Großprozess gegen Reichsbürger: Tag X für die Prinzengarde
Der Prozess gegen ein Reichsbürgernetzwerk hat begonnen. Die mutmaßlichen Terroristen sollen einen gewaltsamen Umsturz geplant haben.
Um 10.20 Uhr beginnt dann der eigentliche Prozess mit eineinhalb Stunden Verspätung. Über 600 Seiten Anklageschrift hat die Bundesanwaltschaft im Ganzen zusammengetragen. Die beiden Bundesanwälte verlesen nur die wesentlichen Vorwürfe. Die neun Angeklagten sind durch Panzerglasscheiben von ihren Verteidigern getrennt, sie können sich nur über eine Sprechanlage miteinander verständigen. Manche winken ins Publikum, andere verstecken ihre Gesichter vor den zahlreichen Fotografen.
Diese neun teils kernigen Männer sollen den militärischen Arm der terroristischen Reichsbürger um Heinrich XIII. Prinz Reuß gebildet haben. Der Führungsriege um Prinz Reuß, die einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant haben soll, wird ab Mitte Mai in Frankfurt der Prozess gemacht, ebenso der ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten und Richterin Birgit Malsack-Winkemann.
Bis dahin kann der Stuttgarter Prozess Erkenntnisse über Struktur und Gefährlichkeit der mutmaßlichen rechtsextremen Umstürzler zutage fördern. Unter den Angeklagten sind ehemalige wie aktive Soldaten, darunter Mitglieder der Eliteeinheit KSK. Andreas M. zum Beispiel, der für den Tag X ausgekundschaftet haben soll. Mit seinem Ausweis als KSK-Mitglied hatte er ungehinderten Zugang.
Vorbereitungen für den Tag X
Da ist ein IT-Fachmann der Gruppe, Wolfram Bernd S., der nach den Vorwürfen der Anklage die Mitglieder mit abgeschirmten Laptops ausgestattet haben soll. Er tritt als Einziger im blauen Sakko vor Gericht auf und wird von einem rechten Szene-Anwalt vertreten. Dann ist da noch Alexander Q., der den Telegram-Kanal „Frag uns doch – das Original“ mit über 130.000 Followern betrieben hat und laut Anklage ab 2022 seine Posts mit der Reichsbürger-Führung abgestimmt haben soll.
Und da ist Marco van H., der laut Anklage den engsten Zugang zur reichsbürgerlichen Führungsgruppe gehabt haben soll. Der ehemalige Elitesoldat aus Pforzheim hat nach Lage der Dinge die Führungsriege um den Prinzen mit den gewünschten Verschwörungsmythen versorgt. Er behauptete, in jenen Tunneln gekämpft zu haben, in denen nach dem Verschwörungswahn der Reichsbürger pädophile Eliten Kinder gefangen halten, um sich mit ihrem Blut jung zu halten. Er dient sich Reuß auch als Verbindungsmann zur „Allianz“ an, jener dunklen Macht aus internationalen Regierungen und Geheimdiensten, die nach Vorstellung der Reichsbürger am Tag X auf ihrer Seite kämpfen würden. Van H. gilt als eine der zentralen Figuren unterhalb der Führungsebene.
Für diesen Tag X sollen die Männer ganz konkrete Vorbereitungen getroffen haben: mit Truppen und Waffenlagern im ganzen Bundesgebiet. An vielen Stellen im Land hatte es bereits Rekrutierungstreffen geben. Veteranennetzwerke auf Telegram bildeten den Pool für die Unterstützer. Am weitesten war offenbar die „Heimatschutzkompanie 221“, die in Freudenstadt und Tübingen ihren Sitz hatte. Ihr Chef war Ralf Helmut S.. Die Truppe sei bereits handlungsfähig gewesen und habe eine ehemalige Kaserne als mögliche Schaltzentrale ausgekundschaftet.
Verschwiegenheitserklärung mit Todesstrafe
Zur gleichen Zeit hatten zwei der Stuttgarter Angeklagten auf Anweisung von Marco van H. eine Verschwiegenheitserklärung entworfen. Eine Art Mitgliedsantrag, anhand derer die Ermittler später feststellen konnten, wer zum aktiven Teil der Gruppe gehörte. Verstöße gegen die Erklärung wurden als Verrat gewertet, der mit der Todesstrafe bestraft werden sollte. Das Urteil sollte Prinz Reuß fällen, ausgeführt werden sollte es von einem „Militärgericht“. 130 Menschen sollen die potenziell tödliche Erklärung unterzeichnet haben.
All das soll Marco van H., als Verantwortlicher für den militärischen Arm, vorangetrieben haben. Ein drahtiger mittelblonder Mann, der am ersten Prozesstag im hellen Shirt auftritt und immer auf der Stuhlkante zu sitzen scheint. In der ersten Publikumsreihe sitzt seine Familie und winkt ihm zu. Marco van H. will sich vor Gericht nicht äußern, erklärt er.
Die Truppe um den Prinzen ist in der Vergangenheit als „Prinzengarde“ oder „Rollatorgruppe“ verharmlost worden. Der Prozess gegen den militärischen Arm, wie es die Anklage nennt, macht klar: Hier wurde nicht gespielt oder Trommelwirbel erzeugt. Es wurden Feindeslisten angefertigt. Mit Politikern bis auf die kommunale Ebene, die am Tag X beseitigt oder zumindest unschädlich gemacht werden sollten.
Talent für scharfe Waffen
Dass es in den Heimatschutztruppen durchaus zu allem entschlossene Männer gab, will die Anklage am Fall von Markus Peter L. klarmachen, der in Stuttgart zuerst verhandelt werden soll. L. ist ein unscheinbarer Mann Ende 40. Mit militärfarbenem T-Shirt sitzt er auf der Anklagebank. Er wurde von zwei seiner Mitangeklagten als Mitglied der Heimatschutztruppe angeworben. Der Sportschütze hatte ein besonderes Talent, Waffenattrappen mit gekauften Komponenten so umzubauen, dass sie scharf wurden. Auch L. hatte die Verschwiegenheitserklärung unterschrieben.
So waren die Ermittler nach der Razzia gegen die Führungsriege um Prinz Reuß auch auf ihn gestoßen. L. besaß die Erlaubnis, bestimmte Waffen zu führen, und hatte eine Sprengstofferlaubnis. Deshalb rückte die Polizei zur Durchsuchung seiner Wohnung im März 2023 mit einem Spezialkommando an und stürmte seine Dachwohnung. L. eröffnete damals das Feuer auf Polizeibeamte, die seine Wohnung durchsuchen wollten. Die Schüsse mit einer halbautomatischen Waffe verletzten zwei Beamte. In der Wohnung stellten die Beamten ein Waffenarsenal aus umgebauten Sturmgewehren, Pumpguns, Smith-and-Wesson-Revolvern und mehreren Kilogramm Sprengstoff sicher.
Hier in Stammheim hat man jahrzehntelange Erfahrung mit Terrorismus. 1977 wurde gleich nebenan in einem inzwischen abgerissenen Gerichtsaal die erste Generation der Rote Armee Fraktion, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe, verurteilt. Dass Staatsfeinde heute verstärkt von rechts kommen, weiß die Justiz aus eigener Erfahrung. Im vergangenen Jahr wurden an gleicher Stelle zehn Mitglieder der sogenannten Gruppe S. zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt. Sie hatten ähnlich wie die Gruppe Reuß Angriffe auf Moscheen und Politiker geplant.
Es drohen harte Urteile
Auch der Reichsbürger vom Boxberg, Ingo K., der auf Polizeibeamte bei einer Durchsuchung das Feuer eröffnet hatte, ist hier wegen versuchten Mordes zu einer Haftstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Harte Urteile, die auch den Angeklagten im jetzigen Prozess drohen, denn immerhin sind die Beweise für konkrete Umsturzpläne bis hin zu Kundschafter-Expeditionen in den Bundestag aktenkundig.
Dass ihren Mandanten hohe Haftstrafen drohen, das ist den 21 Verteidigern natürlich klar. Und so stellen sie gleich zu Prozessbeginn Anträge, die die Besetzung und Zuständigkeit der Stuttgarter Staatsschutzkammer rügen sollen. Sie verlangen, die drei Prozesse in Frankfurt, München und Stuttgart, die an verschiedenen Orten die gleichen Vergehen verhandeln, zusammenzulegen. Dass die Anwälte, die ja pro Sitzungstag bezahlt werden, an einer Verlängerung des Verfahrens ein Interesse haben könnten, könne er verstehen, entgegnet Bundesanwalt Klein süffisant.
Für die Angeklagten, die alle in Untersuchungshaft sitzen, seien kürzere parallele Verfahren die bessere Wahl. Der vorsitzende Richter Joachim Holzhausen arbeitet die Anträge geschäftsmäßig ab und lässt keinen Zweifel, dass er den Prozess zügig führen will.
Immerhin. Zwei Angeklagte geben am ersten Prozesstag zu erkennen, dass sie sich im Lauf des Verfahrens zu den Vorwürfen äußern wollen. Einer davon ist der Chef der Heimatschutztruppe Freudenstadt. Und Wolfram Bernd S., der IT-Experte. Das könnte wertvolle erste Erkenntnisse vor dem Prozessauftakt in Frankfurt liefern. Aber allein in Stuttgart wird man noch lange verhandeln. Das Gericht hat bereits über 40 Termine bis weit ins nächste Jahr bekannt gegeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Neue EU-Kommission
Es ist ein Skandal
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden