möglichkeit, sich trotz aller Differenz doch bitte noch mitein­ander zu verständigen; insofern konsequent, dass er, eben, ein Gesprächsangebot nun an Lahnstein-Kandel herantrug – und sie sich darauf einließ. Und auch wenn sie heute nicht in allem derselben Meinung seien, so Lahnstein-Kandel: Eine Verständigung gelang offenbar.

Das Beste in so einer Lage, führte Lahnstein-Kandel nun aus, sei doch, etwas zu tun – und in bemerkenswert kurzer Zeit kam es zu einer Kooperation von HFBK und der Universität Haifa. Diese ist den Beteiligten zufolge selbst eine Art utopischer Versuch, nämlich eines Zusammenlebens und -arbeitens, das es gar nicht geben dürfte, wenn man den Nachrichten aus der Region glaubt: „Der Campus der Universität Haifa“, so Lahnstein-Kandel, „ist der größte Treffpunkt von Juden, Muslimen und Christen auf der Welt.“

Erst mal kooperiert nun die HFBK mit der dortigen „School of Arts“, es soll aber eine Zusammenarbeit auch der Universitäten in Haifa und Hamburg folgen. Geht es nach Lahnstein-Kandel, ist sogar eine Hamburger Partnerschaft mit einer israelischen Stadt überfällig – warum nicht mit der Hafenstadt im Norden des Landes?

„We only see what looks at us“: bis 8. 5., Hamburg, HFBK/ICAT

„We only see what looks at us“ ist die kleine Ausstellung überschrieben, das erste Zeugnis der frisch geschlossenen Kooperation; Ergebnis eines gemeinsamen Workshops der lehrenden Künstlerinnen Sharon Paliakine aus Haifa und Birgit Brandis aus Hamburg sowie elf HFBK-Studierenden. Zu sehen gibt es Spielarten von Druckgrafik, also eine Kunst, in der Schichten eine zentrale Funktion haben; was doch sehr gut zur nicht reibungslosen Annäherung passe, so HFBK-Präsident Köttering in seinem Redebeitrag am Mittwochabend: Um Schichten, Nuancen, gerade kein Schwarz-Weiß also geht es da.

Und es gibt ganz Erstaunliches, auch Anrührendes zu entdecken: Eine Arbeit Poliakines entstand einen Tag nach dem Angriff der Terrororganisation Hamas – in Reaktion auf den Horror übermalte sie eine Befassung mit Rembrandts „Anatomie des Dr. Tulp“ – aus dem zum Untersuchungsgegenstand gewordenen Ebenbild Gottes, nämlich eines menschlichen Leichnams, wird der verletzte Leib eines ganzen Landes; aus Rembrandts Zwielicht aber auch etwas irritierend Optimistisch-Frühlingshaftes.

„Nur was uns anschaut, sehen wir“: Das Zitat stammt vom Walter-Benjamin-Kumpel Franz Hessel, nach dem heute ein deutsch-französischer Literaturpreis benannt ist. Seit 2010 erhalten ihn jeweils ein*e deutsch- und ein*e fran­zö­sisch­spra­chi­ge*r Autor*in; auch will er die Übersetzung in die jeweils andere Sprache befördern. Der Mann ist also kein ganz schlechter Pate für Verständigung und das Zuschütten von Gräben.

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