Die Wahrheit: Slimsalabim Slimborium!

Abnehmmittel boomen: Eine neue Pille mit rundem Wohlgeschmack wird ab sofort den Diäten-Markt aber sowas von kräftig aufmischen.

Ein bunter Cartoon, dicke Fußballspieler wetteifern um einen Ball, einer ruft: Gib mir die Abnehm-Pille!

Illustration: Zeichnung: Stephan Rürup

Eine neue Abnehmpille soll Fressgenuss ohne die geringste Reue erlauben. Bei herkömmlichen Diätmedikationen musste bislang mit Nebenwirkungen von 6 Prozent Gewissensbissen, 9 Prozent Zerknirschtheit und 20 Prozent Hunger gerechnet werden.

Das neuartige Präparat mit dem Markennamen Slimborium basiert dagegen laut Hersteller auf komplettem Seelenfrieden und vollem Sättigungsgefühl – überwiegend durch den erprobten Wirkstoff Semaglutid. Dieser steckt auch hinter dem immensen Erfolg der angesagten Schlankheitsspritzen Wegovy und Mounjara, die allerdings nicht ganz billig sind.

Die wöchentlich zu injizierenden Heilmittel kosten etwa 300 Euro im Monat und sind ursprünglich zur Behandlung von Diabetes gedacht. Sie erfreuen sich momentan starker Nachfrage, weil sie für die purzelnden Pfunde bei pummeligen Prominenten wie Kim Kardashian, Elon Musk und Robbie Williams verantwortlich zeichnen. Zeitweilig kämpfen Apotheken sogar mit Nachschubproblemen, weil die schwerreichen Stars die Medikamente gern für sich allein haben möchten – ihres großen Appetits wegen!

In diese Lücke stößt der Hersteller von Slimborium. Als Pille in verschiedenen leckeren Geschmacksrichtungen, die zu oder statt der Mahlzeiten eingenommen wird, dürfte das Pharmazeutikum eine nochmals größere Verbreitung in der breiten Bevölkerung finden. Das Geheimnis des Wirkstoffs besteht darin, dass er das Sättigungsgefühl steigert und das Hungergefühl dämpft. Dadurch müssen nebenher weniger Kalorien in Form von Chips, Snacks und Sahnetorten aufgenommen werden.

Genetisch modifizierte Kalorien

„Bei Slimborium verstärkt sich der Effekt durch die Beigabe von genetisch modifizierten Kalorien, die einen kräftigen, runden Wohlgeschmack besitzen und die Medikamenteneinnahme zum eigenständigen Genuss machen“, lächelt deshalb Dr. Alphonse Yham-Mi (52) zufrieden. Er ist Entwicklungsleiter bei Parma-Pharmaceuticals, einem kleinen, urigen Nachbarschafts-Pharmakonzern aus Frankfurt, der sich anschickt, die Menschheit von den nutzlosen Diät-Plänen zu befreien, die sie seit Jahrzehnten im Würgegriff des enggeschnallten Gürtels halten.

Dr. Yham-Mi preist Slimborium tendenziell eher als Mittel gegen gesellschaftliche Diskriminierung und Fat-Shaming an: „Menschen, die wie wir alle gerne und zu viel essen, werden in Zukunft nicht mehr an ihrem Äußeren als Genussmenschen erkennbar sein“, schwärmt der Biochemiker. „Sie können also ungehemmt drauflosschlemmen, ohne kleinkarierte Kalorienzählerei und zivilisatorische Beißhemmungen.“

Experten sehen jedoch auch Gefahren in dieser Entwicklung: „Wenn nicht mehr allein an Bauchumfang, Doppelkinn und Watschelgang erkennbar wird, wer ein undisziplinierter Gierschlund ist und wer dagegen seine Bedürfnisse maßvoll im Griff hat, fällt ein wichtiger Maßstab für zwischenmenschliche Beurteilungen fort“, warnt irgendein hagerer Anzugtyp von der CDU, der ohne brutalen sozialen Druck und Mobbingterror unsere Leistungsgesellschaft auseinanderfallen sieht.

Zauberpulver für Verwöhnte

Naturgemäß anders sieht das Rollo Huber (36), Vorsitzender der Konstanzer Selbsthilfegruppe „Rund und gesund“: „Jeder hasst diese Leute, die in sich reinfressen, was sie wollen, und trotzdem kein Gramm zunehmen!“ Der Systemadministrator mit Vorliebe für Pizza Calzone betrachtet Slimborium deshalb als „echten Gamechanger“, der einen Ausweg aus der Spirale von Hass und Gewalt bietet. Einfach, indem er den Menschheitstraum vom Schlaraffenland ohne Gewichtsprobleme wahr werden lässt – für alle, die es sich leisten können.

„Keine Frage, Slimborium verschärft die gesellschaftliche Spaltung“, räumt Dr. Yham-Mi selbstkritisch ein. „Wie eigentlich alles, was in den letzten 20 Jahren extrem erfolgreich war! Wir haben das Rezept bei der Konkurrenz geklaut, Zauberpulver drübergestreut, damit der Wirkstoff über den Magen-Darm-Trakt verstoffwechselt werden kann, und zu guter Letzt am Geschmack gebastelt, damit wir auch Menschen mit verwöhntem Gaumen erreichen.“

Voilà: Mit köstlichen Geschmacksrichtungen wie „Coq au Vin“, „Knuspriger Schweinebauch“, „Wagyu-Steak“ oder, für Protestanten, „In Wasser gedünstetem Brokkoli“ möchte Slimborium nicht nur Stars und Influencer ansprechen. Auch der einfache Zahnarzt von nebenan soll seine Figur ohne Verzicht straffen können. Der geniale Name – ein Kofferwort aus der englischen Vokabel für schlank und dem französisch-stämmigen Scherzwort für das überflüssige Drumherum, als das viele Patienten ihre Körperfülle betrachten – steht dabei nicht nur für fettschichtenübergreifenden Erfolg.

Vor allem steht er für die revolutionäre Möglichkeit, Übergewicht in den Griff zu bekommen: ohne Einschränkungen und Sport, ohne Änderung der Lebens- und Ernährungsgewohnheiten, insbesondere ohne das verhasste Hungern.

Das Beste aber: Vielleicht zahlt für den Spaß demnächst die Krankenkasse! Rollo Huber meint jedenfalls: „Derzeit müssen Kassenpatienten die Spritzen selbst bezahlen. Adipositas ist jedoch als Krankheit anerkannt, also müssten das künftig die Kassen übernehmen, vielleicht sogar die neue Pille – jippie!“ Für Übergewichtige wie ihn bedeutet das: Er braucht sich nicht mehr von Diät zu Diät quälen, nicht mehr mit düsteren Gedanken ans Joggen oder Fitnesstraining martern! Rohkost ade! Salatteller adieu! Und das eventuell zum Nulltarif!

Ex-Dicke werden ungemütlich

Huber selbst kichert: „Slimborium bringt meine Pfunde bereits gedanklich zum Schmelzen! Ich plane schon das Festessen, sobald der positive Bescheid von der Krankenkasse kommt.“ Durch regelmäßige Einnahme der Pille steht ihm nämlich ein Verlust von 15 bis 20 Prozent seines Gewichts bevor. Spott und Hohn werden leiser, das Stigma verblasst. Außenseiter werden plötzlich beliebt, gemütliche Dicke plötzlich ungemütlich. Das übermäßige Schwitzen stoppt, die Gelenke werden entlastet, die inneren Organe gesunden, und viele finden die Liebe ihres Lebens; Menschen sind nun mal so oberflächlich.

„Das Problem beim Essen ist nicht das Essen“, stellt Dr. Yham-Mi noch einmal klar. „Es trainiert die Kaumuskeln, macht glücklich und verhindert eine Menge anderer Krankheiten, zum Beispiel Magersucht. Aber es begünstigt Fettleibigkeit, diese wiederum Herz-Kreislauf-Krankheiten – das blockt unsere Pille wirkungsvoll ab und das sollte sich unser Gesundheitssystem einiges kosten lassen.“

Das größte Problem der Zukunft, hier wird der Entwicklungsleiter sehr ernst, könnte lediglich folgendes sein: „Viele Patienten futtern solche Mengen Slimborium, dass sie richtig dick werden.“

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