: Hamas wie auf Staatsbesuch
Die Führung der islamistischen Hamas besucht den türkischen Präsidenten Erdoğan. Einzelheiten werden nicht bekannt. Es wird spekuliert, sie könnte ihren internationalen Hauptsitz von Katar in die Türkei verlegen
Aus Istanbul Jürgen Gottschlich
Es war wie ein Staatsempfang. Im ehemaligen Sultanspalast Dolmabahce am Bosporus empfing der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Samstagnachmittag die politische Führung der Hamas. Neben dem Politbürochef Ismael Hanijeh soll unbestätigten Berichten zufolge auch die graue Eminenz der Hamas, Chaled Meschal, bei dem Treffen anwesend gewesen sein.
Trotz des symbolträchtigen Ortes wollte Erdoğan das Treffen eher wie eine Privataudienz aussehen lassen. Es gab nur ein kurzes Auftaktfoto, danach verschwanden alle Beteiligten hinter den Mauern des Palastes. Statt einer Pressekonferenz veröffentlichte die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi lediglich am frühen Abend eine schriftliche Erklärung. Darin hieß es, Erdoğan fordere einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza und umfassende humanitäre Hilfe für die Palästinenser. Die Hamas-Führung soll er aufgefordert haben, die Einheit der Palästinenser zu suchen, also sich endlich mit der PLO von Mahmud Abbas zu verständigen. Dasselbe hatte Erdoğan schon vor einigen Wochen auch von Abbas gefordert.
Trotz des dürren Kommuniqués am Ende müssen Erdoğan und seine Leute mit der Hamas-Führung doch eine Menge zu besprechen gehabt haben, denn das Treffen, an dem auch der türkische Außenminister Hakan Fidan und der Chef des Geheimdienstes MIT, Ibrahim Kalin, teilnahmen, dauerte fast drei Stunden. Eine der wesentlichen Fragen könnte gewesen sein, ob die Hamas-Führung von Katar in die Türkei umzieht. Die Führung von Katar hatte verlauten lassen, sie fühle sich von Teilnehmern der Verhandlungen um eine diplomatische Lösung im Gaza-Krieg benutzt und denke darüber nach, ihre Vermittlerrolle zu beenden. Immer wieder waren in den letzten Wochen scheinbare Einigungen schnell wieder umgestoßen worden.
Falls Katar als Vermittler tatsächlich aussteigt, könnte damit auch das Ende der Beherbergung der Hamas-Führung verbunden sein. Bislang gab es das Gerücht, die Hamas wolle nach Oman umziehen. Der Empfang nun in Istanbul zeigt, dass die Hamas auch in die Türkei kommen könnte – Hanijeh war in der Vergangenheit sowieso häufig in Istanbul – und Erdoğan versuchen könnte, die Vermittlerrolle zu übernehmen.
Erdoğan träumt schon länger davon, im Nahostkonflikt eine wichtige Rolle zu übernehmen, allerdings ist er für Israel als Vermittler wohl unannehmbar. Zu deutlich hat der türkische Präsident sich an der Seite der Hamas positioniert, allzu heftig sind die öffentlichen gegenseitigen Beschimpfungen mit dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu. Viele Islamisten und Hamas-Anhänger in der Türkei werfen Erdoğan allerdings vor, trotz seiner angeblich großen Solidarität mit den Palästinensern den Handel mit Israel immer weitergeführt zu haben. Erst vor Kurzem hat Erdoğan deshalb den Handel mit Israel „bis zum Ende des Krieges“ einschränken lassen.
Am Sonntagnachmittag wurde inoffiziell noch bekannt, dass Erdoğan, wohl im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg, ein zuvor lange angestrebtes Treffen mit US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus am 4. Mai abgesagt hat. Es wird spekuliert, dass die Absage mit der massiven US-Hilfe für Israel zu tun hat, die am Samstag im US-Kongress bestätigt wurde.
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