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Debatte über Abtreibung in USAEin Gesetz von 1873

Vieles deutet darauf hin, dass Republikaner im Fall eines Wahlsieges von Trump planen, Abtreibung landesweit zu verbieten – mit einem alten Gesetz.

Das Thema Abtreibung wird mitentscheidend bei der US-Wahl im November Foto: Sarah A. Miller

Ihre Anti-Abtreibungs-Politik macht der Republikanischen Partei mit Blick auf die Präsidentschaftswahl im November Kopfzerbrechen – denn die von ihr befürworteten drakonischen Abtreibungsverbote, die in republikanisch geführten Bundesstaaten bereits gelten, finden keine Unterstützung bei der Mehrheit der Bevölkerung, nicht mal in konservativen Staaten.

Am mehrheitlich rechtskonservativen Obersten Gerichtshof der USA wird darüber verhandelt, ob Schwangere in medizinischen Notfällen im republikanisch regierten Idaho eine rettende Abtreibung erhalten dürfen, wenn Organschäden auftreten – oder ob Ärzte abwarten müssen, bis die Schwangere kurz davor ist zu sterben. Berichte über Frauen, die von Krankenhäusern weggeschickt wurden und drohten allein zu verbluten, weil Ärzte Angst vor strafrechtlicher Verfolgung haben, gefährden den Wahlkampf der Republikaner. Die Debatte um Abtreibungsrechte wird einer der entscheidenden Faktoren der Wahl sein.

Prominente Republikaner hoffen nun darauf, dass weichgespülte Pressestatements den Zorn der Öffentlichkeit besänftigen. Mark Ronchetti, der republikanische Herausforderer von Michelle Lujan Grisham, der demokratischen Gouverneurin von New Mexico, sagte in einem Werbespot: „Ich bin persönlich pro-life, aber ich glaube, wir können zusammen einen Weg finden, der unsere gemeinsamen Werte reflektiert. Wir können Abtreibungen kurz vor der Geburt beenden, während wir Zugang zu Verhütung und Gesundheitsversorgung bewahren.“

Eine weitere Strategie der Republikaner ist seit dem Midterms-Wahlkampf 2022, Demokraten als „extrem“ in Sachen Abtreibung darzustellen. Doch solche Beschwichtigungen klingen hohl angesichts des desaströsen Zustands der Gesundheitsversorgung für Schwangere und Frauen in republikanisch regierten Bundesstaaten mit ­dra­konischen Abtreibungsverboten und der offiziellen ­Positionen der Republikaner. Gleichzeitig dürfen sie die religiöse Rechte nicht zu sehr verärgern, weil sie auf ihre Unterstützung angewiesen sind. Am liebsten würden die Republikaner gar nicht über Abtreibungen sprechen – doch sie werden ­permanent damit konfrontiert.

Führende Republikaner wollen Comstock Act anwenden

Donald Trump veröffentlichte am 8. April ein Video­statement, in dem er nicht, wie angekündigt, seine Position zu Abtreibungen offenlegte, sondern lediglich die aktuelle Situation beschrieb: dass die Frage von Bundesstaaten geregelt werde. Trump behauptete – wenig glaubwürdig – im Anschluss, dass er als Präsident kein natio­nales Abtreibungsverbot unterschreiben werde. Doch ein neues Gesetz braucht er nicht: Denn Trumps Verbündete wie die reaktionäre Heritage Foundation planen, ein Anti-Obszönitäten-Gesetz („Comstock Act“) von 1873 wieder anzuwenden, das seit mehr als fünfzig Jahren nicht mehr durchgesetzt wurde. Dazu wäre keine Zustimmung des Kongresses nötig.

Als „Comstock Act“ werden eine ganze Reihe von Gesetzen bezeichnet, die nach Anthony Comstock, einem religiösen Fanatiker, benannt sind. Der „Comstock Act“ verbietet den Versand „obszöner“ Materia­lien per Post. Was dabei als „obszön“ gelte, liege im Ermessen der Person, die das Gesetz interpretiere, sagt Andrew Seidel, Verfassungsrechtler und Sprecher für Americans United For the Separation of Church and State, der taz. „Es bezog sich im Grunde auf alles, was mit Sex zu tun hatte, und oft auch auf Dinge, die als 'gotteslästerlich’ galten.“ Das Gesetz wurde verabschiedet, als Frauen noch kein Wahlrecht hatten.

Führende Stimmen der amerikanischen Rechten wollen den Comstock jetzt anwenden, um den Versand von Abtreibungs­pillen zu verbieten. Einer von ihnen ist Jonathan Mitchell, bis 2015 Republikaner-Generalanwalt von Texas, seitdem eine führende Stimme des juristischen Flügels der amerikanischen Rechten und Autor des drakonischen Abtreibungsverbots aus Texas von 2021, das auf Helfer ein Kopfgeld von 10.000 Dollar ausgesetzt hat. Er erklärte laut der New York Times: „Wir brauchen kein landesweites Verbot, wenn wir Comstock haben.“

Der von Trump ernannte texanische Bundesrichter Matthew Kacsmaryk hat sich bereits für das Verbot des Versands von Abtreibungsmedikamenten via Comstock ausgesprochen. Andere Richter widersprechen dieser Rechtsauslegung in Teilen – aber das könnte keine Rolle spielen, denn alle Wege führen zum Obersten Gerichtshof der USA. Dort hatten vor Kurzem 119 republikanische Abgeordnete und 26 Senatoren in einer schriftlichen Eingabe gefordert, Comstock anzuwenden, um den Versand des Abtreibunsgmedikaments Mifepristone zu verbieten. Diesen Fall verloren die Abtreibungsgegner zwar, aber zwei Richter am Obersten Gerichtshof der USA, Clarence Thomas und Samuel Alito, signalisierten in der Verhandlung, dass sie offen für eine Wiederbelebung von Comstock seien.

Bizarre Zurückhaltung von Biden

Juristen befürchten ­jedoch, dass das Comstock-Gesetz noch breiter ausgelegt werden könnte – und nicht nur den Versand von Abtreibungsmedikamenten, sondern auch von medizinischem Gerät, das bei chirurgischen Abtreibungen verwendet wird, verbieten könnte. Neben den zitierten ­Indizien halten sich die Organisationen der US-Rechten auf Medienanfragen zu Comstock bedeckt – wohl wissend, wie unbeliebt ihre Pläne sind. Eine Strategie, die aufgehen könnte, sollten Demokraten die Comstock-Pläne im Wahlkampf nicht prominent attackieren.

Frühere Grundsatzurteile des Obersten Gerichtshofs wie die Fälle Griswold v. Connecticut (1965) und Roe v. Wade (1973) hatten die Anwendung von Comstock auf Verhütungsmittel und Abtreibungsmedikamete bisher unterbunden, erklärt Verfassungsrechtler Seidel. Doch Roe ist dank der rechtsreaktionären Mehrheit am Obersten Gerichtshof seit dem Sommer 2022 kein geltendes Recht mehr – und wie Thomas in seinem Urteilsabschnitt argumentierte, muss mit dem Ende Roes auch das Urteil in Griswold in Frage gestellt werden, da beide sich auf das Recht auf Privatsphäre stützen.

Verfassungsrechtler Seidel macht sich Sorgen, wie der Oberste Gerichtshof in Sachen Comstock entscheiden würde: „Es ist leicht vorstellbar, dass einige Richter sich Thomas und Alito anschließen – nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass diese Gesetze nie aufgehoben wurden.“ Er ist sich sicher: „Weil es so viel Verwirrung und Unsicherheit gibt, wird ein immenser Teil der Entscheidung bei Leuten liegen, die bereits in Machtpositionen sind. Wir wissen, dass christliche Nationalisten ihre Macht missbrauchen werden, um ihre persönlichen religiösen Überzeugungen allen anderen aufzuzwingen, so wie es einst Anthony Comstock getan hat. Sie werden dieses Gesetz nutzen, wenn sie können.“

In einem am 30. April veröffentlichten Interview mit dem Time Magazine weigerte sich Trump, zuzusichern, dass er den Postversand von Abtreibungsmedikamenten nicht verbieten werde – kurz, dass er Comstock nicht durchsetzen werde

Nachdem die öffentliche Empörung über Abtreibung die politische Debatte neben dem Krieg in Gaza dominiert hatte, berichten US-Medien in den letzten Wochen jetzt vermehrt über die Pläne, das Gesetz aus dem 19. Jahrhundert zum Leben zu erwecken, um Abtreibung landesweit zu verbieten. In Arizona hatten Republikaner zuvor im Landesparlament zwei Versuche von Demokraten blockiert, das Abtreibungsgesetz aus dem 19. Jahrhundert zu kippen – am 1. Mai gelang es dann doch, weil zwei republikanische Senatoren mit ihrer Fraktion brachen und mit den Demokraten abstimmten. Die Rufe danach, dass Demokraten die Republikaner geschlossen mit ihren Plänen konfrontieren sollten, werden lauter.

Besonders bizarr erscheint angesichts dessen, dass die Demokraten bisher nicht geschlossen mit der Gefahr des Comstock Act Wahlkampf machen. Bidens Team scheint derzeit darauf zu setzen, dass es so weit schon nicht kommen wird. Ein hoher Wetteinsatz, den Schwangere im ganzen Land, sollte Trump die Wahl gewinnen, mit ihrem ­Leben bezahlen könnten.

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1 Kommentar

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  • "...Abtreibung landesweit zu verbieten – mit einem alten Gesetz"



    Das Alter des Gesetzes ist nicht das Problem. Das Problem ist die Unbestimmtheit des Tatbestands, der der Willkür Tür und Tor offenlässt.



    "...alles, was mit Sex zu tun hatte, und oft auch auf Dinge, die als 'gotteslästerlich’ galten..."



    Das kann nun wirklich alles sein, wenn man will.