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+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++Iran droht mit Vergeltung

Der Druck auf Netanjahu wächst. Nach dem Tod von Helfern in Gaza zeigt sich der Verbündete USA frustriert. Nach iranischen Drohungen stärkt Israel die Luftverteidigung.

Irans Präsident Ebrahim Raisi Foto: Vahid Salemi/ap

Tel Aviv/Washington dpa | Israel will vor dem Hintergrund ernster Drohungen aus dem Iran seine Luftverteidigung verstärken. Nach einer Lagebeurteilung sei beschlossen worden, die Personalstärke zu erhöhen und Reservisten der Raketenabwehr einzuberufen, teilte das israelische Militär am Mittwochabend mit. Gründe dafür nannte die Armee nicht explizit. Israelische Medien berichteten aber, Hintergrund seien die Drohungen aus Teheran. Nach dem mutmaßlich israelischen Luftangriff auf ein Gebäude der iranischen Botschaft in Syriens Hauptstadt Damaskus mit mehreren Toten hatte der iranische Präsident Ebrahim Raisi gesagt, die Attacke werde „nicht unbeantwortet bleiben“. Auch Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Chamenei drohte mit Vergeltung.

Iran droht mit Vergeltung

Bei dem Angriff am Montag waren zwei Brigadegeneräle und fünf weitere Mitglieder der mächtigen iranischen Revolutionsgarden getötet worden. Zudem kamen nach Angaben der iranischen Nachrichtenagentur Tasnim sechs syrische Staatsbürger ums Leben. Die Revolutionsgarden sind Irans Elitestreitmacht, sie werden als mächtiger eingeschätzt als die konventionellen Streitkräfte des Landes. Das iranische Außenministerium geht davon aus, dass der Erzfeind Israel den Angriff ausgeführt hat. Auch nach Einschätzung der US-Regierung war Israel dafür verantwortlich. Von israelischer Seite wurde der Vorfall nicht kommentiert.

USA nach Tod von Gaza-Helfern „frustriert“ über Vorgehen Israels

Unterdessen sieht sich Israel weiter mit den Folgen seines tödlichen Luftangriffs auf ausländische Helfer der Organisation World Center Kitchen im umkämpften Gazastreifen konfrontiert. Israels wichtigster Verbündeter USA zeigte sich über das Vorgehen der israelischen Armee offen frustriert. Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby, sagte am Mittwoch, der Vorfall markiere „den Höhepunkt ähnlicher Ereignisse“ und US-Präsident Joe Biden habe „seine Empörung, seine Frustration“ darüber zum Ausdruck gebracht. Es sei nicht das erste Mal, dass so etwas passiert sei, so Kirby. „Und ja, wir sind darüber frustriert.“

Sieben Mitarbeiter der Hilfsorganisation World Central Kitchen waren am Montagabend im Gazastreifen durch einen Luftangriff des israelischen Militärs getötet worden. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und die Armee sprachen von einem unabsichtlichen Treffer und einem schweren Fehler. Biden machte Israel daraufhin schwere Vorhaltungen. „Das ist kein Einzelfall“, beklagte Biden am Dienstagabend (Ortszeit) in einer schriftlichen Stellungnahme. „Dieser Konflikt ist einer der schlimmsten in jüngerer Zeit, was die Zahl der getöteten Mitarbeiter von Hilfsorganisationen angeht.“

Kirby machte mit Blick auf die Israelis deutlich: „Wir unterstützen nach wie vor ihr Recht, sich zu verteidigen. Und das werden wir auch weiterhin tun.“ Dennoch sei die US-Regierung besorgt über das Vorgehen Israels. Jeden Tag spreche man über die Art und Weise der Kriegsführung.

USA halten an Plänen für temporären Hafen vor Gaza fest

Trotz des Todes der Helfer halten die USA an den Plänen für einen temporären Hafen im Meer vor dem Gazastreifen fest. Der Vorfall habe keinen Einfluss auf die Bemühungen, den Pier zu errichten, um Hilfsgüter über den Seeweg nach Gaza zu liefern, sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller, am Mittwoch. Man wolle mit dem Vorhaben so schnell wie möglich vorankommen.

Unterdessen wurden sechs der sieben Leichen der Helfer nach Ägypten überführt. Das berichtete der staatsnahe Fernsehsender Al-Kahira News am Mittwoch. Krankenwagen hätten die Leichen über den Übergang Rafah nach Ägypten gebracht. Die getöteten Helfer stammen aus Großbritannien, Polen und Australien, eines der Opfer hatte zudem die kanadische und amerikanische Staatsbürgerschaft. Ihre Leichen sollten in die jeweiligen Heimatländer überführt werden. Die Leiche des palästinensischen Fahrers wurde an dessen Familie zur Bestattung in Gaza übergeben.

US-Regierung: Zweistaatenlösung muss durch Verhandlungen geschehen

Washington hält unterdessen weiter an einer Verhandlungslösung für einen unabhängigen Palästinenserstaat fest. Das erklärte Außenamtssprecher Miller am Mittwoch in Washington. Die palästinensische UN-Mission hatte am Vortag mitgeteilt, sich erneut um eine Vollmitgliedschaft bei den Vereinten Nationen bemühen zu wollen – 2011 war dieses Anliegen gescheitert. Die Veto-Macht USA und andere wollten damals, dass die Palästinenser zuvor mit Israel Frieden schließen. Im November 2012 räumten die Vereinten Nationen den Palästinensern gegen den Widerstand der USA einen Beobachterstatus ein.

Von 193 UN-Mitgliedsstaaten haben bisher 139 Palästina als unabhängigen Staat anerkannt. Die USA und Deutschland gehören nicht dazu. In einem Brief an UN-Generalsekretär António Guterres bat der palästinensische UN-Botschafter Riad Mansur nun darum, dem Sicherheitsrat den Antrag von 2011 erneut vorzulegen.

Auf die Frage, ob die USA dieses Mal ein Veto einlegen würden, sagte Miller: „Ich spekuliere nicht darüber, was in Zukunft passieren könnte.“ Gleichzeitig betonte er, die US-Regierung habe immer deutlich gemacht, dass sie zwar die Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staates mit Sicherheitsgarantien für Israel unterstütze. Dies müsse jedoch durch direkte Verhandlungen zwischen den betroffenen Parteien geschehen, „und nicht bei den Vereinten Nationen“.

Die islamistische Hamas im Gazastreifen und Israels Ministerpräsident Netanjahu lehnen eine Zweistaatenlösung ab. Damit ist gemeint, dass ein unabhängiger, demokratischer und friedlicher Palästinenserstaat an der Seite von Israel existiert.

Israels Minister Gantz fordert Neuwahl im September

Netanjahu schlägt derweil im eigenen Land starker Gegenwind entgegen. In den vergangenen Tagen kam es erneut zu Massenprotesten gegen seine Regierung. Der frühere Verteidigungsminister Benny Gantz, Mitglied in Netanjahus Kriegskabinett, rief am Mittwoch zu Neuwahlen im September auf. Dies werde Israel international Unterstützung verschaffen und die Spaltung innerhalb der Gesellschaft verringern, sagte Gantz bei einer Pressekonferenz.

Konsequenzen haben seine Forderungen zunächst allerdings nicht. Netanjahus konservative Likud-Partei lehnte Gantz’ Ansinnen ab. Die Regierung werde so lange weitermachen, bis alle Kriegsziele erreicht seien, teilte die Partei mit. Eine vorgezogene Wahl würde zu einer Lähmung des Landes und zur Spaltung der Gesellschaft führen sowie die Chance auf einen Deal zur Freilassung der Geiseln zunichtemachen, hieß es.

Käme es zu Neuwahlen, dürfte Gantz nach jüngsten Umfragen neuer Regierungschef werden. Offiziell steht die nächste Parlamentswahl erst im Oktober 2026 an.

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3 Kommentare

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  • "Dies müsse jedoch durch direkte Verhandlungen zwischen den betroffenen Parteien geschehen, „und nicht bei den Vereinten Nationen“. Wieso? 1948 haben die beiden Parteien auch nicht miteinander verhandelt, da hat die UN entschieden, dann soll sie auch jetzt wider entscheiden. Diese ständige Untergrabung der UN seitens der Amerikaner sorgt auch immer mehr für Unmut. Wozu hat man eine Staatengemeinschaft wenn einer will, dass alle nur nach seiner Pfeife tanzen und nur seine Interessen durchgesetzt werden. Legen gegen fast jeden Vorschlag eines Waffenstillstands ein Veto ein, machen dann einen Vorschlag der keinen Waffenstillstand enthält sondern lieber Verhandlungen unterstützen soll und als sie sich dann wenigstens zur Enthaltung ihrer Stimme durchringen, behaupten sie als einziges Land, das Resolutionen des Sicherheitsrats nicht bindend sind. Was soll man da noch sagen? Vom Völkerrecht scheinen sich die Amerikaner entgültig nach dem Einmarsch in den Irak verabschiedet zu haben. Man spricht ja auch immer mehr von einer regelbasierten Ordnung statt von internationalen Gesetzen. (While international law is general and universal, the “rules-based order” seems to allow for special rules in special – sui generis – cases.)



    Und ob Frustration die angemessene Reaktion auf den Angriff auf eine Hilfsorganisation ist... das alles bleiben sowieso leere Worte wenn trotzdem weiterhin Bomben geliefert werden. Und Sanktionen oder ein Waffenembargo scheint ja kein westlicher Staat in Erwägung zu ziehen- dann können sie sich eigentlich auch die Worte des Beileids sparen, das wäre respektvoller.



    Wie man aus all dem keine ernsthaften Konsequenzen ziehen kann, ist mir schleierhaft. Ich kann sowas wie hier (The Guardian: "‘Not a normal war’: doctors say children have been targeted by Israeli snipers in Gaza" oder auch "‘The machine did it coldly’: Israel used AI to identify 37,000 Hamas targets"- auf deutsch z.T. beim Spiegel zu finden) jedenfalls nicht unterstützen.

  • Netanjahu muss weg. Der gehört in den Knast, nicht in die Regierung.



    Den Konflikt löst das aber wohl nicht.

    • @Matt Gekachelt:

      Der Konflikt ist für den Iran existentiell, die Unterstützung für Hisbollah und Assad wird für den Iran mit Israel legitimiert. Wenn Israel jetzt Frieden schließt verliert das iranische Proxy Imperium seine Legitimation dann rückt der Konflikt Schiiten vs. Sunniten in den Vordergrund und geopolitischer Konfrontation Türkei/Iran/Arabische Staaten, das wäre für Iran eine mittlere Katastrophe.