Influencerin über den Literaturmarkt: „Nein, ich lese Rezensionen“

Sie kauft mehr Bücher, als sie lesen kann – von Berufswegen. Marie Völkening ist Literaturagentin in Hamburg und bloggt auf Instagram über Bücher.

Portrait von Marie Völkening

„Ich lese Rezensionen“, sagt Marie Völkening, „da bin ich ganz klassisch unterwegs“ Foto: Michael Kohls

wochentaz: Frau Völkening, als Literaturagentin kennen Sie sich aus. Was braucht ein Roman, um sich gut zu verkaufen?

Marie Völkening: Es ist hilfreich, wenn das Buch einen Nerv trifft. Mit einem Thema, das gerade gesellschaftlich relevant ist, diskutiert wird oder einen Trend bedient. Manchmal ist es auch einfach nur Glück. Es gibt so viele gute Bücher, die nur eine kleine LeserInnenschaft erreichen. Warum werden dann ganz andere Kassenschlager? Entscheidend ist auch, wie wichtig ein Buch für den Verlag ist. Die Marketingbudgets sind sehr unterschiedlich; AutorInnen mit großen Namen bekommen oft unglaublich viel. Da würde ich mir eine gleichmäßigere Verteilung wünschen. Dazu kommt noch der Einfluss von Social Media. Es gibt große Erfolge von Büchern, die mit Tiktok beworben werden, das wirkt manchmal willkürlich.

geboren 1996 in Bückeburg (Niedersachsen), hat Literaturwissenschaft in Hamburg, Neapel und Bologna studiert. Seit 2021 Literaturagentin bei Langenbuch & Weiß in Hamburg, bloggt als @bibliomarie_ auf Instagram über ihre gelesenen Bücher. Ihre Lieblingsbücher sind: „Frau im Dunkeln“ von Elena Ferrante, „Das achte Leben“ von Nino Haratischwili, „Die Bäume“ von Percival Everett, Die Kopenhagen-Trilogie von Tove Ditlevsen und „Heimkehren“ von Yaa Gyasi. (taz)

Über die Social-Media-Plattform Tiktok sprechen wir noch. Aber wie merkt man, ob ein Buch etwas taugt?

Ich habe erst ein paar Jahre Erfahrung als Agentin, aber ich bin doch überrascht, wie schnell man es merkt. Wer viel und gerne liest, hat schnell ein Bauchgefühl. Andere Entscheidungen sind dann: Das ist eine schöne Geschichte, aber wird das gerade gesucht? Gibt es dafür einen Markt? Gut ist auch, wenn der Text durch irgendetwas aus der Masse heraussticht.

Was ist Ihr Job als Literaturagentin?

Wir vertreten die Interessen von AutorInnen. Wir versuchen, für sie den passenden Verlag zu finden. Dabei fungieren wir wie ein Filter für die Verlage, indem wir die Flut an Manuskripten sichten und eine Vorauswahl treffen. Wir machen dann meistens schon ein erstes Lektorat, es hilft, wenn schon ein bisschen an den Texten gearbeitet wurde. Wenn ein Verlag gefunden ist, verhandeln wir die Verträge. Wir unterstützen und beraten, werden manchmal auch einbezogen in Fragen der Covergestaltung. So begleiten wir das Buch und die Autorin bis zur Veröffentlichung und darüber hinaus.

Die Covergestaltung ist in letzter Zeit wichtiger geworden. Kaufen Fans bestimmter Reihen vielleicht Bücher nur, um sie sich ins Regal zu stellen?

Es gibt wirklich viele Sonder- und Schmuckausgaben. Das hat sicher mit Sammeln zu tun. Ich würde mich da gar nicht ausschließen, auch ich kaufe wohl mehr Bücher, als ich wirklich lesen kann.

Sie vertreten viele Romane, die eine jüngere Zielgruppen haben. Wenn ich hier in Ihrem Büro ins Regal schaue, fällt auf: fast alle Publikationen haben einen Farbschnitt, das heißt, die äußeren Kanten der Buchseiten sind eingefärbt. Ist das nicht bloß ein Gimmick?

Dieser Aufwand wird heutzutage fast erwartet. Früher war das bloß ein schönes Extra. Heute ist es im „New Adult“-Bereich fast die Regel.

Das Genre New Adult“ steht für Literatur für Heranwachsende. Auch „Romantasy“, also die Verquickung von „Romance“ und „Fantasy“, ist kommerziell sehr erfolgreich. Haben Sie bei sich zu Hause Rebecca Yarros neben Kafka im Bücherregal stehen?

Noch nicht, aber ich habe den Platz schon freigehalten.

Sie empörten sich kürzlich, die „Literaturbubble“ solle „von ihrem hohen Ross heruntersteigen“ und den Wert von Unterhaltungsliteratur, wie sie die Millionen-Sellerin Rebecca Yarros schreibt, erkennen. Es sei völlig okay, sich beim Lesen einfach bloß unterhalten zu lassen.

Das ist ein Phänomen, das mir innerhalb der Branche, aber auch privat auffällt: Auf manche Genres wird herabgesehen. Den Leuten ist es unangenehm, wenn sie nicht nur Bücher lesen, die Literaturpreise gewinnen. Als ob man sich entscheiden müsste! Ich lese immer das, wonach mir ist, und bin da überhaupt nicht festgelegt. Man darf auch mal Spaß bei der Lektüre einer schönen Liebesgeschichte haben.

Sie bekamen viele Likes dafür, als Sie posteten, dass niemand auf Social Media über leichte Literatur schreibe, ohne zu betonen, dass er so etwas normalerweise natürlich nicht lese.

Mich irritiert diese Verteidigungshaltung, genau wie die Überraschung einiger LeserInnen darüber, dass sie Fantasy mögen. Wenn etwas so gut ankommt und sich so gut verkauft, dann muss es doch etwas haben! Ich lese ja nicht nur, um mich weiterzubilden. Ich bin vielleicht gerade müde oder möchte der Realität entfliehen und mich in eine andere Welt stürzen. Ich kann mich in das Buch fallen lassen.

Haben die Leute in schweren Zeiten ein noch stärkeres Bedürfnis nach Leichtigkeit?

Ich arbeite auch in einer Buchhandlung, und da höre ich von vielen, die nach einer Empfehlung fragen, dass sie „mal wieder was Schönes“ lesen wollen. „Bitte nicht zu schwer!“ Genau da steigen die Liebesgeschichten ein. Wobei auch in diesen Romanen heftige Themen behandelt werden. Sonst würde es schnell langweilig werden. Oft muss erst etwas aufgearbeitet werden, bevor eine Liebe funktionieren kann.

Was sind das für Dinge, die da aufgearbeitet werden?

All das, was einem beim Erwachsenwerden so begleitet. Da ist viel Identifikationspotenzial für die LeserInnen. Es geht um die Entwicklung einer eigenen Identität, der Suche nach einem Platz in der Welt. Mental Health, queere Figuren und solche mit Rassismuserfahrungen – auch der Romance-Bereich wird zum Glück ständig diverser.

Wird über queere Figuren geschrieben, weil es im Trend ist?

Das ist kein Trend, das sind Lebensrealitäten, die es lange nicht zu lesen gab. Als Trend würde ich andere Dinge bezeichnen, bei denen ich dann einfach raus bin: „Dark Romance“ etwa. Da geht es um toxische Beziehungen, bei denen meist ein Mann die Protagonistin schlecht behandelt und eindeutig Grenzen überschreitet. Oft ist das Ende der Geschichte aber: sie kommen zusammen und sind glücklich miteinander. Das möchten wir ungern an junge LeserInnen weitergeben.

Genres wie Dark Romance und Romantasy sind oft bei „Booktok“ erfolgreich. Der Begriff steht für Gruppen in der App Tiktok, die kurze Videos über Bücher produzieren. Können Sie mir deren Erfolg erklären?

Ich mache keinen Booktok, ich bin nur auf Instagram aktiv. Aber klar: Das ist das neue große Ding. Man sieht es überall. In den Buchhandlungen gibt es Booktok-Tische, und es gibt sogar Booktok-Bestsellerlisten. Ähnliches gab es schon früher auf Youtube: Leute, die gerne über Bücher gesprochen und gebloggt haben. Und jetzt ist eben Tiktok als zusätzliche Plattform noch dazugekommen, die sehr gut funktioniert.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Kaufen Sie sich ein Buch aufgrund eines 15-sekündigen Empfehlungsvideos in sogenannten Bookstagram-Konten auf Instagram?

Nein, ich lese Rezensionen. Da bin ich ganz klassisch unterwegs. Mir reicht es nicht, wenn ein Buch in die Kamera gehalten wird. So kann vielleicht meine Neugier geweckt werden, aber es reicht noch nicht, um mich davon zu überzeugen, dass ich das jetzt lesen muss. Da brauche ich dann schon eine persönliche Meinung oder eine Empfehlung.

Social Media hat ganz neue Gruppen von LeserInnen aufgetan, gerade in der New-Adult-Sparte. Menschen, die vorher gar nicht gelesen haben, lesen auf einmal Dutzende von Büchern im Jahr – zumindest behaupten sie es online. Wie sehen Sie das?

Plattformen wie Booktok oder Bookstagram vereinfachen und befeuern vieles. Es wird immer direkt die nächste Empfehlung in den Feed gespült – das erleichtert die Auswahl. Die, die viel Social Media konsumieren, sind nicht unbedingt diejenigen, die sich in der Buchhandlung beraten lassen. Und dann ist da noch die Nahbarkeit: Bei den Buchmessen beobachte ich, dass junge New-Adult-AutorInnen heute ganze Messehallen füllen. Das sind AutorInnen, die oft aus ihrer eigenen Zielgruppe stammen. Die haben ein Buch geschrieben und sind mit Social Media und Veranstaltungen sehr nah bei ihren Fans. Da werden Bücher signiert, man kann ein Foto machen. Das war früher oft nicht möglich. Jetzt treffe ich ganz unkompliziert die Person hinter meinem Lieblingsbuch.

Sie selbst sind als Influencerin nicht ganz so einflussreich, betreiben aber immerhin einen reinen Buch-Account mit 2.000 FollowerInnen auf Instagram. Warum machen Sie das, mit sorgfältig arrangierten Fotos und längeren Texten?

Ich mag es, so mein eigenes Lesen zu dokumentieren und zu wissen, wann ich was gelesen habe. Ich mache keine allgemeingültigen Aussagen zu dem Buch, es geht nur um meine persönlichen Eindrücke. Ich freue mich, wenn Leute mir schreiben, dass sie ein Buch auf meine Empfehlung hin gekauft haben. Meine Mutter hat sich eigens Instagram installiert, nur um meinem Account zu folgen. Immer wenn wir telefonieren, tauschen wir uns darüber aus.

Sie benutzen auch selbst Hashtags bei Instagram. Was wollen Sie damit erreichen?

Bei Hashtags geht es um Sichtbarkeit der Beiträge und um Vernetzung. Ein Hashtag, den man unter meinen Posts häufig findet, lautet #frauenlesen. Der wurde ins Leben gerufen, um LeserInnen dazu zu animieren, ihre Bücherregale hinsichtlich der Verteilung von männlichen und weiblichen AutorInnen zu begutachten – und Literatur von Frauen bewusst zu pushen. Inzwischen lese ich fast ausschließlich Bücher von Frauen.

Sie ignorieren die männliche Gegenwartsliteratur?

Nein, ich lese das schon. Ich sage auch nicht, dass Frauen besser schreiben, ich frage mich nur, wem ich zuhören möchte. Ich suche mir diese Geschichten aus, ganz ohne aktiv auf das Geschlecht zu achten. Weil sie mich besonders interessieren oder selbst betreffen. Aber auch, weil ich in meinem bisherigen Leben gefühlt schon genug Männern Aufmerksamkeit geschenkt habe. In meiner Ausbildung, aber auch privat. In der Buchhandlung hab ich die Erfahrung gemacht, dass es schwierig war, Männern Bücher von Frauen zu empfehlen. Umgekehrt war nie ein Problem! Im allgemeinen Literaturkanon und in aktuellen Verlagsprogrammen sind die Frauen schnell gezählt. Ihr Schrei­ben wird gern als Frauenliteratur abgetan, dem möchte ich mit meinem Lesen und Bloggen entgegenwirken.

Sie haben Germanistik und Romanistik studiert. Woher kommt Ihr Interesse an Sprachen?

Die Leidenschaft für Fremdsprachen hat eigentlich mein Erasmus-Aufenthalt erst so richtig entfacht. Ich habe in Neapel studiert, auf den ersten Blick das absolute Italienklischee: Pizza, Pasta, Lebensfreude. Aber eben auch: viel Dreck, viel Lärm, Mafia und hohe Arbeitslosigkeit. Von der schicken Einkaufsstraße gehen die Gassen eines eher ärmeren Viertels ab, und man steht praktisch direkt bei den Leuten in den Wohnzimmern. Es ist damals kaum ein Tag vergangen, ohne dass eine Prozession unter meinem Balkon vorbeizog. Eine einzigartige Stadt.

Während Ihres Studiums der Germanistik und Romanistik haben Sie als Buchhändlerin gearbeitet. Warum machen Sie diesen Job noch immer, zusätzlich zu der Arbeit in der Agentur?

Ich arbeite nur noch an manchen Samstagen in der Buchhandlung. Ich finde es nach wie vor schön, auch außerhalb von Instagram Bücher zu empfehlen und meine Begeisterung zu teilen. Es ist zudem eine gute Ergänzung zum Agentinnen-Beruf. Man guckt dann von zwei Seiten auf die Branche.

Haben Sie nicht das Gefühl, am Wochenende vier Bücher lesen zu müssen, um am Montag mitreden zu können?

Doch, schon. Als Agentinnen müssen wir uns in verschiedenen Genres auskennen. Ich muss wissen, welche Bücher gerade funktionieren. Da vermischt sich das berufliche und private Lesen schon mal, das geht gar nicht anders. Die Bestseller muss ich eigentlich gelesen haben. Aber alles lesen und überall mitreden, das ist natürlich gar nicht zu schaffen.

Haben Sie einen Lieblingsleseplatz?

Ich hätte gerne ein Bücherzimmer mit Regal, einer Leiter und Lesesessel. Vielleicht irgendwann mal in der Zukunft. Aber das ist ja auch das Schöne am Lesen: Man kann es überall machen. Man ist in der Geschichte und nimmt das Drumherum nicht mehr so wahr.

Für den sich zu Hause ansammelnden Stapel ungelesener Bücher gibt es im Japanischen ein eigenes Wort. Wie groß ist Ihr Tsundoku?

Ich würde schätzen: so um die 50 Bücher. Ich habe verschiedene Bücherstapel in der Wohnung verteilt. Ich gucke am Anfang des Monats, auf welche Bücher ich eventuell in den nächsten Wochen Lust haben könnte, und dann lege mir die schon einmal zur Seite. Aber ich halte mich nur selten daran.

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