Ukraine in der deutschen Forschung: „Wir wollen konkrete Hilfe“
Ukrainische Studierende kämpfen gegen das schwindende Interesse am Angriffskrieg. Deutsche Unis widmen dem Land nur langsam mehr Aufmerksamkeit.
Ihre Geschichten sowie die weiterer 37 getöteter Studierender erzählt die von ukrainischen Studierenden initiierte Wanderausstellung „Unissued Diplomas“. Auf DIN A3 großen Kacheln im Stil von Diplom-Dokumenten würdigt die Ausstellung das Leben der 40 jungen Menschen, beschreibt sie in kurzen Porträts mit Foto. Mit diesen „nicht ausgestellten Diplomen“ reist die Ausstellung um die Welt, an über 250 Standorten wurde sie bisher schon gezeigt. Aktuell sind 20 dieser Porträts an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) zu sehen.
Dass die „Unissued Diplomas“ ihren Weg an die Viadrina gefunden haben, ist kein Zufall. Mehr als 150 Ukrainier:innen studieren hier, die Uni zählt Partnerschaften mit sieben ukrainischen Hochschulen und gilt als Leuchtturm der Ukraine-Forschung in Deutschland. So hat die Viadrina seit 2018 den deutschlandweit einzigartigen Lehrstuhl für „Entangled History of Ukraine“ eingerichtet und im vergangenen Jahr ein dazugehöriges Forschungszentrum gegründet.
Und aktuell kann sich die Viadrina über eine DAAD-Förderung in Höhe von 2,5 Millionen Euro bis 2028 freuen – als eine von nur zwei Universitäten bundesweit. Mit den Mitteln des Deutschen Akademischen Austauschdienstes sollen sie ihre Ukraine-Kompetenz weiter ausbauen.
Ukrainische Sprachkurse nur an 12 Unis
In der Ukraine-Forschung tut sich im deutschsprachigen Raum erst langsam etwas. Zwar gibt es an einzelnen Unis wie Münster, Greifswald oder Gießen spezielle Lehr- und Forschungsangebote, allerdings meistens in Form von außeruniversitären Forschungsprojekten oder Sommerschulen. Nur zwölf Hochschulen in Deutschland bieten überhaupt ukrainische Sprachkurse an. Ukrainische Themen werden, wenn überhaupt, im Rahmen der Slawistik oder Osteuropastudien abgehandelt.
Jan Claas Behrends, der an der Viadrina einen Lehrstuhl für osteuropäische Geschichte innehat, erkennt in der fehlenden Einbeziehung ukrainischer Themen einen Missstand: In Deutschland seien Forschung und Lehre lange russlandzentriert gewesen. Die einzelnen Länder der ehemaligen Sowjetunion wie die Ukraine oder Belarus, aber auch die Länder im Kaukasus, Zentralasien und dem Baltikum wurden und werden selten spezifisch betrachtet. Außerdem seien nach dem Kalten Krieg die Osteuropastudien im Ganzen stark abgebaut worden.
Und wenn die Expertise in der Wissenschaft fehlt, ist sie in Gesellschaft, Politik und Medien oft erst recht nicht zu finden. Jan Claas Behrends erinnert sich beispielsweise zurück an 2020, als es in Belarus zu heftigen Protesten gegen Präsident Lukaschenko kam und aufgefallen sei, dass es in Deutschland so gut wie keine Kompetenz zu Belarus gegeben habe: „Da wusste in den Medien niemand, wen man dazu anrufen könnte.“
Osteuropa-Kompetenz in der Wissenschaft ist gerade in Konflikt- und Kriegssituationen essenziell. Sie muss aber auch in der Politik gehört werden. Jan Claas Behrends kritisierte jüngst zusammen mit anderen namhaften Historikern wie Heinrich August Winkler in einem Brandbrief den Ukraine-Kurs der SPD, insbesondere den Fraktionschef Rolf Mützenich, der zuletzt im Bundestag von einem „Einfrieren“ des Ukrainekriegs sprach. Zahlreiche Historiker hatten schon Jahre vor dem russischen Angriff auf die Ukraine vor ebenjenem gewarnt – und stießen bei Politiker:innen auf taube Ohren.
Unter Studierenden beobachtet Behrends, dass das Interesse an ukrainischen Themen zwar seit dem Februar 2022 wieder abnehme – es aber weiterhin eine, wenn auch eher kleine Kerngruppe an interessierten Studierenden gebe. Das kann auch Andrii Portnov bestätigen, der den Lehrstuhl für „Entangled History of the Ukraine“ an der Viadrina innehat. In diesem Sommersemester bietet Portnov ein Seminar zum Thema Genozid in Osteuropa an, seine wissenschaftliche Mitarbeiterin Bozhena Kozakevych ein Seminar über die Ukraine in der Zwischenkriegszeit.
Forscher erwartet wachsendes Interesse
Portnov, der selbst aus Dnipro kommt, ist sich sicher, dass die Ukraine in den nächsten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit bekommen wird. Schon jetzt könne man erkennen, dass es beispielsweise viel mehr Anerkennung für die Transkription ukrainischer Namen und Wörter gebe. „Das ist aber leider vor allem durch den Krieg passiert und war mehr ein politisches als ein akademisches Bestreben.“ Portnov beobachtet auch, dass es immer mehr Bücher und Dissertationen über die Ukraine gibt. Aber erst seit 2022 gebe es mehr Verständnis dafür, dass die Ukraine ein „selbstständiges Subjekt mit eigenen Interessen“ sei.
Ein Problem für den Ausbau der Ukraine-Kompetenz in Deutschland liegt nicht zuletzt in der Rekrutierung von ausreichend qualifizierten Lehrenden. Andrii Portnov sieht vor allem in der fehlenden Sprachkompetenz ein großes Problem, denn ohne die sei die Ukraine-Forschung nicht sehr seriös. Die Viadrina habe besonders in dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle inne, „denn wir sind bisher das einzige Institut, was Unicert-Zertifikate für Ukrainisch ausstellt“.
Ihre Expertise kann die Viadrina nun mit den 2,5 Millionen Euro des DAAD weiter ausbauen. Eduard Mühle, seit einem Jahr Präsident der Viadrina und selbst Osteuropa-Historiker, gibt einen Ausblick auf die geplanten Projekte: Gerade würden Gastdozenturen und ein konkretes Forschungspogramm vorbereitet. Der Ukraine-Schwerpunkt an der Viadrina soll aber auch nach Ende der Förderdauer hinaus erhalten bleiben.
Für ukrainische Austauschstudierende dürfte das aber ein schwacher Trost sein. Die 19-jährige Olha Krahel etwa, die die Ausstellung „Unissued Diplomas“ an die Viadrina gebracht hat, erkennt ein sinkendes Interesse für das Leid in der Ukraine. „Wir wollen kein Mitleid, wir wollen Aufmerksamkeit und konkrete Hilfe.“
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